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Ukraine: Der Timoschenko-Test: Heute droht Haftstrafe

Ukraine

Der Timoschenko-Test: Heute droht Haftstrafe

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    Die frühere Premierministerin soll ihr Amt missbraucht haben. Am Dienstag fällt das Urteil. Ihr droht eine Haftstrafe – und ihrem Land die Isolation.
    Die frühere Premierministerin soll ihr Amt missbraucht haben. Am Dienstag fällt das Urteil. Ihr droht eine Haftstrafe – und ihrem Land die Isolation. Foto: dpa

    Sie setzt sich in Szene und spielt die Desinteressierte. Eine „Clownade“ sei der Prozess, in dem sie sich wegen Amtsmissbrauchs verantworten muss, zischt sie nur. Die Beschuldigte beschuldigt alle: die Justiz, den Staat, ihre Feinde. Sie feiert ihre politische Auferstehung – und könnte doch heute für sieben Jahre ins Gefängnis kommen. Julia Timoschenko, das Aushängeschild der Orangen Revolution in der Ukraine, sieht sich als Opfer in einem Staat, der den Kurs hinein nach Europa immer mehr aushöhlt. Der politische Schauprozess gegen die einstige Regierungschefin ist ein weiterer Schritt in die Halbdiktatur – in einem Land, das sich einst hehren demokratischen Zielen verschrieben hat, im herbstlichen Schneetreiben des Jahres 2004.

    Kiew steckt in einem Dilemma. Präsident Viktor Janukowitsch weiß das. Gibt er nach, offenbart er seine innenpolitische Schwäche. Lässt er die hohe Strafe gegen die Widersacherin zu, verprellt er den Westen und isoliert sein Land. Das will er vermeiden. Also wagt der Staat den Spagat und verkennt, dass er bereits mit Schmerzen zu kämpfen hat.

    Als Russland den Gashahn zudrehte

    Die Anklage führt ins Jahr 2009, zur Gaskrise zwischen der Ukraine und Russland. Schon zuvor hat sich die Ukraine geweigert, Schulden in Höhe von 2,1 Milliarden Dollar an das russische Staatsunternehmen Gazprom zu zahlen. Russland reagiert drastisch und stellt den Gasimport nach Europa am 7. Januar 2009 komplett ein. Erst zwölf Tage später einigen sich Russlands Ministerpräsident Putin und Timoschenko, damals ebenfalls an der Spitze der Regierung, auf einen neuen Vertrag. Der Gaspreis steigt für die Ukraine von 230 auf 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter an. Russland verkauft danach ohne den Zwischenhändler Rosukrenergo, einer jener unerschöpflichen Geldquellen, mit denen die Hintermänner des heutigen ukrainischen Regimes um Präsident Janukowitsch die politischen Kampagnen finanzieren. Ein Grund, warum gerade die Gasgeschäfte für die Anklage herhalten müssen? Jedenfalls soll Timoschenko mit dem Vertrag ihrem Land einen Schaden von 137 Millionen Euro zugefügt haben.

    Vor dem Gericht in Kiew skandieren die Menschen „Julia, Julia“. Laut, vertraut, freundschaftlich. Es sind nicht viele, die kommen. Doch insgeheim hat „Julia“ noch viele Anhänger. Trotz der Enttäuschung über ihre Politik. Timoschenko gibt gern die Märtyrerin. Eine Heilige ist sie aber nicht. Die 50-Jährige ist ihre eigene Oligarchin. Die frühere Holding der „Gasprinzessin“ erwirtschaftete zwischen 1995 und 1997 im Energiehandel Jahresumsätze von zehn Milliarden Dollar. Mit ihrem damaligen Mann Olexander beherrschte die Unternehmerin den Gasmarkt der Ukraine. Ihren Besitz bezeichnet sie als „irgendwelche Ersparnisse“. In ihrer Partei „Bjut“ sitzen weitere Millionäre aus der Stahl- und Spirituosenbranche.

    Als ein politischer Rosenkrieg tobte

    Die Tochter einer Ukrainerin und eines Armeniers hat sich im Jahr 2000 an die Spitze der Bewegung „Ukraine ohne Kutschma“ gestellt – der Strömung, die zur Orangen Revolution führte und 2005 der damals 44-Jährigen zum Posten der Ministerpräsidentin verhalf. Timoschenko gab sich als verbissen-ehrgeizige Politikerin, übernachtete auch mal auf dem Feldbett im Amtsbüro und neigte hie und da zum Populismus. Das Volk liebte die Revolutionsantreiberin mit dem auffälligen Haarkranz. Zusammen mit Präsident Viktor Juschtschenko brachte sie Tausende Menschen auf die Straße.

    Doch kaum waren die Weggefährten an der Macht, lieferten sie sich einen politischen Rosenkrieg und enttäuschten ihre Wähler, die für Freiheit in der Kälte ausharrten. Die meisten wandten sich ab. Juschtschenko versank in der Bedeutungslosigkeit und Timoschenko verlor die Wahlen – ausgerechnet zugunsten ihres einstigen Gegners Janukowitsch, den sie Ende 2004 erfolgreich davongejagt hatte.

    Nicht einmal zwei Jahre nach seiner Rückkehr an die Macht hat Janukowitsch seine Rivalin nun dort, wo sein Ziehvater Leonid Kutschma sie bereits 2001 hatte – im Untersuchungsgefängnis. Damals hatten die Richter die Anklage wegen Schmuggels und Urkundenfälschung fallen gelassen. Bei der heutigen Urteilsverkündung steht viel mehr auf dem Spiel. Für Timoschenko und die Ukraine.

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