Viel Zeit bleibt nicht. Die Linksradikalen wollen das Land an China verraten, Joe Biden bereitet die Abschaffung des Heiligen Abends vor, und die Weihnachtsdeko wird auch schon knapp. „Ich kann deinen Baumschmuck nur für eine Stunde reservieren, dann muss ich ihn an einen anderen Patrioten abgeben“, mahnt Donald Trump Jr., der Sohn des amerikanischen Ex-Präsidenten: „Bitte überweise sofort 75 Dollar.“
Glaubt man dem forschen Jungunternehmer, ist das Geld gut angelegt. Im Gegenzug erhält der Spender eine wenige Zentimeter kleine rote Miniatur-Kappe mit einem goldenen Aufhänger für den Tannenzweig und einem übergroßen „TRUMP“-Schriftzug auf der Stirnseite. „Mein Vater möchte, dass du das brandneue Ornament hast“, verrät der Junior in seinem Bettelbrief. „Ich glaube nicht, dass es irgendeinen symbolträchtigeren Schmuck für deinen Baum gibt.“
Ein politisches Werbemittel für 75 Dollar? Am Christbaum? Bizarrer können sich Kult und Kommerz kaum verbinden. Doch in den USA sind Trump-Devotionalien gefragt. Schlappe 15 Dollar kostet das Pappschild „Don’t blame me – I voted for Trump“ (Schieb mir nicht die Schuld zu – ich habe für Trump gestimmt), das man im Süden des Landes jetzt öfter in Vorgärten sieht. Für 45 Dollar gibt es ein T-Shirt mit dem Konterfei des Milliardärs und dem Spruch: „Freedom is coming!“ (Die Freiheit kommt).
Was Beobachtern in Europa wie eine zynische Abzocke und ein groteskes Déjà-vu erscheinen mag, ist in den USA bittere Realität. Vieles deutet darauf hin, dass Donald Trump vor einem politischen Comeback steht. Äußerlich hat er sich nach dem Verlust der Präsidentschaft in sein Domizil Mar-a-Lago bei Palm Beach im sonnigen Florida zurückgezogen. Doch faktisch dominiert er weiter seine Partei. Und nicht nur das: Ein Jahr nach der Wahl, bei der 47 Prozent der Bevölkerung für ihn und 51 Prozent für Joe Biden stimmten, liegt der Ex-Präsident laut einer Umfrage des Emerson College plötzlich mit 45 zu 43 Prozent vor seinem Nachfolger.
Ex-Präsident Trump dominiert seine Partei aus der Ferne
„Was am 3. November passierte, ist eine Schande“, wütete Trump im Juni bei seiner ersten Großkundgebung nach dem Regierungswechsel über den Urnengang im vorigen Jahr. „Sie haben uns einen massiven Sieg gestohlen.“ Wie auf Knopfdruck skandierte die Menge in Ohio „Trump won! Trump won!“ (Trump hat gewonnen) und forderte „Four more years!“ – vier weitere Jahre für ihr Idol im Weißen Haus.
Immer mehr Beobachter sind überzeugt, dass der 75-Jährige genau das anstrebt. „Donald Trump wird sich wieder für die Präsidentschaft bewerben“, prophezeite der Buchautor Michael Wolff schon im Juli, nachdem er den Polit-Pensionär in dessen Exil getroffen hatte. In einem Gastbeitrag für die Washington Post ging Robert Kagan, einer der bekanntesten Neokonservativen der USA, kürzlich noch einen Schritt weiter: Der ehemalige Berater der republikanischen Senatoren John McCain und Mitt Romney ist überzeugt, dass Trump 2024 erneut als Präsidentschaftskandidat seiner Partei aufgestellt wird: „Die Hoffnung und die Erwartung, dass er an Sichtbarkeit und Einfluss verlieren würde, waren trügerisch.“
Nicht nur ist Trump trotz seiner Verbannung von den Online-Plattformen Twitter und Facebook keineswegs von der politischen Bühne verschwunden. Er dominiert seine Partei aus der Ferne so stark, dass sich 200 Abgeordnete der Republikaner in der vergangenen Woche nicht einmal trauten, einem überparteilichen Infrastrukturgesetz zuzustimmen, das dringend erforderliche Milliardenbeträge für marode Straßen, windschiefe Strommasten und bleihaltige Wasserleitungen bereitstellt. Gerade einmal 13 Fraktionsmitglieder votierten im Interesse ihrer Wahlbezirke mit „Ja“. Sie wurden von Trump wild attackiert und erhalten nun Todesdrohungen von dessen fanatischen Anhängern. Ihre Ausschusssitze müssen sie wahrscheinlich aufgeben.
Der Pate von Palm Beach, der einst den Präsidenten der Ukraine erpresste und einen blutigen Putschversuch in Washington befeuerte, kämpft mit unverändert harten Bandagen. Doch hat er für viele Amerikaner offenbar seinen Schrecken verloren. 78 Prozent der republikanischen Wähler würden eine zweite Kandidatur von Trump laut einer Umfrage der Quinnipiac- Universität unterstützen. Im Mai waren es nur 66 Prozent gewesen.
Joe Biden warnte vor den Folgen des Trumpismus - ohne Erfolg
Den Stimmungsumschwung bekommt auch Joe Biden zu spüren. „Terry kämpft gegen einen Messdiener von Trump“, versuchte der Präsident im Wahlkampf in Virginia Stimmung für den demokratischen Gouverneurskandidaten Terry McAuliffe zu machen. Ein Dutzend Mal beschwor er in Arlington Ende Oktober die existenziellen Gefahren des Trumpismus. Es half nichts. Am Ende siegte der bis dahin weitgehend unbekannte Republikaner Glenn Youngkin.
Die desaströse Niederlage der Demokraten hat viele Ursachen. Offenbar unterschätzte die Partei vor Ort die Unzufriedenheit vieler Eltern mit den Schulen. Bundesweit hat Bidens Image durch den chaotischen Truppenrückzug aus Afghanistan, die Flüchtlingsbewegung an der Grenze zu Mexiko und das nervende Hickhack über sein Sozialpaket stark gelitten. Hinzu kommen nun allerorten Lieferengpässe und eine Verdoppelung der Benzinpreise. Das alles half Youngkin, der sich inhaltlich nie von Trump absetzte, diesen aber aus taktischen Gründen auf Distanz hielt.
Trump spielte das Spiel mit und vermied es, die moderat-konservativen Vorstadtwähler mit eigenen Pöbel-Auftritten zu verschrecken. Er lässt jedoch keinen Zweifel daran, wer der eigentliche Platzhirsch ist. Gönnerhaft kommentierte er am Montag bei einer Spendengala in Tampa den Überraschungserfolg des Parteifreundes: „Ohne meine Unterstützung hätte Youngkin verloren. Und Glenn weiß das wahrscheinlich.“ Der frischgebackene Gouverneur muckste nicht auf.
Im Kosmos des einstigen Reality-TV-Moderators gibt es nur einen Star: Donald Trump. „Wer ist euer Präsident?“, kündigte die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene in Ohio den Ehrengast an. „Trump!“ hallte es zurück. Seine Kundgebungen gleichen immer mehr den Treffen einer Sekte, die ihrem Guru huldigt. Die Auftritte sind wild und ungezügelt wie eh und je. Aber die gelegentlichen humoristischen Einlagen sind verschwunden. Der Vortrag ist dunkler und bitterer als zu Regierungszeiten.
Trump hetzt: „Joe Biden zerstört unsere Nation“
Im Kern steht immer das Phantasma von der „mit einem Erdrutschsieg“ gewonnenen Wahl und seine tausendfach widerlegte Klage über einen „Wahlbetrug“ der Linken – „das Verbrechen des Jahrhunderts“. Der solchermaßen Geprellte inszeniert sich als Kämpfer gegen das korrupte Establishment. Das kommt an beim Publikum. „Joe Biden zerstört unsere Nation“, hetzt Trump seine Fans auf: „Aber das Land gehört euch, nicht denen!“
Kein namhafter Republikaner wagt es, sich der Big Lie, der großen Lüge, offen entgegenzustellen – nicht einmal jene Politiker, die bei dem von Trump angefachten Sturm des Mobs auf das Kapitol fast ihr Leben verloren hätten. „Es war die Ehre meines Lebens, als Vizepräsident unter Donald Trump zu dienen“, sagt demütig der von Trump als „Feigling“ verhöhnte Ex-Vizepräsident Mike Pence, den der rechte Pöbel lynchen wollte, noch heute.
Auch Chuck Grassley musste damals von Bodyguards eilig in einen Schutzraum geführt werden. Der Senator sprach von einem „Anschlag auf die amerikanische Demokratie“. Doch Anfang Oktober stand er bei einer Kundgebung in Iowa tatsächlich mit Trump gemeinsam auf der Bühne. Der 88-Jährige sitzt seit vier Jahrzehnten im Kongress und galt stets als besonnener Republikaner. „Ich wäre nicht besonders schlau, wenn ich die Unterstützung eines Mannes ablehnen würde, der 91 Prozent der republikanischen Wähler in Iowa hinter sich hat“, entschuldigte er nun seine Huldigung.
Wie Grassley hat sich der Mainstream der Republikaner längst Trump untergeordnet. Mögliche andere Interessenten an einer Präsidentschaftskandidatur wie der texanische Senator Ted Cruz oder Gouverneur Ron DeSantis aus Florida gebärden sich noch trumpischer als Trump. „Die republikanische Partei von heute ist ein Zombie“, urteilt der Ex-Republikaner Kagan: „Ihre einzige Rolle ist die des willigen Helfers bei der Manipulation des Wahlsystems, um Trumps Rückkehr an die Macht zu sichern.“
Eine erste Etappe für Trump sind die Zwischenwahlen im Kongress 2022
Dabei sind die Republikaner höchst effizient. Längst begnügen sie sich nicht mehr damit, Wahlkreise neu zuzuschneiden, um ihre Erfolgschancen zu erhöhen. Nach einer Auflistung des New Yorker Brennan Center for Justice haben 18 Bundesstaaten in diesem Jahr neue Wahlgesetze erlassen, die es durch strengere Ausweispflichten, kürzere Öffnungszeiten der Wahllokale oder restriktivere Anforderungen an die Briefwahl vor allem für nicht weiße Bürger schwieriger machen, ihre Stimme abzugeben.
Sollte bei den Kongress-Zwischenwahlen 2022, wie viele Beobachter erwarten, die Mehrheit der Demokraten in einem oder gar beiden Häusern kippen, wäre politisch eine ideale Rampe für eine erneute Trump-Kandidatur 2024 gebaut. Dass der Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses immer deutlicher die Verwicklung des Ex-Präsidenten in den blutigen Putschversuch vom Januar aufdeckt, dürfte den Mann kaum stören und seine Anhänger eher bestärken. Eine drohende Anklage durch die New Yorker Staatsanwaltschaft wegen möglicher Steuervergehen dürfte Trumps Bewerbung um das höchste Staatsamt sogar noch befördern. Als Präsident könnte er das Verfahren endgültig niederschlagen.
Trumps drohendes Comeback lässt Alarmglocken schrillen
Insider halten dieses Szenario durchaus für realistisch. In seiner ersten Amtszeit habe Trump noch Rücksicht auf seine Wiederwahlchancen nehmen müssen, warnte die Politikberaterin Alyssa Farah in einem CNN-Interview: „Dieses Mal wird das ganz anders sein. Und das macht mir Angst.“ Farah weiß, wovon sie spricht. Die konservative Ex-Journalistin wirkte bis Ende des vorigen Jahres als Kommunikationsdirektorin im Weißen Haus. Ihr einstiger Chef werde nach einer Wahl mit Sicherheit „das Justizministerium gegen politische Gegner einsetzen, die freie Presse einzuschränken versuchen und den Einsatz des Militärs für politische Zwecke erwägen“, sagt sie nun voraus.
Auch anderswo lässt das drohende Comeback die Alarmglocken schrillen. Trump strebe nach Vergeltung, analysiert David Frum, einer der scharfsinnigsten Beobachter des Ex-Präsidenten, im Magazin The Atlantic: „Die Ziele von Trumps Rache werden das amerikanische Recht und die amerikanische Demokratie sein.“ Und der renommierte Weltendeuter Kagan beginnt seinen Essay mit einem verbalen Donnerschlag: „Die Vereinigten Staaten bewegen sich auf ihre größte politische und verfassungsmäßige Krise seit dem Bürgerkrieg zu“, konstatiert er scharf. Sollte Trump tatsächlich die Rückkehr ins Weiße Haus gelingen, „dann bedeutet das zumindest zeitweise die Abschaffung der amerikanischen Demokratie, wie wir sie kennen“.