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Unglück in Genua: Experte: "Seit Jahren lebt Deutschland von der Substanz"

Unglück in Genua

Experte: "Seit Jahren lebt Deutschland von der Substanz"

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    Nach dem Einsturz einer Brücke in Genua gerät auch der Zustand der deutschen Verkehrswege in den Blick.
    Nach dem Einsturz einer Brücke in Genua gerät auch der Zustand der deutschen Verkehrswege in den Blick. Foto: Antonio Calanni, AP/dpa

    Nach dem Einsturz einer Brücke in Genua , bei dem mindestens 42 Menschen ums Leben gekommen sind, diskutiert auch Deutschland über die Sicherheit von Brücken. Nach einem Bericht des Verkehrsministeriums aus dem vergangenen Jahr, der unserer Redaktion vorliegt, müsste alleine der Bund 16,4 Milliarden Euro in die Ertüchtigung seiner fast 40.000 Brücken auf Autobahnen und Bundesstraßen investieren.

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    Der Anteil der bei den regelmäßigen Überprüfungen mit „sehr gut“ oder „gut“ bewerteten Brücken ist in den vergangenen zehn Jahren von 17 auf nur noch 13 Prozent gesunken. Als „besonders kritisch“ gilt die Situation an großen Autobahnbrücken mit einer Länge von 100 Metern und mehr.

    Als Hauptgrund für den Verfall sehen Experten den zunehmenden Schwerlastverkehr. Rund elf Prozent der Brücken befinden sich nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen in einem „nicht ausreichenden“, zwei Prozent sogar in einem „ungenügenden“ Zustand. Auch in Bayern gibt es immer wieder Zwischenfälle oder Sperrungen. 2005 drohte die Autobahnbrücke über den Lech bei Augsburg abzusacken. 2016 stürzte ein Neubau im Kreis Schweinfurt teilweise ein.

    Eine Katastrophe wie in Italien hält CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange in Deutschland trotzdem für sehr unwahrscheinlich: „Einen Einsturz einer Autobahnbrücke schließe ich aus, da die Sicherheit durch regelmäßige Prüfungen gewährleistet wird“, sagte der Nördlinger Abgeordnete. Mit dem Brückensanierungsprogramm würden systematisch die aufgrund der gestiegenen Verkehrsbelastungen beschädigten Brücken modernisiert oder ersetzt.

    "Kein Schicksal, menschliches Versagen"

    In Genua ging auch am Mittwoch die Suche nach Vermissten in den Trümmern weiter. Und die Suche nach den Schuldigen an der Tragödie. Während eines schweren Unwetters war die rund 40 Meter hohe Brücke auf einem etwa 100 Meter langen Stück in sich zusammengebrochen, hatte Fahrzeuge in die Tiefe gerissen und unter sich begraben.

    Die italienische Regierung macht den privaten Autobahnbetreiber dafür verantwortlich. Gegen Autostrade per l’Italia seien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, teilte Verkehrsminister Danilo Toninelli mit. „Es war kein Schicksal, es war menschliches Versagen“, sagte der Staatsanwalt von Genua, Francesco Cozzi.

    Innenminister Matteo Salvini schiebt die Schuld auch Brüssel zu. Der Rechtspopulist schimpfte über die Schuldenregeln der EU, „die uns daran hindern, das nötige Geld für die Sicherheit unserer Autobahnen auszugeben“.

    Grüne: "Endlich um marode Brücken kümmern"

    Während Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ablehnt, die deutsche mit der italienischen Straßeninfrastruktur zu vergleichen („Wir haben unsere Brücken im Griff“), tut Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, genau das: „Meine Sorge ist, dass die deutsche Verkehrsinfrastruktur nicht wesentlich besser ist als die italienische. Seit Jahren lebt Deutschland von der Substanz“, sagte er unserer Redaktion. Bis zu zehn Milliarden Euro zusätzlich seien nötig, „um auch nur den Wert der Verkehrsinfrastruktur zu erhalten“. Auch im internationalen Vergleich stehe man schlecht da.

    Der Grünen-Verkehrs-Experte Anton Hofreiter macht dafür die Regierung verantwortlich: „Anstatt bestehende Straßen- und Bahnbrücken zu erhalten, setzten die Bundesverkehrsminister mehr als zehn Jahre vor allem auf Neubau-Orgien, Wahlkreisprojekte, CSU-Pkw-Maut-Wahnsinn und kostspielige Privatisierungsexperimente.“

    Die Grünen fordern daher eine langfristige Festschreibung einer Sanierungsoffensive für Deutschlands marode Brücken über 2020 hinaus, um den Sanierungsstau endgültig aufzulösen. "Allein 1100 Bahnbrücken sind schrottreif und müssen dringend erneuert werden", sagte Hofreiter unserer Redaktion. "Darüber hinaus müssen Prüf- und Genehmigungsbehörden des Bundes und der Länder endlich personell und finanziell gut ausgestattet werden."

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