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Verkehrspolitik: Warum in Deutschland der Bau von Bahnstrecken 20 Jahre dauert

Verkehrspolitik

Warum in Deutschland der Bau von Bahnstrecken 20 Jahre dauert

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    Die Bahn soll attraktiver werden, öfter und pünktlicher fahren – das ist die Forderung seit Jahren. Es gibt viele Gründe, warum die Signale viel zu oft auf Rot stehen.
    Die Bahn soll attraktiver werden, öfter und pünktlicher fahren – das ist die Forderung seit Jahren. Es gibt viele Gründe, warum die Signale viel zu oft auf Rot stehen. Foto: Georg Hochmuth, dpa

    Dass sich in Deutschland der Bau neuer Bahnstrecken verzögert, hat Tradition. Schon die erste lag hinter dem Plan und wurde deutlich teurer. Die Arbeiten auf der sechs Kilometer langen Trasse zwischen Nürnberg und Fürth verzögerten sich in den Jahren 1834/35 und die Witwe Sperr verlangte einen Mondpreis für ihr Grundstück. Der Zeitplan geriet derart durcheinander, dass König Ludwig I. von Bayern nicht zur Eröffnung kommen konnte, weil er auf Reisen weilte.

    Fast 200 Jahre später liegen die Probleme ähnlich, nur dass die Strecken länger, die Summen höher und die Zeitabstände länger sind. Der Bau neuer Verbindungen dauert in Deutschland zwei Jahrzehnte oder noch länger. Gleiches gilt für die umfassende Ertüchtigung von bestehenden Trassen.

    Die Deutsche Bahn soll schneller und besser werden, doch sie ist ein Bummelzug

    Für ein Land, das seinen CO2-Ausstoß rasch senken will, um die Erwärmung der Erde zu bremsen, ist das mehr als eine Misslichkeit. Wenn Pendler ihr Auto stehen lassen und Geschäftsleute bei kurzen Distanzen aufs Flugzeug verzichten sollen, wie es die Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen gefordert hat, muss die Bahn schneller und besser werden.

    Schon im Dampflok-Zeitalter kämpfe der Bahnausbau mit Kostensteigerungen und Zeitverzug
    Schon im Dampflok-Zeitalter kämpfe der Bahnausbau mit Kostensteigerungen und Zeitverzug Foto: J. Buegel

    Diese Einschätzung wird von den Politikern im Hauptstadtbetrieb breit unterstützt – und sie ist auch nicht neu. Neu ist aber auch nicht, dass Deutschland große Mühe hat, die Bahn schneller und besser zu machen. Warum das so ist, dafür gibt es nicht die eine Ursache.

    Es ist ein ganzes Bündel von Gründen und das ist gar nicht so leicht aufzuschnüren. Es gibt Gründe, die ankern in der Wirtschaftsstruktur. Deutschland ist Autoland und deshalb galt der ungeschriebene Grundsatz, dass Straßen wichtiger sind als Schienen. Im nächsten Jahr soll sich das ändern: Im Bundeshaushalt wird erstmals mehr Geld für die Schiene bereitgestellt als für die Straße. Die amtierende Große Koalition hat sich dazu entschlossen, der Bahn langfristig viel mehr Mittel zur Verfügung zu stellen als früher, nicht nur für die Gleise, sondern auch für Züge und Bahnhöfe. Doch es dauert, bis das wirkt.

    Die Allianz pro Schiene hält selbst die enorme Aufstockung der Mittel für den Neu- und Ausbau für noch zu gering, um bis 2030 merklich mehr Reisende und Güter auf der Schiene zu transportieren. "Wir fordern mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, derzeit wird etwa halb so viel zur Verfügung gestellt", sagte Geschäftsführer Dirk Flege unserer Redaktion.

    Neue Züge werden erst nach Jahren geliefert

    Doch das System Eisenbahn hat zwar schnelle Sprinter wie den ICE, ist aber zugleich in seiner Gänze träge. Wenn der Vorstand der Deutschen Bahn heute neue Lokomotiven und Waggons bestellt, werden sie erst in Jahren geliefert. Wenn dazu Strecken ausgebaut werden sollen, ist das ebenfalls eine Angelegenheit von Jahren, oft von Jahrzehnten. Auch dafür gibt es Gründe.

    Geschützte Tiere und Pflanzen wie der  Feuersalamander stehen neuen Fabriken, Flughäfen und Bahnstrecken oft im Wege.
    Geschützte Tiere und Pflanzen wie der Feuersalamander stehen neuen Fabriken, Flughäfen und Bahnstrecken oft im Wege. Foto: Martin Athenstädt, dpa

    Sie haben damit zu tun, dass die Natur heute viel stärker geschützt ist als früher. Ein beim Kanzleramt angesiedeltes Experten-Gremium kam vor zwei Jahren in einem Gutachten zu dem Schluss, dass das europäische Umweltrecht (und damit auch das deutsche) eine wesentliche Ursache dafür ist, dass Großprojekte wie Bahnstrecken, Flughäfen und Kraftwerke immer länger dauern. Die Komplexität des Umweltrechts habe in den „vergangenen Jahren stark zugenommen“, heißt es in dem Gutachten des Nationalen Normenkontrollrats. Der Rat hat die Aufgabe, die zum Wuchern neigende Bürokratie im Zaum zu halten.

    Unmittelbar mit dem Umweltrecht verbunden sind die Gerichtsverfahren, die seinetwegen angestrengt werden. Eine große Gefahr für Großprojekte sind seltene Fledermäuse, Vögel, Eidechsen oder geschützte Pflanzen. Der Schierlings-Wasserfenchel hätte voriges Jahr beinahe auf den letzten Metern die Vertiefung der Elbe in und um Hamburg gestoppt, um die über 15 Jahre gerungen wurde.

    Die Umweltverbände dürfen klagen

    Seit 2006 ist der Umweltschutz deutlich gestärkt. Seitdem dürfen Verbände wie Umweltschutzorganisationen gegen Fabriken, Kraftwerke, Autobahnen und Bahnstrecken klagen. Davor durften das nur individuell Betroffene, die sich gut überlegten, ob sie einen Prozessmarathon durchhalten wollten.

    In den frühen Jahren der Bundesrepublik war es noch selbstverständlich, dass die Anwohner gefragt werden müssen und eingebunden sind. Konsultation ist das Zauberwort, das für Minister, Konzernchefs und Abgeordnete nicht immer einen freudigen Klang hat. Konsultation dauert, Konsultation ist aufwendig, Konsultation macht Projekte teurer, weil das Einverständnis lokal erkauft werden muss.

    Teuer und langwierig, aber auch höhere Akzeptanz: Stromtrassen werden unter der Erde verlegt statt riesige Masten aufzustellen.
    Teuer und langwierig, aber auch höhere Akzeptanz: Stromtrassen werden unter der Erde verlegt statt riesige Masten aufzustellen. Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Damit bayerische Bürgerinitiativen die dringend benötigten Stromautobahnen von Nord nach Süd nicht über Jahre blockieren, setzte Horst Seehofer (CSU) durch, dass die Kabel unter der Erde verlegt werden. Das ist sündhaft teuer, schwächt aber die Abneigung.

    Schneckentempo in Schwaben und Oberbayern

    Das bremsende Bündel lässt sich auch auf die Bahnstrecken übertragen. Beispiele, dass der Ausbau manchmal im Schneckentempo vorangeht, gibt es in Schwaben und Oberbayern einige. Die Elektrifizierung der Verbindung München–Lindau durch das Allgäu, die vergangenes Jahr abgeschlossen wurde, zog sich beispielsweise über mehrere Jahrzehnte hin.

    Seit 2019 versucht die Deutsche Bahn, die alte, kurvige Verbindung zwischen Augsburg und Ulm sozusagen neu und schnell aufzugleisen. Sie ist rund 85 Kilometer lang, mehr als 160 Jahre alt und gehört zu den meistbefahrenen Strecken in Süddeutschland. Die Verbindung ist Teil der europäischen Magistrale von Paris nach Budapest und nach heutigen Tempomaßstäben veraltet. Das Projekt steht als „vordringlicher Bedarf“ im Bundesverkehrswegeplan 2030. Bis wann die Strecke fertig wird, steht allerdings noch in den Sternen.

    Vier Gesetze für eine agilere Bahn

    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat sich in den vergangenen Jahren daran gemacht, das Bündel zu entwirren. Dafür hat er vier Gesetze mit auf den Weg gebracht, um das Tempo zu steigern.

    So ist zum Beispiel bei der Elektrifizierung von vorhandenen Strecken kein Planfeststellungsverfahren mehr nötig. Gleiches gilt beim Erneuern eines Bahnsteigs oder dem Errichten von Schallschutzwänden. „Was die Verfahren anbelangt, sind wir also bereits deutlich vorangekommen, um Schienenprojekte zu beschleunigen“, sagt Scheuer.

    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat vier Gesetze auf den Weg gebracht, um die Bremsen beim Bahnausbau zu lösen.
    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat vier Gesetze auf den Weg gebracht, um die Bremsen beim Bahnausbau zu lösen. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Dazu zählt auch, dass Klagen bei wichtigen Großprojekten keine aufschiebende Wirkung mehr haben und weiter gebaut werden kann. Zudem sollen sofort die Oberverwaltungsgerichte zuständig sein, was die untere Instanz einspart.

    Die Wirkung dieser Reformen wird sich erst in den kommenden Jahren entfalten. Sie werden nicht dazu führen, dass neue Bahnstrecken in fünf Jahren fertig sind. Aber vielleicht schafft es das Autoland, von den 20 Jahren herunterzukommen. Gravierende Fehler wie beim Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 können die klügsten Reformen nicht verhindern.

    Einen Kommentar zumThema finden Sie hier: Um die Deutsche Bahn modern zu machen, braucht es einen Kraftakt

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