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USA: Ein Blick auf das Amerika, das Trump wieder groß machen will

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Ein Blick auf das Amerika, das Trump wieder groß machen will

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    „Wir haben den amerikanischen Traum gelebt." Verfallene Fabrikgebäude, kaputte Fenster, wucherndes Gras: Industrie-Ruinen wie diese gibt es in Youngstown zuhauf.
    „Wir haben den amerikanischen Traum gelebt." Verfallene Fabrikgebäude, kaputte Fenster, wucherndes Gras: Industrie-Ruinen wie diese gibt es in Youngstown zuhauf. Foto: Thomas Spang

    Vom Dach der „First National Bank“ lässt Guy Coviello den Blick über die alte Industriestadt schweifen. Die Stahlwerke, die sich einst wie Perlen entlang des Mahoning River reihten, sind heute genauso Geschichte wie die Banker, die früher den imposanten Wolkenkratzer an der Market Street bevölkerten. Aber Coviello spricht nicht gern über die Vergangenheit, erst recht nicht über den Niedergang von Youngstown. Der Vertreter der örtlichen Handelskammer redet lieber über die Zukunft. Über das Röhrenwerk in der Nähe, in das der französische Konzern Vallourec Star 2012 eine Milliarde Dollar investiert hat. Über General Motors, das nördlich der Stadtgrenze den Chevrolet Cruze baut, auch wenn die Produktion zuletzt wegen Absatzproblemen zurückgefahren werden musste. Und dann ist da noch der Industrieausrüster CNC Machining. „Die finden nicht genügend Facharbeiter“, sagt der Handelskammer-Vertreter. Und dass das ein drängendes Problem vieler Unternehmen in der Stadt sei.

    Mahoning Tal ist Symbol und Mahnmal des industriellen Niedergangs der USA

    Nur, wie kann das sein in einer Stadt, in der die Stahlwerke dichtgemacht haben, wo die Arbeitslosenquote mit 7,7 Prozent fast doppelt so hoch ist wie im Rest des Landes? Coviello hat eine verblüffend einfache Antwort: „Die Leute haben nicht die richtigen Qualifikationen.“ In ihrer Not kam die Handelskammer auf die Idee, mit einem Lokalsender eine Serie zu starten, in der Beschäftigungsmöglichkeiten in der Region vorgestellt werden. „Wir haben mehr als 9000 offene Jobs“, sagt Coviello.

    Eigentlich sind das gute Nachrichten für die alte Arbeiterstadt, in der das Trauma des „Schwarzen Montag“ bis heute nachwirkt, jenem düsteren Septembertag 1977, an dem das Unternehmen Republic Steel 7000 Stahlwerker auf die Straße setzte. Ausländische Konkurrenz, hohe Produktionskosten und sinkende Nachfrage hatten das Aus gebracht. In den fünf Jahren danach verlor die Region mehr als 50.000 Jobs. Fast jeder Vierte hatte plötzlich keine Arbeit mehr. Das Mahoning Tal gelangte zu dem Ruf, „Ground Zero“ für das Ende der Industriekultur zu sein, die einmal die amerikanische Mittelklasse hervorbrachte. Davon hat sich der Nordosten Ohios nie wieder erholt.

    Youngstown, das steht für den Rostgürtel, das alte Industriegebiet in der Mitte Amerikas, aber auch für das Tal der Enttäuschten. Und es ist die Region, die wie keine andere zur Messlatte für Donald Trumps Wahlversprechen geworden ist: „Make America Great Again“ – „Amerika wieder groß machen“. Schließlich ist hier Trumps Kernwählerschaft zu Hause: die frustrierte weiße Arbeiterklasse, die sich vor dem Abstieg fürchtet oder schon darin steckt. Viele haben ihr Leben lang die Demokraten gewählt, wie es sich eben gehörte für die Menschen, die in den Stahlwerken mit harter Arbeit ihr Geld verdienten, an die Gewerkschaft glaubten und an einen Staat, der sich um sie kümmert. Bis Donald Trump kam. Hier hat der US-Präsident im November so viele Stimmen geholt wie kein Republikaner vor ihm.

    Youngstown symbolisierte einst den "American Dream"

    Bekannt geworden ist Youngstown aber weit früher. Als „Steeltown USA“, wie es der Arbeitsforscher John Russo einmal nannte, vor allem aber durch Bruce Springsteen, der das Lebensgefühl der Stadt vor Jahren in seiner traurig-zornigen Ballade „Youngstown“ einfing. Sie erzählt vom Vater, der die Hochöfen „heißer als die Hölle hielt“, die den Stahl für „die Panzer und Bomben“ lieferten. Es geht um Söhne, die auf den Schlachtfeldern von Korea und Vietnam starben, und die Frage, die sich viele Menschen damals stellten: Warum?

    Es könnte die Geschichte von Allan Banner, 67, und seiner Familie sein, die seit sechs Generationen im Mahoning Valley siedelt. Seine Vorfahren lieferten einst das Holz für die Kohlengruben. Sein Großvater und Vater verdienten ihr Geld in der Stahlindustrie. Und das tat auch

    Früher, sagt er, da konnten die Männer direkt aus der Schule in eine Fabrik gehen und gut bezahlte Arbeit finden. „Arbeit gab es satt“, beschreibt er die Tage, als der Stahl den nächtlichen Himmel feuerrot erleuchtete und so viele Menschen hierher zogen, dass es nicht genügend Wohnraum gab. Youngstown wuchs zu einer wohlhabenden Stadt mit 165.000 Einwohnern. Es gab vornehme Kaufhäuser, gute

    Für Trump-Wähler wurde aus dem Traum ein Albtraum

    Beschreibungen wie diese veranschaulichen für Arbeitsforscher John Russo die Geschichte eines langsamen Niedergangs, der von Protest über Ohnmacht hin zur Abneigung führte – und schließlich zu Trump. „In den drei Jahren nach der großen Rezession 2008 verlor Youngstown 22.000 Jobs, mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt“, sagt er. Die Stadt schrumpfte auf 65.000 Einwohner. Deindustrialisierung und Entvölkerung sind die Kehrseite derselben Medaille. Wie der amerikanische Traum mit der Industriekultur zum Leben erwachte, verschwand er mit deren Weggang. An seine Stelle trat Unsicherheit, die Donald Trump im Wahlkampf geschickt ausbeutete. „Er sprach damit nicht nur die Arbeiter an“, gibt Russo zu bedenken. „Viele Trump-Anhänger fürchten, Privilegien zu verlieren, oder sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder.“

    Don Skowron, 67, gehört dazu. „Das ist nicht mehr dasselbe Amerika, in dem ich aufwuchs“, klagt der pensionierte Polizist, der eine Hypothek auf sein abbezahltes Haus aufnahm, um die Ausbildung seiner drei Kinder zu finanzieren. „Wir hungern nicht, müssen aber den Gürtel enger schnallen“, erzählt Skowron, der sich seit Jahren keinen Urlaub mehr leistet. Das Problem sind in seinen Augen die Steuern und Auflagen, die das Wachstum hemmen. Und die Einwanderer, „die sich hier reinschleichen und auf unsere Kosten leben“. Dass Trump dem nun einen Riegel vorschiebe, darüber sei er froh, sagt Skowron, der es in seiner Wut mit den Fakten nicht so genau nimmt. Denn seit der Sozialstaat-Reform Bill Clintons können nicht einmal legale Einwanderer innerhalb der ersten fünf Jahre in den USA irgendwelche Leistungen vom Staat in Anspruch nehmen.

    Der US-Arbeitsmarkt erlebt einen gravierenden Strukturwandel

    Der Politologe John Green, in den USA bekannt als „Mr. Ohio“, attestiert Trump, diese Stimmung unter den weißen Arbeitern ohne College-Abschluss gespürt zu haben. Und nicht zuletzt gibt es nun eine Anspruchshaltung, die Trump bedienen muss. Ein Versprechen, an dem die Wähler ihn hier messen werden – erst recht, weil bisher noch nichts passiert ist. Von Detroit über Pittsburgh bis Youngstown stößt Trump dabei auf die gleichen strukturellen Arbeitsmarktprobleme, die schon seinen Vorgänger umtrieben. Barack Obama, der zwei Mal im Mahoning Valley siegte, pumpte mit seinem „America Makes“-Programm viele Millionen in den Nordosten Ohios. Geld, das unter anderem half, ein topmodernes 3D-Druckzentrum anzusiedeln und in eine Qualifikations-Offensive zu investieren.

    Handelskammer-Sprecher Coviello zeigt vom Dach der „First National Bank“ stolz auf den 3D-Business Inkubator, aus dem eine Reihe an Start-up-Unternehmen hervorgegangen sind. Nicht unbedingt typische Arbeitgeber für die Wähler, die ihre Hoffnungen in Trump setzen. Coviello drückt sich diplomatisch aus. „Die Zeiten, in denen Sie direkt von der Schule durch das Fabriktor ohne weitere Qualifikation in die Mittelklasse aufsteigen, werden nicht wieder zurückkommen.“

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