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USA: John McCain kämpft den Kampf seines Lebens

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John McCain kämpft den Kampf seines Lebens

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    Todkrank, aber kämpferisch: Anfang Dezember wurde John McCain noch im Rollstuhl durch die Gänge des US-Senats geschoben, derzeit ist er zu schwach, um nach Washington zu reisen.
    Todkrank, aber kämpferisch: Anfang Dezember wurde John McCain noch im Rollstuhl durch die Gänge des US-Senats geschoben, derzeit ist er zu schwach, um nach Washington zu reisen. Foto: Alex Wong, afp

    Illusionen macht er sich keine – weder über den Zustand seines Landes, noch über seinen eigenen. "Der Eindruck von Härte scheint wichtiger zu sein als jeder unserer Werte", schreibt John McCain in seinem neuen Buch über Donald Trump. Indirekt vergleicht er den US-Präsidenten mit autokratischen Despoten: "Er hat kein Interesse an den moralischen Eigenschaften eines Regierungschefs." Am 22. Mai soll der Memoirenband des Senators erscheinen. "Möglicherweise werde ich dann nicht mehr da sein", schränkt der 81-Jährige lapidar ein: "Meine Lage ist ziemlich unvorhersehbar."

    McCain saß fünfeinhalb Jahre in Kriegsgefangenschaft

    Unvorhersehbar war die Lage auch, als der junge Marineflieger im Einsatz gegen den kommunistischen Vietcong im Oktober 1967 abgeschossen wurde, sich beide Arme und ein Bein brach, fünfeinhalb Jahre in Kriegsgefangenschaft in Hanoi verbrachte und dabei schwerer Folter ausgesetzt war. All das begründete in den USA McCains Ruf als aufrechter Patriot und tapferer Kriegsheld. Ein halbes Jahrhundert später kämpft der Admiralssohn gegen einen heimtückischen Feind in seinem Inneren: Im vergangenen Juli wird ihm ein Blutgerinnsel über dem linken Auge entfernt. Dabei entdecken die Ärzte einen bösartigen Hirntumor. Der Krebs und die aggressive Chemotherapie machen seinem Körper schwer zu schaffen. Mitte April muss er wegen einer Darmentzündung operiert werden. An den Sitzungen des Senats, dem der Republikaner seit 31 Jahren angehört, kann er nicht mehr teilnehmen. Und doch kämpft er politisch den Kampf seines Lebens.

    "Ich bin auf alles vorbereitet", hat der Vietnam-Veteran erklärt: "Ich würde gerne nur noch ein paar Dinge erledigen." Interviews gibt er nicht mehr. Ende des Monats aber wird parallel zum Erscheinen seines Buches "The Restless Wave" ("Die ruhelose Welle") eine zweistündige Dokumentation über ihn im Fernsehen ausgestrahlt. Immer mehr Zitate daraus dringen schon vorab an die Öffentlichkeit.

    Derweil nimmt der siebenfache Vater und vierfache Großvater im Kreis seiner Familie auf seine Weise vom Leben Abschied: Tapfer absolviert er nach einem Bericht der New York Times täglich seine Physiotherapie, genießt von der sonnigen Veranda seiner Ranch aus die Wildwestlandschaft Arizonas, beobachtet die Adler und genehmigt sich abends ein Glas Wodka auf Eis. Zwischendurch empfängt er Besucher, die in großer Zahl nach Arizona pilgern. Neulich war Joe Biden da, der Ex-Vizepräsident von Barack Obama, mit dem McCain eine tiefe Freundschaft verbindet. Der frühere Senator Joe Lieberman hatte ihn schon zuvor im Krankenhaus besucht. Und alleine diese Namen zeigen, wie enorm politisch der Abschied dieses amerikanischen Helden ist.

    Trump: John McCain ist kein Held

    Nicht nur gehören beide Politiker nämlich der demokratischen Partei an. Auch hatte McCain, als er bei der Präsidentschaftswahl 2008 als republikanischer Kandidat gegen Obama antrat, eigentlich den Außenseiter Lieberman zu seinem Stellvertreter machen wollen. Nach einer Revolte des Partei-Establishments gegen den Kandidaten, der das Recht auf Abtreibung verteidigte, entschied er sich dann aber für die rechtspopulistische Sarah Palin, eine der Vorkämpferinnen der Tea Party. Kritiker glauben, dass McCain damit ungewollt den Weg für Trump ebnete. "Ich wünschte, ich hätte den Rat der Partei ignoriert", sagt er nun: Die Entscheidung für Palin sei ein Fehler gewesen.

    Teils offen, teils unausgesprochen ist McCains nachdenklicher und selbstkritischer Abschied ein krasses Kontrastprogramm zur täglichen Ego-Show im Weißen Haus. Sein Parteikollege McCain sei für ihn kein Held, hatte Donald Trump im Wahlkampf 2015 erklärt: "Ich mag Leute, die nicht gefangen wurden, okay?" Während seiner fünfeinhalbjährigen Gefangenschaft wurde McCain so brutal misshandelt, dass er seither seine Arme nicht mehr über den Kopf heben kann. Golfspielen kommt deshalb für ihn nicht infrage. Trump, der dem Wehrdienst mit einem fragwürdigen Attest entkam, schlägt hingegen fast jedes Wochenende Bälle auf dem Rasen. Doch das ist bei weitem nicht der einzige Unterschied.

    Trump-Anhänger wünschen McCain den Tod

    Es ist noch gar nicht so lange her, da galt McCain als rechter Hardliner und Relikt des Kalten Krieges. Im vermeintlichen Dienst der Demokratie hat er stets eine interventionistische Politik der USA unterstützt. Bis heute verteidigt er den Irak-Krieg. Trotzdem gilt der 81-Jährige vielen Trump-Anhängern als Verräter – spätestens seit er im vorigen Juli im Senat buchstäblich den Daumen über die desaströse Gesundheitsreform des Präsidenten senkte. Im Internet beschimpfen sie ihn als heimlichen Liberalen und Kommunisten. Dort wünschen ihm viele den baldigen Tod.

    Beim Lesen dieser Kommentare ahnt man, wie radikal sich die USA und die Republikaner in den vergangenen Jahren verändert haben. McCain ist der prominenteste Vertreter des traditionellen Parteiflügels, der für demokratische Werte, für freien Handel und für liberale Einwanderungsgesetze steht. Alles das verhöhnt oder bekämpft Trump. Ohne jegliche Rechtsgrundlage forderte er im Wahlkampf, Hillary Clinton ins Gefängnis zu werfen. McCain hatte sich acht Jahre im Wahlkampf gegen Obama zuvor mit Parteirechten, die Obamas amerikanische Herkunft anzweifelten, offen angelegt. "Er ist ein ehrenwerter Mann", insistierte er.

    Charakter, Haltung, Überzeugungen und nicht zuletzt eine große Portion Coolness – das alles unterscheidet den konservativen Senator vom narzisstischen Präsidenten. Zum Widerstandskämpfer freilich fühlte sich der Ex-Soldat nicht berufen. Seinen Protest gegen den prinzipienlosen Herrscher im Weißen Haus hat er stets seinem Wesen gemäß präzise, bescheiden und diszipliniert formuliert. "So fangen Diktaturen an", bemerkte McCain trocken, nachdem Trump bei seiner Amtseinführung die Medien als "Feinde des Volkes" diffamiert hatte. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Jahr beklagte er die "Abwendung von universellen Werten und Hinwendung zu den alten Banden von Blut und Rasse" in vielen Teilen der Welt. Im vergangenen Oktober wandte er sich in einer Rede in Philadelphia gegen den "verquasten, unaufrichtigen Nationalismus". Doch zur Revolte rief er nicht auf.

    McCain rechnet "ohne Tabus" in neuem Buch ab

    In seinem neuen Buch, das zu einer Art Vermächtnis werden dürfte, ziehe McCain nun eine Bilanz "ohne Tabus", wirbt der Verlag. Erste Seitenhiebe gegen Trump sind schon bekannt geworden. Vehement tritt McCain zudem für eine Versöhnung der zerrissenen Gesellschaft ein. Amerika müsse wieder begreifen, "dass wir mehr gemeinsam haben als uns trennt", schreibt der Senator. "Wir alle sind Bürger einer Republik, die auf der Basis gemeinsamer Ideale in der Neuen Welt geschmiedet wurde, um die Feindschaften zu überwinden, die die Alte Welt plagten." Und noch eine Botschaft, die der selbst ernannte Deal-Maker im Weißen Haus kaum verstehen dürfte, hält McCain bereit: "Ja, verdammt: Ich bin ein Anhänger des Kompromisses."

    Doch der Patriot in Arizona wird sterben. Das ist auch aus einem sehr profanen Grund ein großes Politikum: Die Republikaner verfügen im Senat nur über eine denkbar knappe Mehrheit von zwei Stimmen. Seitdem McCain nicht mehr nach Washington fliegen kann, ist der Abstand bereits auf eine Stimme geschrumpft. Sollte in Arizona aber eine Neuwahl stattfinden müssen und ein demokratischer Bewerber gewinnen, was derzeit nicht ausgeschlossen scheint, stünde es in der Kammer 50 zu 50. Das Regieren würde für Trump noch schwieriger. Makabererweise naht Ende Mai der entscheidende Stichtag: Sollte McCain vorher zurücktreten oder sterben, muss es nach den Wahlgesetzen von Arizona höchstwahrscheinlich eine Nachwahl geben. Andernfalls können die Republikaner den Sitz bis 2020 behalten und nachbesetzen.

    Wird Joe Biden neuer Präsidentschaftskandidat?

    Schon bei der anstehenden Abstimmung über die neue CIA-Direktorin Gina Haspel, die als Leiterin eines CIA-Gefängnisses in Thailand 2002 für Folteraktionen durch das sogenannte Waterboarding (simuliertes Ertränken) verantwortlich gewesen sein soll, zeigen sich die knappen Mehrheiten im Senat. Und noch einmal werden die politischen Unterschiede, die McCain und Trump trennen, überdeutlich: Aufgrund seiner eigenen Erfahrung ist McCain ein entschiedener Gegner jeder Form von Folter. Er hat der Geheimdienstlerin, die von Trump als neue CIA-Chefin nominiert wurde, einen zweiseitigen Brief mit kritischen Fragen zu ihrer früheren Tätigkeit übersandt. "Der Einsatz von Folter hat unsere Werte kompromittiert, unsere nationale Ehre beschmutzt und unser Ansehen vor der Geschichte gefährdet", schreibt McCain und fordert eine detaillierte Offenlegung von Haspels Rolle. Am Mittwoch appelliert er offen an den Senat, gegen Haspel zu stimmen. Ihre Weigerung, Folter als unmoralisch zu bezeichnen, disqualifiziere sie für das Amt der CIA-Chefin. Trump hingegen griff diese Woche wütend zum Handy und twitterte: "Das muss man sich vorstellen: In diesen sehr gefährlichen Zeiten haben wir die höchst qualifizierte Kandidatin, eine Frau, und die Demokraten lehnen sie ab, weil sie zu hart gegen Terroristen vorging. Gewinne, Gina!"

    Der schwer kranke Mann in Arizona sei "sehr besorgt über den Zustand unseres Landes", hat Joe Biden nach seinem Besuch auf McCains Ranch berichtet: "Wir sprachen darüber, wie unser internationales Ansehen zerstört wird und wie wichtig es ist, dass Leute aufstehen und ihre Meinung sagen." Der 75-jährige Demokrat überlegt, ob er bei den Präsidentschaftswahlen 2020 gegen Trump antritt. So viel Zeit wird McCain nicht bleiben. Aber er hat das Weiße Haus wissen lassen, dass er den derzeitigen US-Präsidenten nicht bei seiner Beerdigung haben möchte. Stattdessen wünsche er sich Trumps Vize Mike Pence als Gast.

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