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Unsere Autoren berichten: Überforderte Nachbarn: So kämpft Europa mit dem Coronavirus

Unsere Autoren berichten

Überforderte Nachbarn: So kämpft Europa mit dem Coronavirus

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    Stillstand in Barcelona: Als Teil der neuen Corona-Restriktionen ordneten die Behörden im Nordosten Spaniens an, alle Bars und Restaurants für zwei Wochen zu schließen.
    Stillstand in Barcelona: Als Teil der neuen Corona-Restriktionen ordneten die Behörden im Nordosten Spaniens an, alle Bars und Restaurants für zwei Wochen zu schließen. Foto: Emilio Morenatti, AP/dpa

    Frankreich: Um 21 Uhr ist Schluss

    Mit strikten Maßnahmen wie einer Sperrstunde soll die Seuche aufgehalten werden.

    Am Montagabend wurde in Frankreich eine neue, bedrohliche Grenzmarke überschritten: Mehr als 2000 Menschen befinden sich nun landesweit wegen einer Infektion mit dem Coronavirus auf der Intensivstation. In manchen Regionen, vor allem im Großraum Paris, gilt die Situation in den Krankenhäusern als alarmierend; nicht zwingende Operationen werden aufgeschoben. Landesweit werden mehr als 1,2 Millionen Tests pro Woche durchgeführt. Täglich infizieren sich zigtausende Menschen neu – letzte Woche waren es laut Präsident Emmanuel Macron im Schnitt 20.000 Personen pro Tag. Seit Ausbruch der Pandemie zählt Frankreich mehr als 33.600 Corona-Tote.

    Die Maskenpflicht gilt seit Monaten in allen Ämtern, Geschäften, öffentlichen Transportmitteln und in den meisten Städten auch draußen. Angestellte in Unternehmen müssen ständig einen Mund-Nasen-Schutz tragen und werden dazu angehalten, zwei bis drei Tage pro Woche Home-Office zu machen.

    Das Militär patrouilliert in der Nähe des Louvre-Museums. Wegen der drastisch steigenden Corona-Zahlen gilt in Paris und anderen französischen Städten eine nächtliche Ausgangssperre.
    Das Militär patrouilliert in der Nähe des Louvre-Museums. Wegen der drastisch steigenden Corona-Zahlen gilt in Paris und anderen französischen Städten eine nächtliche Ausgangssperre. Foto: Lewis Joly, AP/dpa

    Anders als während der ersten Welle, in der es zu einem strikten Lockdown kam, beschränkte die Regierung in den derzeitigen Herbstferien die Reisefreiheit der Franzosen nicht – man möchte den gebeutelten Tourismus-Sektor wohl nicht noch mehr belasten. Allerdings gilt seit Samstag für den Großraum Paris sowie für acht weitere Städte, darunter Lyon, Lille und Marseille, eine Ausgangssperre zwischen 21 und 6 Uhr des Folgetags. Wer in dieser Zeit draußen unterwegs ist, braucht eine schriftliche Begründung, sonst fällt eine Strafe in Höhe von 135 Euro an, die bei einer Wiederholung auf 1500 Euro ansteigt.

    Diese Maßnahme gilt zunächst einen Monat lang und soll – wie von Macron gewünscht – auf insgesamt sechs Wochen ausgedehnt werden. Den Gastronomen und Beschäftigten in der Kulturindustrie hat die Regierung Entschädigungen für die massiven Einnahmeverluste versprochen. Auch wurde die sehr großzügige Kurzarbeitergeld-Regelung verlängert.

    Von Birgit Holzer

    Polen: „Nähern uns dem Kollaps“

    Aus dem Nationalstadion wird ein provisorisches Krankenhaus.

    Eine Fußballarena wird zum Feldlazarett. In den Innenräumen des Warschauer Nationalstadions werden in den kommenden Tagen 500 provisorische Klinikbetten eingerichtet. Doch das dürfte nur der Anfang sein. Denn wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Polen weiter so rasant steigt wie zuletzt, dann droht schon bald der medizinische Notstand. „Der kritische Moment in dieser Pandemie kommt, wenn die Versorgung in den Krankenhäusern kollabiert“, sagt der Epidemiologe Tomasz Ozorowski und warnt: „Diesem Punkt nähern wir uns.“ Dabei war Polen bislang gut durch die erste Welle gekommen. Nun aber leuchtet die Corona-Ampel in immer mehr Regionen rot.

    Knapp 10.000 Neuinfektionen pro Tag meldeten die Behörden zuletzt. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag landesweit bei 138, in Schlesien sogar bei 230. Zum größten Problem aber droht das marode, notorisch unterfinanzierte Gesundheitssystem zu werden. Diese Angst treibt auch die rechtsnationale PiS-Regierung in Warschau um, die als zentrale Schwachstelle allerdings den menschlichen Faktor ausgemacht hat. Vizepremier Jacek Sasin erklärte angesichts der jüngsten Schreckensmeldungen: „Wir haben genug Betten, Beatmungsgeräte und die nötigen medizinischen Mittel. Leider fehlt es bei einem Teil der Ärzteschaft am Willen, alle Pflichten zu erfüllen.“ Applaus für Corona-Helden auf den Intensivstationen? Fehlanzeige.

    Der Sturm der Entrüstung war entsprechend heftig. Tatsächlich häuften sich zuletzt die Berichte über Beschäftigte in Krankenhäusern und Gesundheitsämtern, die am Rande der Erschöpfung arbeiten – und sich deshalb krankmelden. „Wir können einfach nicht mehr“, zitierte die Gazeta Wyborcza einen Mitarbeiter aus dem Sanitätsdienst.

    Eine Lösung für die akute Krise ist nicht in Sicht, weil die Probleme chronisch sind. Im EU-Vergleich liegt Polen bei den Gesundheitsausgaben pro Kopf auf dem fünftletzten Platz.

    Von Ulrich Krökel

    Niederlande: Es knirscht an allen Ecken

    Die Corona-App kommt mit sieben Monaten Verspätung.

    Das Coronavirus schlägt in der zweiten Welle hart zu in den Niederlanden, und die Bürger machen Party. Touristen wunderten sich bereits in den Sommermonaten darüber, wie locker es die Niederländer mit der Corona-Krise nahmen. Kaum war der erste „intelligente Lockdown“ am 1. Juni vorbei, ging das normale Leben wieder voll weiter. Keine Masken, keine Kontrollen, aber dichtes Gedränge in Geschäften und Kneipen. Niederländern messen den Wert des Lebens gerne daran, wie „gezellig“ es ist.

    Inzwischen greift das Coronavirus in Windeseile um sich. Binnen 24 Stunden wurden am Freitag zuletzt knapp 8000 Neuinfektionen gemeldet – in einem Land mit gut 17 Millionen Einwohnern. Bedrohlich ist die Lage in Krankenhäusern und auf Intensivstationen. Die Notaufnahmen in Großstädten müssen bereits zeitweilig geschlossen werden. Es gibt zu wenig Betten und zu wenig Personal, und vor den Türen stehen die Krankenwagen mit Patienten Schlange.

    Alle Alarmsignale stehen auf Rot. Die Lage sei bedrohlicher als im Frühjahr, sagte der Amsterdamer Virologe Hans Zaaijer der Zeitung De Telegraaf. „Wir befinden uns im Vorlauf einer Katastrophe.“ Um die abzuwenden, verhängte Premier Mark Rutte den „Teil-Lockdown“. Unter anderem Gaststätten sind geschlossen und eine Maskenpflicht wird eingeführt.

    Doch schon das Testen funktioniert nicht – trotz aller Versprechen. Die Gesundheitsämter haben viel zu wenig Mitarbeiter und die Labors erschreckend wenig Kapazitäten. Sie sind auch hoffnungslos damit überfordert, die Kontaktpersonen aufzuspüren. Die im März mit viel Tamtam angekündigte Corona-App wurde erst sieben Monate später, in der vergangenen Woche, eingeführt. Auch die Kapazität der Krankenhäuser reicht hinten und vorne nicht. Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es rund 1150 Betten auf Intensivstationen. Im Vergleich: Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es über 6000.

    Von Annette Birschel

    Italien: „Keine Minute verlieren“

    Die Infektionszahlen haben sich innerhalb einer Woche verdoppelt.

    Italien galt als Land, das nach den Erfahrungen im Frühjahr Lehren aus der Pandemie gezogen hatte. Nun droht aber dennoch ein schrittweiser Rückfall in den Lockdown. Wegen der steigenden Ansteckungszahlen planen die Regionen Lombardei und Kampanien eine nächtliche Ausgangssperre. Beide Gouverneure kündigten am Dienstag an, die Zentralregierung in Rom um die Genehmigung zu bitten. In Kampanien soll die Ausgangssperre zwischen 23 und 5 Uhr am Freitag beginnen. In der Lombardei bereits einen Tag zuvor.

    „Der Anstieg der Kurve ist objektiv besorgniserregend“, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte über die steigenden Ansteckungszahlen. Die Regierung wolle eine generelle Ausgangssperre im Land wie im März verhindern. „Doch wenn die Maßnahmen keinen Effekt haben, werden wir gezwungen sein, begrenzte Lockdowns einzuführen“, fügte der Regierungschef hinzu. Am Sonntag hatte die Regierung die Auflagen nur leicht verschärft. Bars und Cafés müssen von Donnerstag an um 18 Uhr schließen, wenn Kunden nicht an Tischen bedient werden können. Nicht mehr als sechs Personen dürfen zusammensitzen. Bürgermeister können künftig ab 21 Uhr überfüllte Straßen und Plätze sperren.

    Inzwischen ein normales Bild in Italien: Maskenträgerinnen und -träger, wohin man blickt.
    Inzwischen ein normales Bild in Italien: Maskenträgerinnen und -träger, wohin man blickt. Foto: Cecilia Fabiano/LaPresse, AP/dpa

    In der Lombardei, die besonders hart von der Pandemie getroffen wurde, hält man diese Maßnahmen offenbar für ungenügend. Nach Medienberichten bereitet sich die Region mit der Metropole Mailand auf ein zunächst für drei Wochen geltendes nächtliches Ausgangsverbot zwischen 23 und 5 Uhr vor. Experten fordern aber insbesondere für Mailand härtere Einschränkungen. „Wir dürfen keine Minute verlieren“, sagte Antonio Pesenti, der regionale Koordinator der Intensivstationen.

    In Italien haben sich die Ansteckungszahlen zuletzt verdoppelt. Vor einer Woche waren landesweit 4619 positive Tests gezählt worden, Anfang dieser Woche waren es 9338.

    Von Julius Müller-Meiningen

    Spanien: Eine Million Infektionen

    Die Lage im Urlaubsland spitzt sich zu. Auch die Hauptstadt Madrid ist Sperrgebiet.

    Das Urlaubsland Spanien, einer der europäischen Corona-Hotspots, steuert auf einen traurigen Rekord zu: Das südeuropäische Königreich, das von der zweiten Infektionswelle schon im Sommer überrollt wurde, hat seit Beginn der Epidemie im März bereits nahezu eine Million durch Tests bestätigte Corona-Fälle registriert. Bis Dienstag meldete das Gesundheitsministerium 974.500 Fälle. Täglich wurden zuletzt 13.000 neue Infektionen erfasst.

    Obwohl Spanien deutlich früher als die Nachbarn von der zweiten Welle getroffen wurde, gelang es den Gesundheitsbehörden bisher nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Ganz im Gegenteil: Die Corona-Lage spitzt sich weiter zu: Die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz kletterte mittlerweile auf 153 Fälle pro 100.000 Einwohner – das ist der höchste Stand seit Beginn der Pandemie im Frühjahr und drei Mal so viel wie der entsprechende Wert in Deutschland.

    Polizisten patrouillieren auf einer Straße in Pamplona.
    Polizisten patrouillieren auf einer Straße in Pamplona. Foto: Alvaro Barrientos, AP/dpa

    Auch hinsichtlich der Toten, die im Zusammenhang mit Covid-19 registriert werden, gehört Spanien zu den europäischen Sorgenkindern. In den letzten vier Wochen wurden in Spanien 3329 Corona-Tote gemeldet; allein in Madrid waren es 991. Spanien hat nach der Statistik des EU-Zentrums für Krankheitskontrolle (ECDC) nach Rumänien die höchste Letalitätsrate auf dem Kontinent. Seit Epidemie-Beginn starben nach den offiziellen Zahlen nahezu 34.000 Menschen.

    Auch Spanien versucht die Ausbreitung der Ansteckungen mit Beschränkungen des öffentlichen Lebens zu bekämpfen. Etliche Städte, zum Beispiel Madrid oder Burgos, sind derzeit Sperrgebiet. Mancherorts wurden Gastronomiebetriebe ganz geschlossen, wie etwa in Katalonien, oder es wurde die Sperrstunde vorgezogen. Die Regionen Madrid und Katalonien erwägen mittlerweile auch nächtliche Ausgangssperren. Doch die renommiertesten Epidemiologen des Landes werfen den örtlichen Gesundheitsbehörden vor, viel zu spät reagiert zu haben. Verantwortlich sind in Spanien die Regionalregierungen.

    Von Ralph Schulze

    Großbritannien: Über 43.000 Tote

    Das Königreich ist in Europa von Corona am schlimmsten betroffen.

    Als Boris Johnson vor einigen Wochen die „Rule of Six“ einführte und damit jegliche Zusammenkünfte von mehr als sechs Menschen verbot, bereiteten Dutzende von konservativen Abgeordneten eine Revolte gegen den mit Notstandsbefugnissen regierenden Premierminister vor. Die Rebellion aus den eigenen Reihen konnte er beruhigen, indem er zurückruderte. Die Parlamentarier haben wieder das Recht, über die Maßnahmen abzustimmen, die ständig ausgeweitet werden. Denn die Corona-Lage im Königreich spitzt sich zu: Im Schnitt werden rund 19.000 Neu-Ansteckungen pro Tag gemeldet, die Zahl der Todesfälle lag am Dienstag bei 162 für die vergangenen 24 Stunden. Das Königreich ist mit bislang knapp 44.000 Toten das am schlimmsten betroffene Land Europas.

    Doch welche Regelung gilt für welche Gegend? Kritiker prangerten immer wieder die kaum zu überblickenden Vorschriften als uneinheitlich und die Kommunikation aus der Downing Street als verwirrend an. Während Wales, Schottland und Nordirland dezentrale Landesregierungen haben und über lokale Einschränkungen selbst entscheiden können, regiert Johnson als Premier und englischer Landes-Chef. Das sorgt vor allem im Norden Englands für Unmut.

    Ernster Blick: Die Corona-Lage im Königreich spitzt sich zu.
    Ernster Blick: Die Corona-Lage im Königreich spitzt sich zu. Foto: Toby Melville, PA Wire/dpa

    Um den Vorgaben-Katalog zu vereinfachen, stellte Johnson vor zwei Wochen ein Drei-Stufen-System vor. Mit dem Warnsystem werden unterschiedlich betroffene Gegenden je nach Infektionsgeschehen in eine von drei Risikostufen eingeteilt und dann bestimmten zusätzlichen Restriktionen unterworfen. Pubs, Bars, Wettbüros und Fitnessstudios sind in der höchsten Stufe geschlossen, während Schulen, Unis und Geschäfte offen bleiben.

    In Städten und Regionen der Stufe zwei, wo London steht, dürfen Pubs und Bars weiterhin ausschenken, doch den Menschen ist untersagt, Angehörige anderer Haushalte in geschlossenen Räumen zu treffen. Im Rest Englands gelten die bisherigen Einschränkungen wie die Sperrstunde um 22 Uhr.

    Von Katrin Pribyl

    Lesen Sie dazu auch: Warum die Briten plötzlich neidisch auf Merkel sind

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