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Verfassungsschutz: Aktenvernichtung: Familien von NSU-Opfern erstatten Anzeige

Verfassungsschutz

Aktenvernichtung: Familien von NSU-Opfern erstatten Anzeige

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    Die Familien von zwei Angehörigen der NSU-Opfer haben Anzeige gegen Beamte des Verfassungsschutzes eingeleitet. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm (rechts) und Thüringens Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel sind wegen der Affäre um die Vernichtung brisanter Akten bereits zurückgetreten.
    Die Familien von zwei Angehörigen der NSU-Opfer haben Anzeige gegen Beamte des Verfassungsschutzes eingeleitet. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm (rechts) und Thüringens Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel sind wegen der Affäre um die Vernichtung brisanter Akten bereits zurückgetreten. Foto: dpa

    Der Anwalt zweier Familien der Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) hat wegen der Vernichtung brisanter Akten Anzeige gegen Beamte des  Verfassungsschutzes erstattet. Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler begründete diesen Schritt in der Samstagsausgabe der taz mit dem Verdacht der Strafvereitelung im Amt.

    Mit der Anzeige wolle er sicherstellen, dass es "nicht bei einer behördeninternen Aufklärung bleibt". Offenkundig hätten sich  Teile des Apparats der Kontrolle durch die Behördenleitung entzogen.

    Der Zeitpunkt der Aktenvernichtung begründet den Verdacht

    In der Anzeige an die Staatsanwaltschaft Köln wird der Verdacht der Strafvereitelung mit dem Zeitpunkt  begründet, zu dem die Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz  vernichtet wurden: dem 11. November 2011. An diesem Tag gab der Generalbundesanwalt bekannt, dass er die Ermittlungen in der  Mordserie der Neonazi-Terrorzelle an sich gezogen habe.

    Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse

    Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.

    Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.

    Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.

    Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.

    Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.

    Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.

    Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.

    Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt  Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.

    Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».

    Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.

    Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.

    Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.

    In der Anzeige, die der taznach eigenen Angaben vorliegt, heißt es: "Der enge zeitliche Zusammenhang ergibt einen Anfangsverdacht, wonach  Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gezielt verhindert werden  sollten." (afp)

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