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USA: Trotz Corona-Fällen im Weißen Haus: Trump hält an Öffnungen fest

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Trotz Corona-Fällen im Weißen Haus: Trump hält an Öffnungen fest

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    US-Präsident Donald Trump und Vizepräsident Mike Pence vor wenigen Tagen im Oval Office des Weißen Hauses in Washington.
    US-Präsident Donald Trump und Vizepräsident Mike Pence vor wenigen Tagen im Oval Office des Weißen Hauses in Washington. Foto: Evan Vucci, dpa

    Draußen vor dem 3,90 Meter hohen Stahlzaun wird die Körpertemperatur eines jeden Besuchers gemessen. Drinnen wird das Mobiliar regelmäßig desinfiziert. Das Personal muss regelmäßig zum Corona-Test. Martialisch hat der Hausherr, Donald Trump, dem "unsichtbaren Feind" den Krieg erklärt. Kaum ein Bürogebäude der USA ist so hermetisch gegen Eindringlinge abgesichert wie das Weiße Haus in Washington. Und keines sollte so gut vor dem Coronavirus geschützt sein. Doch seit ein paar Tagen entwickelt sich die Schaltstelle der Weltmacht USA zu einem wahren Hotspot der Pandemie.

    Am Donnerstag wurde bekannt, dass sich ein Navy-Unteroffizier, der US-Präsident Trump das Essen serviert, infiziert hat. Am Freitag wurde die Sprecherin des Vizepräsidenten Mike Pence positiv getestet. Auch Angehörige des Secret Service sollen betroffen sein. Drei hochrangige Mitglieder der Corona-Taskforce haben sich in Selbstisolation begeben. "Es ist unheimlich, zur Arbeit zu gehen", sagte Kevin Hassett, einer von Trumps Top-Wirtschaftsberatern.

    Donald Trump hält keinen Abstand und verweigert Maskentragen

    Der legendäre West Wing – ein Gefahrenherd außer Kontrolle? "Das Weiße Haus arbeitet sicher", widerspricht Regierungssprecherin Kayleigh McEnany entschieden: "Wir haben jede mögliche Vorkehrung zum Schutz des Präsidenten ergriffen." Wirklich beruhigend klingt das nicht. Seit neuestem müssen die Bediensteten einen Mund- und Nasenschutz tragen, wie er anderswo längst vorgeschrieben ist. Korrespondenten, die in dem Gebäude mit seinen erstaunlich engen Gängen und Büros arbeiten, werden tägliche Corona-Tests angeboten.

    Doch Donald Trump, der Hausherr, hält keinen Abstand und verweigert das Maskentragen.

    Und so wird – während in Drogeriemärkten und Apotheken im ganzen Land seit Wochen kaum Masken, Desinfektionsmittel oder gar Tests zu bekommen sind – das Weiße Haus mit seinem prächtigen Äußeren und seinem toxischen Inneren zum Spiegelbild einer Nation, die sich für außergewöhnlich hielt und nun ihr Versagen erlebt.

    Vier Monate nach dem ersten Corona-Fall bieten die USA ein katastrophales Bild: Mit mehr als 1,3 Millionen Menschen gibt es weit mehr Infizierte als sonst wo auf der Welt. Und mit etwa 80.000 Toten auch weit mehr Pandemie-Opfer. Damit nicht genug: Die USA stürzen in die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Mehr als 33 Millionen Frauen und Männer haben ihren Job verloren. Offiziell lag die Arbeitslosenquote im April bei 14,7 Prozent – zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Finanzminister Steven Mnuchin geht davon aus, dass der Wert bald auf 25 Prozent steigen könnte. In einem Land mit einem krisenanfälligen, löchrigen Sozialsystem und einer an den Arbeitgeber gekoppelten Krankenversicherung sind das verheerende Aussichten. Schon jetzt bilden sich vielerorts lange Warteschlangen vor den Suppenküchen.

    Trotz alarmierender Zahlen: US-Präsident verkündet "Wunder"

    "Wir leben in einem gescheiterten Staat", hat der renommierte amerikanische Schriftsteller und Journalist George Packer vor einigen Tagen in einem bedrückenden Essay für das Magazin The Atlantic festgestellt. Donald Trump hingegen verkündet immer neue Erfolge. "Es ist ein Wunder, was wir erreicht haben", sagte er zum Beispiel. Von Anfang an haben ihn seine Umfragewerte mehr interessiert als die Infektionszahlen; jetzt versucht er, die Pandemie zu den Akten zu legen. Bis zur Präsidentschaftswahl im November will er den ökonomischen Wunderheiler geben. Einen Titel für die Comeback-Story hat er bereits: "Transition to greatness". Übergang zur Größe.

    Die US-Regierung hat auch klare Kriterien für den Abbau des Lockdowns und die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen formuliert, die in vielen Bundesstaaten noch nicht erfüllt sind. Gleichwohl wiegelt Trump über Twitter bewaffnete Randalierer auf, die vor den Kapitolen die Gouverneure für eine Rücknahme der Restriktionen unter Druck setzen. Selbst Verantwortung übernehmen möchte er nicht. "Ich bin total dagegen", rüffelte er etwa seinen Parteifreund Brian Kemp, der als Gouverneur von Georgia Fitness- und Tattoo-Studios wieder öffnen ließ. Andere Bundesstaaten folgten. Und Trump? Fand das auf einmal "wunderbar". Wilde Kurswechsel, Lügen und organisatorisches Versagen zeichnen seine Corona-Politik aus.

    Trotz früher Warnungen vor der herannahenden Pandemie verbrachte er den März weitgehend auf dem Golfplatz oder bei Kundgebungen. Als dann in New York eine dramatische Verschlechterung der Situation drohte und Schutzkleidung wie Beatmungsgeräte fehlten, konkurrierten die US-Regierung und die Bundesstaaten auf dem Weltmarkt um die lebensrettenden Produkte. "Wir testen mehr als irgendjemand sonst auf der Welt", brüstet sich Trump inzwischen. Immerhin: Tatsächlich haben die USA mehr als acht Millionen Corona-Tests durchgeführt. Doch die Untersuchungen kommen viel langsamer als erforderlich voran. Pro Tag werden 250.000 Tests durchgeführt. Nach Berechnungen von Gesundheitsexperten der Harvard-Universität wären mindestens 900.000 erforderlich – und der Bedarf steigt gerade mit der Rückkehr der Beschäftigten in ihre Fabriken und Büros.

    US-Präsident Donald Trump: Corona-Tests sind überbewertet

    So entsteht der Eindruck, dass die Wirtschaft in den USA im Blindflug zu einem Stück weit mehr Normalität zurückkehren dürfte. Weder gibt es eine Strategie zur Verfolgung der Infektionsketten mit einem Tracking-System noch verlässliche Handreichungen für die Unternehmen. Eine Broschüre der Gesundheitsbehörde CDC mit Leitlinien für die risikoarme Wiedereröffnung von Schulen, Kirchen und Restaurants wurde aus unbekanntem Grund vor der Veröffentlichung einkassiert. Dass nicht einmal das Weiße Haus einen gefahrlosen Betrieb für seine Beschäftigten organisieren kann, stärkt ebenfalls nicht das Vertrauen in die Regierung.

    Noch beunruhigender ist ein Bericht der Washington Post, demzufolge sich Deborah Birx, die offizielle Corona-Beauftragte der US-Regierung, über die offizielle Infektionsstatistik empörte. "Es gibt nichts von der CDC, dem ich trauen kann", soll die Wissenschaftlerin gesagt haben. Schon vor drei Wochen hatte sie schwer an sich halten müssen. Da hatte Trump in einer Pressekonferenz zum Entsetzen der Fachleute plötzlich über die Injektion von Desinfektionsmitteln zur Corona-Therapie schwadroniert. Tags darauf wurde die tägliche Unterrichtung der Medien abgeschafft.

    Mit weiteren lebensgefährlichen "Gesundheitstipps" hielt sich Trump zwar zurück. Jüngst sagte er jedoch, Corona-Tests seien "überbewertet". Seine Begründung: Wenn die USA immer intensiver nach Infektionen suchten, "lassen wir uns selbst schlecht aussehen". Angesichts derart chaotischer Signale befürchten Ökonomen, dass die Rückkehr der Wirtschaftssupermacht einer Schleuderfahrt von überstürzten Öffnungen, unkontrollierter Ausbreitung der Infektion und fehlender Unterstützung für die Krisenopfer gleichen werde.

    Mittel eines Hilfsprogramms, das Kleinunternehmen bei der Lohnzahlung unterstützen soll, werden spätestens zum Monatsende aufgebraucht sein. Das reguläre Arbeitslosengeld läuft in einigen Bundesstaaten nach drei Monaten aus, und der besondere Krisenzuschlag von wöchentlich 600 Dollar endet im Juli. Auf ein neues milliardenschweres Konjunkturpaket aber können sich die verfeindeten Republikaner und Demokraten im Kongress nicht einigen, weil Trumps Republikaner kein weiteres Geld für direkte Hilfen lockermachen wollen.

    Trumps Corona-Sündenböcke: Demokraten, Gouverneure, Medien und China

    Ohnehin hat sich Trump bereits Sündenböcke auserkoren, wenn sich Corona- und Wirtschaftskrise nicht bändigen lassen: die Demokraten, die Gouverneure und die Medien. Doch zunehmend schießt sich der Präsident auf einen noch mächtigeren Widersacher ein: China. "Das ist der schlimmste Angriff, den wir je erlebt haben", empörte er sich. "Das hätte in China gestoppt werden können – wurde es aber nicht." Peking also soll schuld an der Pandemie und ihren Folgen sein.

    Zugleich rückt Trump immer weiter von den westlichen Verbündeten ab, die seine wirre Corona-Politik mit Befremden verfolgen. "Ich habe mit Angela Merkel gesprochen", lobte sich der US-Präsident am Freitag vor republikanischen Abgeordneten selbst. Auch mit vielen anderen Regierungschefs habe er sich über die Wiederöffnung der Wirtschaft ausgetauscht: "Sie alle sehen uns als Führer der Welt. Und sie werden uns folgen."

    Niemand widersprach. Doch nicht einmal Donald Trumps eigene Parteifreunde dürften das ernsthaft glauben.

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