In Russland haben sowohl die Kremlpartei Geeintes Russland als auch die Opposition die von der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny überschatteten Regionalwahlen für sich als Erfolg gewertet.
In der Metropole Nowosibirsk, die drittgrößte Stadt Russlands, ist die Kremlpartei seit Sonntag nicht mehr stärkste Kraft im Stadtrat. "Hurra, wir haben die Stadt von Geeintes Russland befreit", schrieb der regionale Stab des Nawalny-Lagers am Montag bei Twitter. Doch trotz der Erfolge der Opposition wird Russland weiterhin von einer einzigen Partei dominiert.
Bei den Abstimmungen in vielen Regionen des Riesenreichs ging es um mehr als nur um neue Gouverneure, Bürgermeister, Stadträte und Abgeordnete der Staatsduma. Sie war für den Kreml zugleich ein Stimmungstest im Land seit Beginn der Corona-Pandemie. Die Arbeitslosigkeit ist enorm, auch die Armut ist vielerorts deutlich gestiegen. Der Unmut über ungelöste Umweltprobleme treibt zudem viele in Russland um. Ganz im Osten des Landes, in Chabarowsk, gehen seit zwei Monaten Tausende auf die Straße, um sich auch über einen zu großen Einfluss Moskaus auf die Region zu beklagen.
In der Stadt Tomsk, wo sich Nawalny zuletzt aufhielt, schafften zwei seiner Mitarbeiter nach vorläufigen Angaben den Einzug in den Stadtrat, wie die Agentur Interfax meldete. Dort verlor die Kremlpartei ihre Mehrheit. In Nowosibirsk wurde Sergej Boiko von Nawalnys Team in das Stadtparlament gewählt. Boiko arbeitet bereits seit drei Jahren für den Kremlkritiker. Nawalny unterstützte den 37-Jährigen auch im August aktiv. Boikos Team wurde vor der Wahl auch angegriffen, Unbekannte griffen das Büro mit Chemikalien an.
Trotz der Erfolge in einzelnen Städten hält die Kremlpartei weiter alle wichtigen Posten. Ex-Ministerpräsident Dmitri Medwedew, der auch Parteichef von Geeintes Russland ist, hatte schon nach Schließung der letzten Wahllokale seine Partei zum Sieger erklärt. Alle von Geeintes Russland unterstützten Gouverneure in den 18 Regionen bleiben den jeweiligen Wahlleitungen zufolge im Amt. Allein sechs erhielten Zustimmungswerte von über 80 Prozent.
Die Abstimmung war dem Kreml besonders wichtig, weil Moskau über die Leiter der Regionen direkt Einfluss auf die Politik in den einzelnen Landesteilen nimmt. "Das Ergebnis ist zugunsten der Staatsmacht ausgefallen", sagte der Politologe Michail Winogradow dem Radiosender Echo Moskwy. Die Arbeitslosigkeit und die Corona-Krise hätten zwar für viel Frust in der Bevölkerung gesorgt. Eine Protestwahl habe es aber dennoch nicht gegeben, weil die Vergiftung Nawalnys und die Proteste die Aufmerksamkeit von diesen wichtigen Themen weglenkte.
Die Opposition musste diesmal ohne Nawalny auskommen. Sein Team hatte zu der Strategie einer so bezeichneten "klugen Abstimmung" aufgerufen, um das Machtmonopol der Kremlpartei zu brechen. Dabei sollen die Wähler immer für den vielversprechendsten Kandidaten abstimmen, der nicht von Geeintes Russland kommt. Mit dieser Taktik hatte das Team auch schon im Vorjahr Erfolge verbucht.
Nawalnys Vertraute, die Juristin Ljubow Sobol, schrieb bei Twitter: "Geeintes Russland ist trotz allem mit einem lauten Knall gescheitert. Das bedeutet, dass die "kluge Abstimmung" funktioniert." Der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin sagte: "Die Praxis hat gezeigt, dass es immer noch sehr schwierig ist, gegen diese Strategie vorzugehen." Das sei eine wirksame Taktik.
Nawalny wurde bei einer Reise durch Sibirien vergiftet, wo er auch seine Mitstreiter für die Regionalwahlen unterstützte. Auf ihn soll mit einem als Chemiewaffenkampfstoff verbotenen Nervengift der Gruppe Nowitschok ein Mordanschlag verübt worden sein. Russland bestreitet, etwas mit dem Fall zu tun zu haben. Das Berliner Klinikum Charité, wo Nawalny behandelt wird, teilte am Montag mit, dass der Patient nicht mehr beatmet werden muss und kann sein Krankenbett zeitweise verlassen kann.
Zum ersten Mal überhaupt waren Millionen Wähler drei Tage lang zur Stimmabgabe aufgerufen, damit sich in den Wahllokalen wegen der Corona-Pandemie keine Schlangen bilden sollten. Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin meinte, das habe sich positiv auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt. Kritiker sehen darin die Gefahr von Fälschungen, weil eine Kontrolle schwerer möglich sei.
Unabhängige Wahlbeobachter sprachen von mehr als 1000 Berichten über mögliche Verstöße. Sie seien zugleich vielfach an ihrer Arbeit gehindert worden, beklagten sie. Dagegen sagte Russlands Wahlleiterin Ella Pamfilowa, alles sei insgesamt "ruhig und sauber" verlaufen.
Die Abstimmung galt zugleich als Testlauf für die Parlamentswahl im nächsten Jahr. Die Kremlpartei dürfte dann um ein besseres Abschneiden als jetzt bei der Wahl zum Regionalparlament der Republik Komi bemüht sein: Mit 28,8 Prozent war es Medien zufolge das landesweit schlechtes Ergebnis für Russlands dominierende Partei.
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Zentrale Wahlkommission Russland