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Vertriebenen-Präsidentin: Erika Steinbach: Ich traue keinem mehr

Vertriebenen-Präsidentin

Erika Steinbach: Ich traue keinem mehr

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    Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen.
    Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Foto: dpa

    "Ich sage das ohne Wenn und Aber" - klar, kompromisslos, angriffslustig. Das war Erika Steinbach. Doch dieser Dreisatz gilt nicht mehr. Den vorerst letzten Akt einer Art Selbstdemontage initiierte die Präsidentin des Bunds der Vertriebenen (BdV) am vergangenen Donnerstag gleich selbst vor öffentlich-rechtlichen Kameras.

    Denn an diesem Tag hielt ihr "ohne Wenn und Aber" nicht einmal 24 Stunden lang. Im Morgenmagazin der ARD hatte die CDU-Bundestagsabgeordnete dem früheren polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski einen "schlechten Charakter" attestiert. Am Abend leitete sie bei Maybrit Illner im ZDF zaghaft den Rückzug ein, bereute Form und Stil. Am Wochenende folgte die Entschuldigung - zwar nicht ohne Wenn und Aber, aber sie zog ihre Aussagen zurück. Der Druck war zu stark geworden. War der 88-jährige Bartoszewski, der heute Deutschland-Experte der polnischen Regierung ist, doch von den Nazis in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden. Auch der Umstand, dass der knorrige Bartoszewski Steinbach immer wieder hart attackiert hatte, half jetzt nicht mehr.

    Noch weniger half ihr, dass sie nur einige Tage zuvor in einer Sitzung des CDU/CSU-Fraktionsvorstandes für einen Eklat gesorgt hatte. Ihre Bemerkung, sie könne "leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobilgemacht hat", sorgte bei vielen Parteifreunden für Kopfschütteln. Zu allem Überfluss wurde der Disput aus der internen Sitzung öffentlich. Eine gezielte Indiskretion, die sie schmerzte. "Wer Dinge aus einer vertraulichen Vorstandssitzung aus dem Zusammenhang reißt und öffentlich macht, muss wissen, dass er auch Verantwortung trägt für den Schaden, den die CDU erleidet", sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Und: "Wissen Sie, ich traue keinem mehr." Kurz darauf erklärte die 67-Jährige ihren Verzicht auf eine Wiederwahl in den Parteivorstand.

    Die Bilanz der letzten zwei Wochen: Erika Steinbach ist dünnhäutig wie nie zuvor. Ihre Ausbrüche wirken unkontrolliert, ja maßlos. Dann wieder scheint sie mit dem Gedanken zu spielen, alles hinzuwerfen. Kurz, es ist etwas in Bewegung geraten.

    Das merken auch ihre politischen Widersacher, von denen es schon immer viele gab. Einer, wenn nicht der Widersacher, ist Volker Beck. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen hat sich mit Steinbach hitzige Duelle im Bundestag geliefert. Und da wurde es nicht selten persönlich. Daran lässt Beck, der Steinbach schon als "Kobra" bezeichnet hatte, die die deutsch-polnischen Beziehungen vergifte, keinen Zweifel. "Anders als bei anderen politischen Gegnern, mit denen ich ein kollegiales Verhältnis aufbauen konnte, gelang mir das bei Frau Steinbach nie - mir gegenüber ist sie wie ein Eisschrank." Genauso sehen sie nicht wenige Gegner.

    Doch hat sie sich verändert in den letzte Monaten? "Ich habe den Eindruck, dass sie nach ihrem Rückzug aus dem CDU-Vorstand noch mehr Narrenfreiheit hat." Schließlich versuche die Parteispitze ja "fast verzweifelt", sie zu halten. Doch Beck spürt auch, dass sie viel riskiert: "Sie pokert sehr hoch." Auf dem Rückzug sieht er sie allerdings nicht - eher auf dem Drahtseil.

    In der BdV-Führung findet sich keiner, der es wagt, auf ihren Absturz zu spekulieren. Bisher konnte sich Steinbach immer auf den bekannten Reflex verlassen: Je härter die Angriffe auf die Präsidentin, desto breiter die Welle der Sympathie im Verband. Doch nicht wenige in der BdV-Spitze verfolgten ihre Auftritte mit einem Stirnrunzeln.

    Mit "wenig hilfreich" und "denkbar unglücklich" kommentierte Präsidiumsmitglied Stephan Mayer (CSU) die Attacken Steinbachs auf Bartoszewski. Sie sei "gut beraten, jetzt schnell zu ihrer alten Form zurückzufinden", sagt auch BdV-Vize Christian Knauer (CSU). Von einer "gewissen Tragik" spricht der Landrat von Aichach-Friedberg gar. Sie selber habe ihm erklärt, dass im Morgenmagazin-Interview "die vielen persönlichen Verletzungen zum Ausdruck gekommen" seien. Wunden, die ihr auch die eigene Partei zugefügt hätte. Er ist davon überzeugt, dass die Lunte an die Zündschnur bereits am 5. August in Stuttgart beim Festakt anlässlich der Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen vor 60 Jahren gelegt worden ist. "Dass ausgerechnet der CDU-Politiker Bundesinnenminister Thomas de Maizière dort ohne Vorwarnung der Einrichtung eines jährlichen Gedenktages für die Vertreibung eine Absage erteilt hat, hat sie nicht verwunden." Schließlich habe die Union diese Geste schon vor der Übernahme der Regierung fest zugesagt.

    Und dann ist da ja auch noch die 2008 gegründete Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Für nicht wenige gilt Steinbach als deren "Mutter". Um im Bild zu bleiben, wäre dann der frühere SPD-Politiker Peter Glotz der "Vater". Denn das ungleiche Paar leitete zuvor die BdV-Stiftung "Zentrum gegen Vertreibung" von 2000 bis zum Tod von

    Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Im Februar dieses Jahres verzichtete sie nach einer quälenden Hängepartie darauf, in den Stiftungsrat einzutreten, der für die Schaffung des Dokumentationszentrums zur Vertreibung in Berlin zuständig ist. Steinbach sprach von einem Kesseltreiben gegen ihre Person. Dass sie ihren Gegnern immer wieder Steilvorlagen gab, erwähnte sie nicht. Frei nach dem Motto: Schuld sind immer die anderen.

    Der Stiftung brachte der Rückzug Steinbachs nur kurz Ruhe. Bald setzten die Personalquerelen wieder ein, und zwar mit ungeahnter Heftigkeit. Als der Zentralrat der Juden vor wenigen Wochen den vorübergehenden Rückzug seiner beiden Vertreter im Stiftungsrat aus dem Stiftungsrat verkündete, mehrten sich die Zweifel, ob das ganze Projekt überhaupt Bestand hat. Fast trotzig hat der Direktor der Stiftung, Manfred Kittel, jetzt der Öffentlichkeit einen Einblick in das Konzept für das Dokumentationszentrum gewährt. Erika Steinbach kommentiert die Debatten um die Stiftung nur noch selten. Die "Mutterrolle" scheint ausgespielt.

    Und wie geht es jetzt weiter? Erst mal mit Routine. Steinbach sprach am Montagabend bei der CDU Main-Kinzig in Oberissigheim. Fettnäpfchen meidet sie in ihrer Rede, heißt es in der Lokalausgabe der Frankfurter Rundschau. Doch Vorsicht: Noch im Herbst soll ihr Buch erscheinen. Das klingt gut, zumindest für die Buchhändler.

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