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Verfassungsschutzbericht: Corona-Pandemie hat den Extremismus verstärkt

Verfassungsschutzbericht

Corona-Pandemie hat den Extremismus verstärkt

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    Bundesinnenminister Horst Seehofer (rechts) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang stellen in der Bundespressekonferenz den Verfassungsschutzbericht 2020 vor.
    Bundesinnenminister Horst Seehofer (rechts) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang stellen in der Bundespressekonferenz den Verfassungsschutzbericht 2020 vor. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Horst Seehofer ist seit gut drei Jahren im Amt, er hat regulär noch etwa drei Monate vor sich, und er hat es sichtbar satt. Seit geraumer Zeit schon, kritisiert der Bundesinnenminister mit leiser, eindringlicher Stimme, warne er vor dem Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, fordere Reaktionen der Politik – und es passiere fast gar nichts. Der Verfassungsschutzbericht 2020, den der CSU-Politiker zusammen mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang in Berlin vorstellt, gibt ihm recht. Die Zahl der aktiven Rechtsextremen kletterte um 3,8 Prozent auf 33.300. Knapp 40 Prozent gelten als gewalttätig oder gewaltbereit. Doch für den Anstieg ist nicht nur Politikversagen, sondern auch die Corona-Pandemie verantwortlich. Sie hat selbst die Extremen aus ihren Kellern geholt, die das Tageslicht bislang scheuten.

    Corona-Pandemie verstärkt Extremismus: Seehofer spricht von besonderer Sicherheitslage

    Vor allem Rechtsextremisten nutzten die Anti-Corona-Demos, um für ihre Sache Stimmung zu machen und für die Abschaffung von Staat und Demokratie zu trommeln, erklärt Seehofer. Sie seien zwar in der Unterzahl gewesen, hätten es aber geschickt verstanden, den Querdenker-Kundgebungen ihren Stempel aufzudrücken. Der Innenminister kritisiert gleichzeitig diejenigen, die auf den Demos mitliefen und sich nicht von den Rechten distanzierten.

    „Wir haben nicht nur eine besondere Gesundheitslage, sondern auch eine besondere Sicherheitslage“, sagt Seehofer und meint damit neben Neo-Nazis und anderen Wirrköpfen die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die den Staat und die Regeln komplett ignorieren. Sie haben Zulauf in einer Größenordnung von fünf Prozent bekommen, wie der Minister erklärt, und auch das sei „eindeutig auf das Protestgeschehen rund um die Pandemie zurückzuführen.“ Etwa 1000 Reichsbürger sind dem Verfassungsschutz bekannt. Sie sind nicht nur Fans kruder Thesen, sie lieben auch Gewehre, Pistolen und Messer. Von einer „hohen Waffenaffinität“ spricht Seehofer. Die Behörden haben im letzten Jahr rund 900 Waffenscheine einkassiert. Es gab auch Fälle, in denen wegen der Unzuverlässigkeit des Besitzers Waffen eingezogen wurde, obwohl eine Erlaubnis vorlag.

    Der rechte Rand ist so breit geworden, dass der Verfassungsschutzbericht den „Neuen Rechten“ erstmals ein eigenes Kapitel widmet. Haldenwang nennt in diesem Zusammenhang die Identitäre Bewegung, das „Compact“-Magazin, er zeigt mit dem Finger auf das „Institut für Staatspolitik“, das rechte Machtphantasien bedient. Er nennt die AfD, allerdings nur indirekt und nicht beim Namen, denn es gibt bekanntlich gerade einen Rechtsstreit darüber, ob die Alternative vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Er spricht den sogenannten Flügel der AfD an, der sich nach erheblichem Druck von außen auflöste. Was einige Anhänger aber offenbar nicht mitbekamen. Es seien weiterhin Aktivitäten zu beobachten, sagt Haldenwang. Dem AfD-Nachwuchs bei der „Jungen Alternativen“ (JA) wirft er vor, sich des Nazi-Sprechs zu bedienen.

    Corona-Pandemie: Extremisten sitzen auch im Homeoffice

    „Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown“, sagt Haldenwang. „Sie sitzen gleichsam im Homeoffice und betreiben von dort aus ihre verfassungsfeindlichen Aktivitäten.“ Die Agenda gehe mittlerweile über die reine Mobilisierung zu Protesten hinaus. Ziel sei es, das Vertrauen in die Politik und in staatliche Einrichtungen „nachhaltig zu beschädigen.“

    Gefahr geht zum überwiegenden Teil von den Rechten aus. Aber Seehofer attestiert den Linksextremisten ebenfalls eine hohe Gewaltbereitschaft. Früher sei es um das Organisieren von Demos gegangen, heute um gezielte, heimliche Aktionen. Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten stieg um 34,3 Prozent, linksextremistisch motivierte Straftaten erreichten demnach einen neuen Rekordwert. Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) kommentierte das später eindringlich mit den Worten, es habe sich da „eine neue, brutale Gewaltbereitschaft entwickelt, die planvoller angewandt wird, der zunehmend gezielt auch Einzelpersonen zum Opfer fallen und vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen“.

    Der islamistische Terror, sagt Seehofer, bleibe „eine der größten Gefahren“. Es gebe eine „sehr, sehr ernstzunehmende Bedrohungslage für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für das politische System“, mahnt der Minister und bekräftigt, dass von Entwarnung nicht die Rede sein könne. Im Gegenteil: Durch den Rückzug des ausländischen Militärs aus Afghanistan seien vermehrt IS-Terrortaten denkbar. Die Sicherheitslage in Deutschland bleibe insgesamt angespannt, sagt Seehofer und mahnt sorgenvoll: „Wir haben einen Alarmzustand. Ich kann nur hoffen, dass nichts passiert.“

    Seehofer hat zwar nur noch ein gutes Vierteljahr als Minister vor sich und könnte die Sache ruhig auslaufen lassen. Aber er ist keiner, der die Dinge auf sich beruhen lässt. An (diesem) Mittwoch beginnt die Innenministerkonferenz, und bereits da wird der Minister in Sachen Extremismus weiter Druck machen.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nicht Big Brother, aber Big Data kann im Kampf gegen Extremismus helfen

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