Zehn Jahre ist es her, dass die rechtsterroristische Gruppe des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) enttarnt wurde. Die Hinterbliebenen der Opfer blicken nun dem Jahrestag mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn noch immer sind viele Hintergründe der Mordserie ungeklärt. Vor allem die Rolle der Ermittlungsbehörden wirft weiter Fragen auf – die zentrale lautet: Was hat Deutschland gelernt?
„Meine Mandanten sind enttäuscht und resigniert“, sagt Seda Basay-Yildiz. Sie vertrat im NSU-Prozess die Familie des in Nürnberg ermordeten Enver Simsek. Tochter und Witwe des Toten leben inzwischen in der Türkei, ihr Vertrauen in den Rechtsstaat und dessen Instrumente ist schwer erschüttert. Auch Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesverfassungsschutzes, sieht massive Fehler in den Behörden. „Ich wäre der glücklichste Mensch der Welt, wenn ich alle Fragen beantworten könnte“, sagt er. Zwar betont er: Eine Mordserie, wie der NSU sie begangen hat, würde mit den heutigen Instrumenten der Sicherheitsbehörden zumindest unterbrochen werden können. Doch Haldenwang muss zugleich einräumen: Der Rechtsextremismus sei weiterhin die größte Gefahr für die Demokratie im Land. Mehr als 200 Menschen starben seit dem Jahr 1990 durch die Hand von gewaltbereiten Rechten, die Zahl der gemeldeten Delikte mit rechtem Hintergrund steigt kontinuierlich an. Die Corona-Pandemie gebe vor allem der Neuen Rechten vermehrt Möglichkeiten, sich in die Mitte der Gesellschaft vorzuarbeiten. Dort werde durch geistige Brandstiftung der Nährboden für Gewalt gelegt.
So sind die Behörden heute im Kampf gegen Rechtsextremismus aufgestellt
In den Sicherheitsbehörden selbst kommen die Veränderungen nur langsam voran. Um rechtsextreme Bewerber auszufiltern, sollen die Landesämter für Verfassungsschutz diese eigentlich vorher durchleuchten. Nach Recherchen des „Mediendienstes Integration“ geschieht dies bislang nur in sechs Bundesländern, darunter in Bayern. Zusätzlich fordern Experten, dass öffentliche Einträge in den Sozialen Medien bei Bewerbern gesichtet werden sollen. Das machen bislang nur Bremen und Niedersachsen. Hamburg wiederholt als einziges Bundesland die Anfragen beim Verfassungsschutz zu rechtsextremen Aktivitäten von Polizistinnen und Polizisten alle zehn Jahre. 14 Bundesländer haben mittlerweile Polizeibeauftragte oder Beschwerdestellen eingerichtet oder planen die Einrichtung – Bayern und das Saarland haben keine solche Stellen. Nur fünf Bundesländer haben Extremismusbeauftragte in ihren Landespolizeien eingesetzt. Opfer-Anwältin Basay-Yildiz kritisiert das scharf. Veränderungen würden nur dann eintreten, wenn der Staat genauer hinschaut. Doch weiterhin stehe das Geheimhaltungsinteresse über dem Aufklärungsinteresse.
Rassismus ist in der Gesellschaft verankert
Dennoch warnt Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, davor, den Blick nur auf Behörden zu lenken. Die Gesellschaft an sich habe den rechten Terror lange verharmlost, weil sie selbst nicht betroffen war. Rassismus könne nicht in Gefängnissen und durch Handy-Überwachung aufgelöst werden, es brauche eine Bewusstseinsänderung. Er fordert, das geplante Demokratiefördergesetz möglichst rasch zu beschließen. Damit sollen Initiativen gegen Extremismus gestärkt werden, indem die Finanzierung längerfristig gesichert wird. Die Eckpunkte liegen eigentlich vor, doch das Vorhaben hängt in der politischen Warteschleife.
Zwischen 2000 und 2007 fielen dem NSU zehn Menschen zum Opfer, die meisten davon hatten einen Migrationshintergrund. Die Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nahmen sich am 4. November 2011 das Leben, Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.