Das Parlament soll entscheiden, ob der Staat den Landwirten ihre Grundstücke wegnehmen darf. Das weckt große Ängste – nicht nur bei den Betroffenen. Die Nachbarn haben vorgemacht, dass diese Politik im Desaster enden kann
Der Farmer Wannie Scribante hat lederne Haut und Hände. Hände, die Bäume ausreißen könnten. Doch nun sitzt der 61-Jährige neben seinem Feld in der Nähe von Pretoria und fängt an zu weinen. Er lässt den Gedanken, seine Farm zu verlieren, nur selten zu – wenn er aber kommt, dann trifft er den Südafrikaner mitten ins Herz. „Meine Großeltern sind auf dieser Farm begraben“, sagt der 61-Jährige, „und wir haben hart gearbeitet.“ Während andere mit dem ersten Gehalt einen Fernseher kauften, investierte er in einen gebrauchten Traktor. Nächtelang reparierte Scribante kaputte Maschinen. „Diese Farm ist ein Stück von mir“, sagt er, „so etwas kann man nicht so einfach wegnehmen.“ In diesen Tagen ist dieses Szenario erschreckend präsent.
Das südafrikanische Parlament lässt Verfassungsänderungen zur Abstimmung vorbereiten, mit der die „Enteignung von Land im öffentlichen Interesse ohne Kompensation“ möglich werden würde. Die linksradikale Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) begründet ihren Vorstoß damit, koloniale Ungerechtigkeiten müssten korrigiert werden. Nur zwei Prozent der ländlichen und sieben Prozent der urbanen Fläche seien im Besitz der Schwarzen. Das ist ziemlich verkürzt dargestellt, schließlich befinden sich zwei Drittel des Landes im Besitz von Staat, Firmen, Kirchen und nicht zuletzt traditionellen Führern wie dem Zulu-König. Richtig ist allerdings, dass der weißen Minderheit von nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung weiterhin ein überproportional großer Anteil gehört.
Noch ist die Enteignung nicht beschlossen
Noch ist die Enteignung weißer Farmer nicht beschlossen, doch schon jetzt ist die Aufregung groß in Südafrika. Die Bürgerrechtsorganisation „AfriForum“, die überwiegend von Weißen finanziert wird, bezeichnete den Vorstoß als „ausschließlich rassistisches Unterfangen, um die Weißen von ihrem Land zu jagen“. Es sei „hinterlistig“, jedem weißen Farmer zu unterstellen, er habe sein Land mithilfe von Unterdrückung erlangt. Dass der Antrag wegen des Aufschreis klammheimlich zurückgezogen wird, ist eher unwahrscheinlich. Als möglich gilt allerdings ein Entwurf, der die Hürden für Enteignungen extrem hochsetzt.
Der drohende Eingriff in den verfassungsrechtlich garantierten Privatbesitz verträgt sich schlecht mit den Bemühungen des neuen Präsidenten Cyril Ramaphosa um internationale Investoren. Die Regierungspartei ANC stimmte trotzdem beinahe geschlossen für den populistisch formulierten Antrag – wohl auch aus Angst vor weiteren Stimmverlusten bei den Wahlen im kommenden Jahr. 1994 hatte ANC-Ikone Nelson Mandela versprochen, dass innerhalb von zwei Jahrzehnten 30 Prozent des Landes der Weißen an Schwarze über Staatskäufe transferiert werden sollen. Bislang sind es nicht einmal zehn Prozent.
Nun werden Erinnerungen an die Krise im Nachbarland Simbabwe wach. Um das Jahr 2000 wurden dort binnen weniger Monate 90 Prozent der 4500 weißen Farmer enteignet. Ihr Land wurde nach Gutsherrenart an Vasallen des damaligen Präsidenten Robert Mugabe verteilt. Die Wirtschaft kollabierte.
Farmer Scribante bleibt nur die Hoffnung, dass er verschont bleibt. Seine Farm ist nur 200 Hektar groß. „Ich bin ein kleiner Fisch“, sagt er. Zudem habe ein Gutachten ergeben, dass nach 1913 kein Schwarzer unrechtmäßig sein Grundstück verlassen musste – das Jahr ist in der Verfassung als Stichdatum für historische Entschädigungen angegeben.
Farmer zweifeln an Sachkunde der Regierung
Seit Jahren sitzt Scribante als Repräsentant einer Farmervereinigung am Verhandlungstisch mit der Regierung. „Da kommen immer wieder verrückte Ideen auf“, erzählt er. Unqualifizierte Arbeitnehmer sollten nach chinesischem Vorbild einen Hektar bekommen, kaum mehr als ein Fußballfeld. „Das mag mit Reisanbau funktionieren, aber schon für eine Kuh sind mehrere Hektar nötig“, sagt Scribante. Auch die wiederkehrende Forderung nach einer Obergrenze für Landbesitz sei mit der marktwirtschaftlichen Realität nicht mehr vereinbar. „Kleinfarmen können kaum noch profitabel sein“, warnt Scribante.
Er und andere weiße Farmer ärgern sich, dass sich die Politik nicht lieber auf die Fehler der aktuellen Landreform konzentriert: Die Regierung hatte Land aufgekauft und an tausende schwarze Farmer verteilt. Forscher der Universität Kapstadt haben ermittelt, dass immerhin 60 Prozent von ihnen ihre Lebensumstände so verbessern konnten. Gugile Nkwinti, bis vor wenigen Wochen Landwirtschaftsminister, sagte dagegen, 90 Prozent seien schlicht gescheitert.
Einer der wenigen erfolgreichen schwarzen Farmer hat seine 1200 Hektar im Osten Südafrikas ohne Hilfe der Regierung gekauft: Job Mthombeni sitzt an seinem Schreibtisch und kommt kaum zu Wort. Ein weißer Farmer von nebenan ist zu Besuch und redet ununterbrochen – nicht über die Landreform, sondern den ausbleibenden Regen. Als sich der Nachbar verabschiedet, lädt Mthombeni zum Spaziergang über sein Soja-Feld ein. Er hat als Sohn eines Farmarbeiters früh gelernt, dass nicht alle Weißen gleich sind. Ganz sicher ist er noch nicht, was er von der aktuellen Entwicklung halten soll. „Wenn es zu Enteignungen kommen sollte, dann müsste gesichert sein, dass es brachliegendes Land ist“, sagt der 58-Jährige. Allerdings habe er Angst vor Politikern, die daraus eine rassistische Sache machen. „Wenn die Politiker konsequent sind, müssten sie auch viele schwarze Farmer in der Gegend enteignen.“
Das ganze System ist völlig marode
Das aktuelle System in der südafrikanischen Landwirtschaft ist katastrophal. In vielen Fällen verteilt die Regierung Land nur mit Leasing-Verträgen. Ohne Eigentum als Sicherheit vergeben die Banken aber keine Kredite. Wird das Grundstück ganz überschrieben, müssen es sich oft dutzende Farmer teilen. Konflikte sind programmiert. Und: Es gibt kaum Subventionen, manchmal reicht schon eine schlechte Ernte, um Existenzen zu zerstören.
Die Regierung unternehme auch fachlich zu wenig, um die Neu-Farmer zu unterstützen, sagt Mthombeni. „Alle sechs Monate lässt sich mal jemand blicken. Und der kommt dann direkt von der Uni und hat keine Ahnung, was es heißt, Farmer zu sein.“ Der neue Präsident Ramaphosa besitzt selbst eine Farm in der Gegend. Mthombeni traut es ihm zu, die Schwächen des derzeitigen Systems zu korrigieren.
Was in Simbabwe passiert sei, werde sich in Südafrika nicht wiederholen, ist er sicher. Wannie Scribante hofft, dass er recht behält.