Der „Wüstenfuchs“ hat nicht mehr lange zu leben, als der schwarze Mercedes am 14. Oktober 1944 in die Einfahrt seines Anwesens biegt. Es ist ein klarer Herbsttag im Albdörfchen Herrlingen bei Ulm. Die beiden Generäle, die aus dem Wagen steigen, bringen eine tödliche Botschaft Hitlers. Und eine Kapsel Zyankali.
Mit dieser Szene beginnt und endet der Fernsehfilm „Rommel“, den die ARD an Allerheiligen ausstrahlt. Regisseur Niki Stein schildert darin, sehr um Faktentreue bemüht, die letzten sieben Monate im Leben des Erwin Rommel, der Hitler seinen kometenhaften Aufstieg zum Volkshelden verdankt, sich mit diesem aber überwirft und dafür mit dem Leben bezahlt.
Das stattliche Haus in Herrlingen trägt noch immer die Nummer 13, doch die steile Straße heißt nicht mehr Wippinger Steige, sondern Erwin-Rommel-Steige. Sonst hat sich wenig verändert, das Hartholzparkett im Wohnzimmer, der Travertinboden im Gang, der lichte Wintergarten, vieles ist noch wie damals, als der Feldherr in diesen Räumen wohnte. Heute lebt hier der 59-jährige Ingenieur Dieter Keppler, der sich seit Jahren intensiv mit dem Phänomen Rommel auseinandersetzt. Er kann gar nicht anders. Schon wegen der „Rommel-Touristen“, denen er regelmäßig vor dem Haus auf der Straße begegnet. Oft sind es Veteranen, die unter Rommel in Afrika gekämpft haben. Aber auch ehemalige Soldaten der Alliierten – Engländer, Amerikaner, Neuseeländer sind noch heute von dem hochdekorierten Soldaten begeistert – trifft Keppler am Gartentor. „Gerade war ein Offizier aus Pakistan da, der Rommel glühend bewundert“, erzählt er.
In der Nachkriegszeit galt er als der „gute Soldat“
Im Deutschland der Nachkriegszeit, gerade in Herrlingen selbst, wurde Rommel lange fast religiös verehrt. Er galt als der „gute Soldat“, herausragender Vertreter einer „sauberen“ Wehrmacht, als Angehöriger des Widerstands gegen Hitler gar. Das kleine „Rommel-Archiv“ der Gemeinde Herrlingen, zu dem die Besucher aus aller Welt pilgern, atmet noch diesen Geist. Dieter Keppler nennt es eine „Devotionaliensammlung“. Uniformteile, Orden, Sand von Schlachtfeldern in Afrika gibt es da zu sehen.
Als er und andere in den 1980er Jahren dokumentierten, dass das im Dorf als „Rommel-Villa“ bekannte Haus zuvor einer jüdischen Familie gehört hatte, die zwangsenteignet worden war, wurden sie als „Nestbeschmutzer“ geschmäht. „Da gab es die Angst, dass das Denkmal vom Sockel gestoßen wird“, sagt Keppler. Für ihn war Rommel „von Hitler fasziniert und Teil von dessen Kriegsmaschinerie – letztlich aber auch dessen Opfer“. Natürlich werde er sich an Allerheiligen den Rommel-Film anschauen.
Er wird mit Ulrich Tukur einen Fernseh-Feldmarschall zu sehen bekommen, der dem echten in Aussehen, Gestik und Sprache frappierend gleicht. Der Film zeigt Rommel zunächst fasziniert vom „Führer“, der ihm ein um das andere Mal Gelegenheit gibt, sich militärisch auszuzeichnen. Doch in die soldatische Loyalität mischen sich immer größere Zweifel. Dient er einem größenwahnsinnigen Verbrecher, der sich jeder militärischen Realität verschließt, Armee und Volk direkt in den Untergang führt? Es ist Rommels Stabschef Hans Speidel (Benjamin Sadler), der diese Zweifel schürt. Er steht den Männern um Claus Schenk von Stauffenberg nahe, die das Attentat auf Hitler planen. Den populären Rommel wünschen sich die Verschwörer als Galionsfigur. Auf ihn, so hoffen sie, werden Militär und Volk nach der Beseitigung Hitlers hören.
Rommel kämpft mit sich, doch am Ende kann er sich nicht zum aktiven Widerstand durchringen. Manches lässt der Film offen. Ein Gespräch Rommels mit dem Abgesandten der Verschwörer, Caesar von Hofacker (Tim Bergmann), wird nur von Weitem gezeigt – stumm. Wie viel Rommel von den Attentatsplänen wusste, ob er sie ablehnte, befürwortete – die letzte Wahrheit maßt sich der Film nicht an. Regisseur Stein hat sich eng am aktuellen Stand der Rommel-Forschung orientiert – die Mehrheit der Historiker rechnet den Generalfeldmarschall längst nicht mehr dem Widerstand gegen Hitler zu. Doch es gibt gegenteilige Meinungen.
Die Nachfahren des Feldherrn kritisierten das erste Drehbuch
So hatte es vor Beginn der Dreharbeiten Streit zwischen den Filmemachern und den Nachfahren Rommels gegeben. Frau und Tochter des an Parkinson leidenden Rommel-Sohns Manfred, des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters, kritisierten ein erstes Drehbuch. Es zeichne ein einseitiges Bild Erwin Rommels, zeige ihn zu wenig als Hitler-Gegner. Im Film wird Rommel als Charakter gezeichnet, der die Augen vor den schrecklichen Wahrheiten verschließt. Eine betrifft die Villa in Herrlingen. Dieter Keppler, heutiger Besitzer: „Das Haus war einmal Teil eines jüdischen Landschulheims, in dem etwa die Reformpädagogin Anna Essinger nach neuen, ganzheitlichen Prinzipien lehrte. 1939, nachdem die Schüler und Lehrer ins Ausland geflohen waren, richteten die Nazis auf dem Gelände ein Zwangsaltersheim für Juden ein.“ Keppler weiter: „Von den 151 Insassen wurden 119 später in Konzentrationslagern ermordet. Erst 1943 zog Rommel mit seiner Frau und Sohn Manfred in das Anwesen ein.“
Dieter Keppler hat schon vor Jahren eine Gedenktafel vor seinem Haus anbringen lassen, die auch an den jüdischen Teil der Geschichte Herrlingens erinnert. Dass ausgerechnet Hitlers Lieblingsgeneral nichts von der systematischen Judenvernichtung gewusst haben soll, halten viele Historiker für unwahrscheinlich. In einer Filmszene spricht Rommel das Schicksal der Juden einmal zaghaft gegenüber seiner Frau (Aglaia Syszkowitz) an. Die verweist auf die jüdische Vergangenheit des eigenen Hauses und würgt die Diskussion ab: „Lass dir doch so was nicht einreden.“
Die Siege in Afrika kommen im Spielfilm nur am Rande vor
Die Siege in Nordafrika, die Rommels militärischen Ruhm als „Wüstenfuchs“ begründeten, kommen im Film nur am Rande vor, werden aber in einer Dokumentation nacherzählt, die im Anschluss gesendet wird. Es ist Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der das Bild des gewieften Taktikers, kühnen Angreifers und listenreichen Feldherrn im heißen Wüstensand entwirft, den kantigen Schwaben zur Soldaten-Ikone stilisiert. Rommels Finten werden zu Landser-Legenden. Sein dreister Bluff etwa gleich 1941 bei der Ankunft in Libyen, wo er dem in Bedrängnis geratenen deutschen Bündnispartner Italien gegen die Engländer beistehen soll: Als die Truppe durch Tripolis paradiert, lässt Rommel die Panzer gleich mehrmals um den Block fahren – und gaukelt dem Feind so eine viel größere Armee vor. Mit Panzerattrappen aus Holz und Pappe narrt er auch die gegnerische Luftaufklärung. Seine unberechenbaren Vorstöße bringen den Briten eine Niederlage nach der anderen bei – nach der Eroberung der libyschen Stadt Tobruk ernennt Hitler den gebürtigen Heidenheimer zum Generalfeldmarschall.
Begeistert verfolgen die Deutschen den von Goebbels besten Filmern in Szene gesetzten Afrika-Feldzug in der Wochenschau. Der „Wüstenfuchs“ wird zur wichtigsten Propagandafigur der Nazis. Die darf nicht beschädigt werden: Dass Rommel in der Schlacht von El Alamein unterliegt und den Rückzug antritt, spielt die Popaganda herunter. Der Mythos strahlt weiter, selbst im feindlichen Ausland, wo Rommel zeitweise berühmtester Deutscher neben Hitler ist und auf der Titelseite des amerikanischen Magazins Time landet.
Nach El Alamein ist Hitler von Rommel enttäuscht, gibt ihm aber noch eine Chance. Er muss an die französische Atlantikküste, um die Westfront zu sichern. Abwehr am Meer statt Attacke in der Wüste – die neue Rolle behagt Rommel nicht. Immer lauter beginnt er, die Entscheidungen des „Führers“ zu hinterfragen. Doch die Zweifel sind vor allem militärischer Natur. Während Rommel sieht, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist, will Hitler (Johannes Silberschneider) den Kampf bis zum letzten Blutstropfen. Rommel fällt in Ungnade.
Am 6. Juni 1944, dem „D-Day“, als die alliierte Invasion beginnt, weilt der Feldmarschall in der ländlichen Idylle Herrlingens, seine Frau Lucie feiert Geburtstag. Im Film schenkt er ihr modische Schuhe, die er in Paris besorgt hat. Sie passen nicht. Und in der Normandie durchbrechen zur gleichen Zeit alliierte Truppen Rommels „Atlantikwall“. Der Generalfeldmarschall eilt auf der Stelle zurück an die Front.
Militärisch kann er nicht mehr viel ausrichten. Einen britischen Luftangriff überlebt er schwer verwundet, kommt ins Lazarett, zieht sicht dann zur Genesung nach Herrlingen zurück. Doch Hitler hat sein Ende schon beschlossen.
Ein Heldenbegräbnis sollte den Durchhaltewillen stärken
Noch im Tod muss Rommel für Propaganda-Zwecke herhalten. Fast genau zwei Monate bevor Ulm bei einem alliierten Luftangriff in Schutt und Asche gebombt wird, erhält Rommel in der Donaustadt ein Heldenbegräbnis. Das Spektakel soll den Durchhaltewillen der kriegsmüden Bevölkerung stärken.
Offiziell verbreitet das NS-Regime, der Wüstenfuchs sei an den Spätfolgen seines „Autounfalls“ gestorben, der in Wirklichkeit der feindliche Luftangriff war. Eine Lüge in der Lüge, um die Legende von der Unbesiegbarkeit Rommels aufrecht zu erhalten.
In Wahrheit hatten die beiden Boten Hitlers, die am 14. Oktober 1944 im schwarzen Mercedes nach Herrlingen kamen, Rommel vor eine in jedem Fall tödliche Wahl gestellt: Entweder, er wird vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und seine Familie fällt der Sippenhaftung anheim, wird also ins Konzentrationslager gesteckt. Oder er nimmt sich selbst das Leben, dann bleiben Frau und Sohn verschont. Der Diktator macht seinen einstigen Liebling nicht nur für den alliierten Durchbruch in Frankreich verantwortlich: In den von der Gestapo mit äußerster Brutalität geführten Verhören der Attentäter vom 20. Juli war angeblich auch Rommels Name gefallen. Zwar weist der gegenüber den Abgesandten seines einstigen Idols jede Beteiligung am Anschlag zurück, doch er widersetzt sich auch nicht.
Rommel verabschiedet sich von Frau und Sohn, steigt in den schwarzen Mercedes. Einige hundert Meter nach dem Ortsrand von Herrlingen, auf der Straße, die zum Dorf Wippingen führt, schluckt er die tödliche Zyankali-Kapsel. Heute markiert ein Gedenkstein die Stelle. Der Kranz, den Afrika-Veteranen dort abgelegt haben, ist noch frisch.
Dieter Keppler weist Besucher lieber auf eine unscheinbare Stelle auf dem Weg zum Gedenkstein hin. Vor ein paar Jahren, sagt er, habe endlich auch die jüdische Reformpädagogin, die früher in der Rommel-Villa lehrte, vom Dorf eine sichtbare Würdigung erfahren: „Im Neubaugebiet kreuzt die Erwin-Rommel-Steige die Anna-Essinger-Straße. Herrlingen hat inzwischen erkannt, dass seine Vergangenheit nicht nur aus Rommel besteht.“
Der Fernsehfilm „Rommel“ wird am Donnerstag, 1. November, ab 20.15 Uhr ausgestrahlt. Im Anschluss ab 22.15 Uhr: „Rommel – Die Dokumentation“.