Als am 6. Januar die schockierenden Bilder von der blutigen Erstürmung des Kapitols um die Welt gingen, hofften manche Beobachter, der Gewaltausbruch im Herzen der Demokratie könne als mahnendes Fanal für die Verrohung der amerikanischen Politik dienen. Doch zehn Monate später ist die Polarisierung extremer denn je, und die Drohung mit politisch motivierter Gewalt gehört in den USA zunehmend zur Normalität.
Sturm aufs Kapitol: Republikaner spielen den Putschversuch zynisch herunter
Immer aggressiver bagatellisieren Ex-Präsident Donald Trump und seine Verbündeten den Putschversuch, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, und hintertreiben dessen Aufklärung. Derweil twitterte der republikanische Abgeordnete Paul Gosar ein Zeichentrick-Video, in dem sein Alter Ego die linke Parlamentarierin Alexandria Ocasio-Cortez tötet, ohne dafür auch nur eine Rüge der Parteiführung zu kassieren. Die 13 republikanischen Abweichler, die für das Infrastrukturpaket von Präsident Joe Biden stimmten, werden hingegen von Kollegen als "Verräter" beschimpft und von fanatischen Trump-Anhängern mit dem Tod bedroht.
Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung, wenn an diesem Montag einer der Propagandisten dieser Radikalisierung in Washington auftritt: Steve Bannon hat zunächst als Chefstratege des Weißen Hauses und anschließend inoffiziell als publizistischer Missionar des Trumpismus den Boden für die politische Verrohung bereitet. Eindringlich riet er Trump nach der verlorenen Wahl, seine Kraft auf die Verhinderung der Zertifizierung des Wahlergebnisses durch das Parlament am 6. Januar zu konzentrieren.
War Steve Bannon am Sturm aufs Kapitol beteiligt?
"Morgen bricht die Hölle los", kündigte Bannon bereits am Vortag des Putschversuches in seinem Podcast an und rief alle "Patrioten" auf, in die Hauptstadt zu kommen. Am selben Tag nahm er nach amerikanischen Medienberichten an einem konspirativen Treffen von Trump-Verbündeten im Washingtoner Willard-Hotel teil, bei dem eine Störung der Zertifizierung geplant wurde. Es spricht also viel dafür, dass Bannon zu den Drahtziehern des Kapitolssturms gehört. Doch er schweigt eisern.
Nachdem der 67-Jährige eine Vorladung des Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses ignoriert hatte und sich zudem weigerte, wichtige Dokumente vorzulegen, hatte das Parlament Ende Oktober die Einleitung strafrechtlicher Schritte beschlossen. Das Justizministerium griff den Vorstoß nun am Freitag auf und klagte Bannon wegen Missachtung des Kongresses an. Der Demagoge will sich offenbar an diesem Montag selbst stellen. Bei einer Verurteilung könnten ihm zwischen 30 Tagen und einem Jahr Haft drohen.
Ob es soweit kommt, ist aber fraglich. Bannon beruft sich auf das "Executive privilege", eine Art Zeugnisverweigerungsrecht, das auch Trump für sich beansprucht. Die Taktik der Trumpianer zielt darauf ab, das Verfahren durch juristische Winkelzüge in die Länge zu ziehen. Nach einem möglichen Wechsel der Parlamentsmehrheit zu den Republikanern im nächsten Jahr dürfte der Untersuchungsausschuss ohnehin aufgelöst werden.
Republikaner um Donald Trump machen Gewaltdrohung salonfähig
Von rechten Medien wird Bannon schon als patriotischer Held und Märtyrer gefeiert. So behauptet der Sender Fox News, die Demokraten würden die Ereignisse des 6. Januar nutzen, "um politische Feinde zu vernichten". Moderator Tucker Carlson rief die Republikaner zur Gegenwehr auf: "Sie wollen Bannon ins Gefängnis werfen, weil sie seine Überzeugungen nicht mögen."
Dass bei dem Kapitolssturm auch zahlreiche republikanische Politiker um ihr Leben fürchten mussten, gerät dabei immer mehr in den Hintergrund. "Die Leute waren sehr wütend", äußerte Trump nun in einem Interview für ein neues Buch offenes Verständnis für die Aufrührer. Den Einwand, die Meute habe seinen damaligen Stellvertreter Mike Pence aufhängen wollen, wischte er eiskalt bei Seite: Es sei "eine Sache des gesunden Menschenverstandes", dass das Volk sich gegen Wahlmanipulationen wehre.
Diese verquere antidemokratische Sicht dringt offenbar immer tiefer in das Bewusstsein der hartgesottenen Trump-Anhänger ein. Laut einer aktuellen Umfrage des Public Religion Research Institutes befürworten inzwischen 30 Prozent der Republikaner-Wähler Gewalt, "um das Land zu retten".