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Verkehrspolitik: Wie Dobrindt sehenden Auges ins Maut-Debakel taumelte

Verkehrspolitik

Wie Dobrindt sehenden Auges ins Maut-Debakel taumelte

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    Gerät immer mehr unter Druck: Der frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. 
    Gerät immer mehr unter Druck: Der frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt.  Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Bei ihrem Wahlkampfschlager Ausländermaut hat die CSU mit hohem Einsatz gespielt. Anders als es die Christsozialen noch heute verkaufen wollen, war das Risiko des Scheiterns immer hoch und waren die Bedenken aus anderen Ministerien immer groß. Bei der juristischen Absicherung der umstrittenen Straßensteuer stützte sich die Partei wesentlich auf die Auffassung nur eines einzigen Rechtsprofessors.

    Der renommierte Bonner Jurist Christian Hillgruber war es, der über mehrere Jahre stets zurate gezogen wurde. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht, bekam Hillgruber für Gutachten, Stellungnahmen, Beratung und eine Prozessvertretung insgesamt 71.428 Euro aus den Kassen der Bundesregierung. Hillgruber fungierte zwischen 2014 und 2017 damit quasi als Hausjurist des CSU-geführten Verkehrsministeriums unter dem damaligen Minister Alexander Dobrindt. Der Staatsrechtler bestätigte den Christsozialen, dass die Pkw-Maut für Ausländer nicht gegen das Europarecht verstößt. „Die Vergabe des Mandats an Prof. Dr. Hillgruber geht auf die Leitung des Bundesverkehrsministeriums zurück“, heißt es in einer Aktennotiz des Wirtschaftsministeriums zu der Personalie.

    Dobrindt hatte das Maut-Projekt von Vorgänger Seehofer geerbt

    Dobrindt hatte die Aufgabe von Horst Seehofer übertragen bekommen, den im Bundestagswahlkampf 2013 versprochenen Wegezoll irgendwie umzusetzen. Einwände und Bedenken dagegen gab es zuhauf – sowohl aus dem eigenen Verkehrsministeriums als auch aus anderen Ressorts. „Es bestand ein europarechtliches Risiko“, erklärte zum Beispiel Christoph Freytag aus dem Bundesjustizministerium erst kürzlich im Untersuchungsausschuss zur Maut. Freytag war bis Ende 2016 Leiter des Referats für Verkehrspolitik.

    Selbst Dobrindts eigener Experte hegte Zweifel an dem Projekt, die aber politisch unterdrückt wurden. „Unsere fachliche Arbeit wurde von politischen Vorgaben dominiert“, berichtete der Jurist und Verkehrsingenieur Joachim Leitner bei der Befragung im Ausschuss. Er arbeitete zwischen 2015 und 2017 im Ministerium, schied aber aus, weil er unter der dort herrschenden Hierarchie nicht weiterarbeiten wollte. Auch das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte gewichtige Vorbehalte, ob die Maut mit dem Europarecht vereinbar ist. Das zeigt umfangreicher Schriftverkehr des Hauses mit dem Wirtschaftsministerium, in den unsere Redaktion Einblick hatte. „BMF entwickelt sich zum Bedenkenträger in der Frage der Unions-Rechtskonformität“, warnte ein Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums in einer E-Mail mit der Priorität hoch. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam zu dem Schluss, dass die Maut gegen Europarecht verstößt.

    Die Risiko-Abschätzung im Ministerium erwies sich als Desaster

    Trotz all dieser Warnungen davor, mit der Maut Schiffbruch zu erleiden, bewertete das Verkehrsministerium die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt platzen könnte, mit nur 15 Prozent. Eine Fehleinschätzung, denn der Europäische Gerichtshof kassierte die Abgabe Mitte vergangenen Jahres, weil sie Ausländer diskriminiere.

    „Fundierte fachliche Einwände von Experten im Kanzleramt, Justiz- und Finanzministerium sowie vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags wurden übergangen“, kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stephan Kühn, die Ignoranz der CSU-Spitze. „Stattdessen vertraute das Verkehrsministerium stets der einsamen Rechtsauffassung des Haus- und Hofgutachters Hillgruber“, bemängelte Kühn im Gespräch mit unserer Redaktion. Den Steuerzahler könnte das mehrere hundert Millionen Euro kosten, die die Mautbetreiber an Schadenersatz verlangen.

    Dobrindts Nachfolger Scheuer wartete nicht auf das Urteil 

    Dobrindts Nachfolger Andreas Scheuer (CSU) hatte die Mautverträge mit den beiden Unternehmen Kapsch und Eventim abgeschlossen, obwohl das Urteil der Europarichter noch ausstand. Wie jetzt bekannt wurde, sind die Handydaten Scheuers und enger Führungskräfte für die Zeit vor Februar 2019 gelöscht worden. Die Opposition wollte sie für die Aufarbeitung des Mautdebakels einsehen. „Es entsteht der Eindruck, dass das Verkehrsministerium hier systematisch vorgegangen ist“, schimpfte Grünen-Verkehrsexperte Kühn.

    Lesen Sie dazu auch: Unternehmer Georg Kapsch: "Die Maut wäre ein großes Geschäft gewesen"

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