Es sind Zahlen mit 15, 16 oder sogar 17 Nullen. Mit ihnen schätzt die japanische Behörde für nukleare und industrielle Sicherheit (NISA) die Radioaktivität ab, die aus den vier havarierten Kernkraftwerksblöcken am japanischen Standort Fukushima Eins an die Umwelt gelangt ist. Zum Vergleich: Die Zahlen, die sich auf die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 beziehen, haben eine Dezimalstelle mehr, bis zu 18 Nullen.
„Die freigesetzte Menge radioaktiven Materials beträgt zum gegenwärtigen Zeitpunkt schätzungsweise zehn Prozent des Wertes nach dem Tschernobyl-Unfall“, folgert die Behörde in dem im Internet veröffentlichten Dokument. Dies soll die gute Nachricht darstellen. Denn die Experten aus Tokio haben auch eine schlechte Nachricht parat: Das Desaster von Fukushima muss auf der Skala atomarer Störfälle in die höchste Stufe mit der Nummer 7 eingeordnet werden, auf der bisher als einziges Ereignis das Unglück von Tschernobyl rangierte. Zuvor war in Japan nur von einem „ernsten Unfall“ (Stufe 5) die Rede gewesen.
Jod ist einige Tage, Cäsium jahrzehntelang aktiv
Besonders radioaktives Jod-131 und Cäsium-137 sind in die Umwelt gelangt und strahlen. Bei ihnen handelt es sich um typische Radionuklide, die auf einen Reaktorunfall hinweisen. Ihre „Aktivität“ – also die Anzahl radioaktiver Zerfälle pro Sekunde – wird in der Maßeinheit Becquerel angegeben. Die gemessenen Zahlen bewegen sich in Bereichen von Billiarden bis Trillionen. Die Stoffe wirken unterschiedlich lange auf die Umwelt ein: Das Jod hat eine Halbwertszeit von nur wenigen Tagen, bei Cäsium beträgt sie hingegen 30 Jahre.
Dass dies verhängnisvolle Konsequenzen nach sich ziehen wird, bestätigt das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz: „Die vorliegenden Daten legen nahe, dass bereits die bisher freigesetzte Radioaktivität langfristige Auswirkungen sowohl auf die Umwelt als auch auf die Menschen in der Region um Fukushima haben wird. Es ist davon auszugehen, dass in der Region hergestellte Lebensmittel auch längerfristig stärker kontaminiert sein werden.“
Die Belastung für Lebewesen um das AKW Fukushima Eins ist auf Dauer problematisch. Maßeinheit für die Dosis, der ein biologischer Organismus ausgesetzt ist, sind üblicherweise Mikrosievert. Kürzlich wurden in der 20-Kilometer-Zone in der Luft Werte von bis zu 50 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Auf einem Spielplatz in Fukushima City, rund 60 Kilometer von den Reaktoren entfernt, fand ein Team Werte von bis zu vier Mikrosievert pro Stunde. In der Stadt Koriyama seien es 2,8 Mikrosievert pro Stunde gewesen.
Als in Südbayern die Werte anstiegen
Zum Vergleich: Die natürliche Radioaktivität in Deutschland beträgt rund 0,3 Mikrosievert. Nach Tschernobyl war die Strahlenbelastung zum Beispiel im Münchner Raum für etwa zwei Tage auf rund ein Mikrosievert je Stunde gestiegen und danach allmählich wieder gefallen. Weitere Vergleichsbeispiele laut Bundesamt für Strahlenschutz: Bei einem Flug nach Japan ist man einer Strahlung aus dem Weltall von bis zu 100 Mikrosievert ausgesetzt. Astronauten auf der Umlaufbahn müssen mit einer zusätzlichen Strahlenbelastung von über 100 Mikrosievert je Stunde rechnen.
Anders als im Fall Tschernobyl findet in Fukushima eine schleichende Freisetzung von Radioaktivität statt. Im einstigen sowjetischen Standort, der heute auf dem Territorium der Ukraine liegt, hatte es hingegen am 26. April 1986 in Block 4 eine schwere Explosion gegeben, die das gesamte Dach zerstörte. Zusätzlich kam es zu einem Brand, dem das Graphit, das sich im Reaktor befand, reichlich Nahrung gab. Die gewaltige Hitze schleuderte radioaktives Material bis in Höhen von zehn bis 15 Kilometern, von wo aus es mit dem Wind über ganz Europa verteilt wurde.
In Fukushima dagegen, wo es kein Feuer gibt, erwarten Experten, dass radioaktive Partikel nicht in große Höhen gelangen und hauptsächlich in einem Umkreis von 300 bis 500 Kilometern verteilt werden. Spuren der Radioaktivität, die sich hart an der Nachweisgrenze befinden, werden indes auch auf anderen Kontinenten gemessen werden können. In Europa, so beruhigen die deutschen Strahlenschützer, seien aber „keine gesundheitlichen Auswirkungen“ zu erwarten.