Es wird ein perfekter Fernsehmoment sein und ein unmissverständliches politisches Signal, wenn die Vertreter des Repräsentantenhauses an diesem Montagabend in einer Prozession zum Senat ziehen und dabei die Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump verlesen. Ihr Gang führt sie durch die Rotunde des Kapitols, die von Trumps aufgehetztem Mob gestürmt worden war. Keine drei Wochen ist das her, und mit dem Impeachment-Verfahren folgt nun die politische Quittung für diesen Putschversuch.
Impeachment-Prozess gegen Trump könnte Gesetzgebung behindern
Trotzdem ist fraglich, ob der neue Präsident Joe Biden im Weißen Haus das Schauspiel mit Vergnügen verfolgen wird. Die Aussöhnung der amerikanischen Gesellschaft über Parteigrenzen hinweg und die schnelle Bekämpfung der Corona-Pandemie sind erklärtermaßen die wichtigsten Prioritäten des 78-Jährigen, und der nachträgliche Amtsenthebungsprozess ist dabei zumindest kurzfristig kaum hilfreich. Seit Tagen vermeidet Bidens Sprecherin Jen Psaki jede Positionierung zu dem Vorhaben. "Dem Präsidenten liegt daran, sein Hilfspaket voranzubringen und dem amerikanischen Volk finanzielle Erleichterung zu verschaffen", betont sie stattdessen.
Tatsächlich steht Biden nicht einmal eine Woche nach seiner Vereidigung vor einer Nagelprobe für das Versprechen, die Nation zu einen. Mit einer regelrechen Salve von präsidialen Verordnungen hat er zwar seinen Willen dokumentiert, das Land nach den Trump-Jahren wieder zur Normalität zurückzuführen. Doch substanzielle Änderungen kann er nur mit Gesetzen erreichen, die der Zustimmung des Kongresses bedürfen. Dort will er als erstes sein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Hilfspaket durchbekommen.
Im entscheidenden Senat aber stößt Biden auf mehrere Probleme. Zwar ist dort seit der Georgia-Wahl die republikanische Mehrheit gebrochen, doch Republikaner und Demokraten sitzen sich nun mit jeweils 50 Vertretern gleichstark gegenüber. Bei einem Patt gibt Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag, doch darf es dabei keinen Abweichler bei den Demokraten geben. Außerdem müssen sich der neue demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer und der republikanische Minderheitsführer Mitch McConnell über zahlreiche Verfahrensfragen einigen, was sie bislang nicht getan haben.
Bislang wurden erst zwei Minister aus Bidens Kabinett bestätigt
Einen Vorgeschmack lieferte der Streit über die Terminierung des Impeachment-Prozesses. Nach längerem hin und her einigte man sich auf den 9. Februar als Start-Datum, was Trump mehr Zeit zur Vorbereitung und Biden mehr Zeit zur Aufstellung seines Kabinetts lässt, von dem bislang erst zwei Minister bestätigt wurden. Dass das Corona-Paket bis dahin beschlossen werden kann, erscheint höchst fraglich. Während der mutmaßlich wochenlangen Dauer des Prozesses stellt der Senat üblicherweise aber seine Gesetzgebungsarbeit ein.
"Die Krise wird nicht besser", richtete Biden angesichts von mehr als 400.000 Corona-Toten einen dramatischen Appell an die Öffentlichkeit: "Wir befinden uns im nationalen Notstand." Doch das Hilfspaket, das im Senat eine sogenannte "Super-Mehrheit" von 60 Stimmen braucht, stößt nicht nur auf logistische, sondern auch auf inhaltliche Widerstände. Viele Republikaner stören sich an der Höhe der geplanten finanziellen Leistungen und an der Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar. Selbst die moderate republikanische Senatorin Susan Collins hat erklärt, sie könne dem Vorhaben so nicht zustimmen – ein schlechtes Zeichen.
"Biden muss erkennen, dass er einen großen Corona-Stimulus oder einen überparteilichen Deal erreichen kann – aber nicht beides", glaubt die Washington Post. Linke Senatoren wie Elizabeth Warren und Bernie Sanders drängen deshalb, zentrale Teil des Hilfspakets in einem "Reconciliation" (Kontenabgleich) genannten Sonderverfahren durch den Senat zu peitschen, für das nur 51 Stimmen erforderlich wären. Das aber würden viele Republikaner, die wegen des Impeachments ohnehin verärgert sind, endgültig als Kriegserklärung begreifen. Die Rhetorik der "nationalen Einheit" wäre dahin.
Im Weißen Haus will man folglich davon nichts wissen. "Der Präsident glaubt, dass das Paket für parteiübergreifende Unterstützung geschaffen ist", verkündet Psaki tapfer.
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