Die Absage kam völlig überraschend. Eigentlich wollte Joe Biden am Mittwoch nach Chicago fliegen, um dort für seine Impfkampagne zu werben. Doch am Dienstagabend wurde der Trip gecancelt. Der Präsident ist derzeit in der Hauptstadt unentbehrlich: Sein zentrales gesetzgeberisches Vorhaben, zwei gewaltige Investitionspakete für Straßen, Stromnetze, Kinderbetreuung und saubere Energie, steht auf der Kippe.
Bereits für diesen Donnerstag ist die Abstimmung über das eine Billion Dollar schwere Infrastrukturpaket angesetzt, das vom Senat auch mit Republikaner-Stimmen gebilligt wurde. Doch im Parlament droht das Paragrafenwerk zu scheitern, weil zahlreiche linke Demokraten nicht zustimmen wollen. Sie pochen darauf, dass zunächst das zweite Mammutprojekt, ein bis zu 3,5 Billionen Dollar schweres Sozial- und Klimapaket, festgezurrt wird, wie es Biden versprochen hatte. Doch dieses Projekt blockieren zwei rechte Demokraten im Senat. Damit steuert Biden an der Schwelle auf einen dramatischen Showdown zu. Fieberhaft suchen das Weiße Haus und die Spitze der Demokraten nach einem Ausweg. Doch eine Einigung konnte nicht verhindert werden.
Für wichtige Vorhaben sind 60 Stimmen erforderlich
Hintergrund der Misere sind die knappen Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Im Repräsentantenhaus verfügen die Demokraten über 220 und die Republikaner über 212 Stimmen. Im Senat herrscht ein Patt von 50 zu 50, sodass im Falle des Falles die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag gibt. Für wichtige Vorhaben sind aber 60 Stimmen erforderlich.
Um die Klippen zu umschiffen, hat Biden seinen Mega-Investitionsplan in zwei Teile geteilt: das Infrastrukturgesetz mit rund 550 Milliarden Dollar frischem Geld für klassische Projekte wie Straßen, Brücken, Stromnetze und Wasserleitungen, sowie das wesentlich größere Sozial- und Klimapaket, das unter anderem eine bezahlte dreimonatige Elternzeit, Kinderbetreuung und Subventionen für nicht-fossile Energieträger vorsieht. Der Infrastrukturteil wurde im Senat mit den Stimmen auch von Republikanern beschlossen. Das Sozial- und Klimapaket wird von den Republikanern abgelehnt. Deshalb ist Biden auf die Stimmen sämtlicher demokratischer Senatoren angewiesen.
Zwei Demokraten blockieren das gewaltige Sozial- und Klimagesetz
Zwei von ihnen – Kyrsten Sinema aus Arizona und Joe Manchin aus West Virginia – tragen den 3,5 Billionen Dollar schweren Entwurf des Repräsentantenhauses aber nicht mit. Beide wollen das Volumen eindampfen. Sinema lehnt zudem die zur Gegenfinanzierung vorgesehene Anhebung der Unternehmenssteuern ab. Das hat zu schwerer Verärgerung beim linken Parteiflügel geführt, der von einer Erpressung spricht. Die Gruppe um Alexandrio Ocasio-Cortez will deshalb am Donnerstag mit „Nein“ stimmen. Damit gäbe es keine Mehrheit.
Als wäre die Lage noch nicht dramatisch genug, drohen zum Monatsende nun auch noch der jährliche Shutdown und zum 18. Oktober erstmals in der Geschichte gar die komplette Zahlungsunfähigkeit der USA, die schwerste Verwüstungen an den Finanzmärkten auslösen würde. Beobachter hoffen, dass die Fristen vom Kongress irgendwie hinausgezögert werden. Doch verweigern die Republikaner kategorisch ihre Zustimmung zur Anhebung der gesetzlichen Schuldengrenze.