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Urteil: BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht bei Sterbehilfe

Urteil

BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht bei Sterbehilfe

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    BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht bei Sterbehilfe
    BGH stärkt Selbstbestimmungsrecht bei Sterbehilfe Foto: DPA

    Dabei komme es nicht darauf an, ob der Abbruch durch aktive Handlungen erfolgt, also beispielsweise das Entfernen eines Ernährungsschlauchs. Auch bei bewusstlosen Patienten sei allein deren mutmaßlicher Wille entscheidend (Az. 2 StR 454/09). Juristen, Mediziner und die Evangelische Kirche bewerteten das am Freitag verkündete Urteil mehrheitlich positiv.

    Der BGH sprach den auf Medizinrecht spezialisierten Münchener Rechtsanwalt Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei. Putz hatte seiner Mandantin Elke Gloor geraten, den Ernährungsschlauch durchzuschneiden, über den ihre seit Jahren im Wachkoma liegende Mutter versorgt wurde. Die Patientin hatte ihrer Tochter gesagt, dass sie in einem solchen Fall nicht künstlich ernährt werden wolle. Das Pflegeheim weigerte sich jedoch, die Ernährung zu beenden. Der inzwischen verstorbenen Patientin war nach der Tat eine neue Magensonde gelegt worden, so dass sie zunächst überlebte. Allerdings starb die 77-Jährige kurze Zeit später.

    Das Heim habe "kein Recht, sich über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinwegzusetzen", sagte die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan in der Urteilsbegründung. Bei der Frage, ob lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen werden dürfen, komme es nicht darauf an, "ob die Grunderkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat". Entscheidend sei allein der Wille des Patienten. Hierbei zählten nicht nur schriftliche Patientenverfügungen, sondern auch mündlich geäußerte Wünsche.

    Bei der Abgrenzung zwischen erlaubter Sterbehilfe und verbotener Tötung auf Verlangen - auch "aktive Sterbehilfe" genannt - kommt es dem BGH zufolge nicht darauf an, ob nach dem äußeren Anschein eine aktive Handlung vorliegt. "Eine nur an Äußerlichkeiten orientierte Abgrenzung wird dem Unterschied nicht gerecht", sagte Rissing-van Saan. Der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen könne eine Vielzahl aktiver Maßnahmen umfassen, etwa das Abschalten eines Beatmungsgeräts. "Ein zulässiger Behandlungsabbruch kann nicht nur durch Unterlassen, sondern auch durch aktives Tun vorgenommen werden."

    Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte, das Urteil schaffe Rechtssicherheit im Spannungsfeld zwischen zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe. "Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen muss in allen Lebenslagen beachtet werden. Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen."

    Das Urteil gebe Ärzten und Angehörigen von Patienten Sicherheit, sagte die Vizepräsidentin der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Claudia Bausewein. Sie hoffe, dass es nun auch den Pflegeheimen leichter falle, den Patientenwillen zu respektieren. "Die Heime können sich nicht mehr sagen: Das ist Sterbehilfe und das machen wir nicht." Pflegepersonal in Heimen solle für derartige Situationen besser ausgebildet werden.

    Der Marburger Bund warnte vor einem falschen Verständnis des Urteils. "Der Freispruch für den Rechtsanwalt ist kein Freibrief für eigenmächtiges Vorgehen bei der Entscheidung über die Fortsetzung von lebenserhaltenden Maßnahmen", sagte der Vorsitzende Rudolf Henke. Aus dem Zustand des Wachkomas dürfe nicht abgeleitet werden, dass solche Menschen per se nicht mehr leben wollten.

    Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) begrüßte die Entscheidung. Der

    Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte, nach der christlichen Ethik gebe es "keine Verpflichtung des Menschen zur Lebensverlängerung um jeden Preis". "Einen Menschen sterben lassen ist bei vorher verfügtem Patientenwillen nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten."

    Die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte hingegen das Urteil. Für die katholische Kirche sei die grundlegende Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe maßgebend. Dies "scheint uns in dem Urteil nicht genügend berücksichtigt zu sein", hieß es in einer Erklärung der Bischofskonferenz.

    In erster Instanz hatte das Landgericht Fulda Putz wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt. In der Revisionsverhandlung vor dem BGH hatten sowohl die Verteidigung als auch die Bundesanwaltschaft einen Freispruch gefordert.

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