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Vatikan: Das Ende der Vertuschung

Vatikan

Das Ende der Vertuschung

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    Papst Franziskus hat am Sonntag von seinem Fenster über dem Petersplatz aus den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern als „dringend“ bezeichnet. Er selbst hatte am Tag zuvor ein deutliches Zeichen gesetzt.
    Papst Franziskus hat am Sonntag von seinem Fenster über dem Petersplatz aus den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern als „dringend“ bezeichnet. Er selbst hatte am Tag zuvor ein deutliches Zeichen gesetzt. Foto: Gregorio Borgia, dpa

    Es ist das erste Treffen dieser Art, das am kommenden Donnerstag im Vatikan beginnt. Dreieinhalb Tage lang treffen sich die Vorsitzenden der 113 katholischen Bischofskonferenzen, der Ostkirchen, Ordensobere, die Chefs der Kurienbehörden und Papst Franziskus, um über den Umgang mit sexuellem Missbrauch von Minderjährigen in der Kirche zu diskutieren. Die Organisatoren rechnen mit gut 180 Teilnehmern. Nie zuvor hat sich die Führung der katholischen Kirche mit diesem Thema so gezielt auseinandergesetzt. Vor allem die Enthüllungen in Chile und in den USA im vergangenen Jahr hatten den Papst und seine Berater dazu bewogen, das Thema

    Am Wochenende setzte Franziskus im Vorfeld der Konferenz ein unmissverständliches Zeichen. Er entließ den ehemaligen Erzbischof von Washington und früheren Vertrauten, Theodore McCarrick, aus dem Priesterstand. Der 88-Jährige, dem Franziskus bereits im Juli die Kardinalswürde aberkannt hatte, sei in einer Untersuchung der Glaubenskongregation des sexuellen Fehlverhaltens für schuldig befunden worden. McCarrick soll in den 1980er und 90er Jahren als Bischof in den USA mehrere Minderjährige und Priesteramtskandidaten sexuell missbraucht haben. McCarrick ist der bislang höchste katholische Kleriker, der in den Laienstand versetzt wurde. Im Vatikan wird darauf hingewiesen, der Papst wolle mit der Entscheidung seine Linie der Null-Toleranz im Hinblick auf Missbrauch untermauern.

    Angesichts der Größe und Bedeutung des Themas wirkt das Bischofstreffen kurz. Zu Beginn der Konferenz mit dem unverfänglich klingenden Titel „Der Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ sollen den Teilnehmern per Video Aussagen von Betroffenen aus allen Kontinenten der Welt vorgespielt werden. Auch während der Konferenz werden Opfer zu Wort kommen, Opferverbände planen Konferenzen und Mahnwachen. Papst Franziskus hatte die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen vor dem Treffen aufgefordert, Betroffene zu persönlichen Gesprächen zu treffen. So sollten auch diejenigen Bischöfe sensibilisiert werden, in deren Kulturkreisen man immer noch nicht über sexuellen Missbrauch spricht.

    Wie groß die Unterschiede weltweit bei der Wahrnehmung des Themas sind, war bei der Bischofssynode zum Thema Jugend im Oktober sichtbar, als sich vor allem Bischöfe aus Afrika und Asien, aber auch aus Italien dagegen wehrten, die Formulierung „null Toleranz“ im Hinblick auf Missbrauch in das Abschlussdokument aufzunehmen. „Sexueller Missbrauch ist nicht nur ein europäisches, angelsächsisches oder westliches Problem, sondern kommt auf der ganzen Welt vor, auch dort, wo nicht darüber gesprochen wird“, sagt der deutsche Jesuit und Psychologe Hans Zollner, der das Kinderschutzzentrum an der päpstlichen Universität Gregoriana leitet. Er ist einer der Organisatoren der Konferenz.

    Die Erwartungen an das Treffen, das 18 Jahre nach den ersten großen Enthüllungen in den USA stattfindet, sind hoch. Die Männer des Papstes versuchen deshalb die übersteigerte Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an die Konferenz kenntlich zu machen. „Wenn einer denkt, in dreieinhalb Tagen könne man das Problem definitiv lösen, ist das realitätsfern“, sagt Pater Federico Lombardi. Der ehemalige Vatikansprecher moderiert die Veranstaltung, die im Plenum, aber auch in Sprachgruppen stattfinden wird und dem von Franziskus bevorzugten Diskussionsformat einer Synode ähnelt. Experten, darunter Kardinäle, Bischöfe, aber auch Laien werden Referate halten. Ein Abschlussbericht mit konkreten Zielen, Forderungen oder Anordnungen ist allerdings nicht zu erwarten.

    Der Papst wird vor der Abschlussmesse am Sonntag ein Schlusswort sprechen. Im Vorhinein teilte der Vatikan mit, es sei „wesentlich, dass die Bischöfe nach ihrer Rückkehr aus Rom die anzuwendenden Gesetze kennen sowie die notwendigen Schritte unternehmen, um Missbrauch zu verhindern, sich um die Opfer zu kümmern und sicherzustellen, dass kein Fall vertuscht oder begraben wird“. In den drei vollen Arbeitstagen sollen die Bischöfe vor allem im Umgang mit an sie gemeldeten Missbrauchsfällen geschult werden. Dabei spielt insbesondere das Thema ihrer Rechenschaftspflicht, der sogenannten accountability, eine Rolle. Während früher in der Kirche flächendeckend vertuscht wurde, hat auch der Papst inzwischen die Pflicht zur Aufklärung anerkannt.

    Im Jahr 2016 ordnete Franziskus einen Mechanismus für die Schaffung von Ad-hoc-Gerichten für vertuschende Bischöfe an. Wie genau die Prozesse funktionieren, wissen selbst im Vatikan die wenigsten. Die Zusammensetzung der Gremien ist ebenso unklar wie ihre Überwachung. Wie viele Bischöfe sich dabei bislang verantworten mussten, wissen Kirchenexperten nicht. Die Crux ist bis heute, dass letztendlich der Papst für die 5100 katholischen Bischöfe weltweit verantwortlich ist und die letzte Entscheidung hinter verschlossenen Türen trifft.

    Um wirkliche Fortschritte beim Kinderschutz zu machen, steht der katholischen Kirche eine Art Gewaltenteilung bevor, über die wohl kaum am kommenden Wochenende entschieden wird. Im Schlepptau des Themas Missbrauch harren einige für die Kirche existenzielle Fragen einer Antwort. Es geht letztendlich auch darum, „wie die Kirche insgesamt mit Macht umgeht“, sagt Organisator Zollner. Mittelfristig sei davon auszugehen, dass in der Kirche stärker über die Beteiligung von Laien und auch Frauen nachgedacht werde. „Denken Sie etwa an die Erzdiözese München-Freising, wo zahlreiche Laien und insbesondere Frauen in höheren Positionen sind“, sagt der Jesuit. So etwas habe Auswirkungen und finde Nachahmer.

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