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USA: Der Sturm aufs Kapitol ist ein Fest für die Autokraten

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Der Sturm aufs Kapitol ist ein Fest für die Autokraten

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    Wladimir Putin bei einer orthodoxen Weihnachtsmesse. Moskau belehrt Washington in Fragen demokratischer Standards.
    Wladimir Putin bei einer orthodoxen Weihnachtsmesse. Moskau belehrt Washington in Fragen demokratischer Standards. Foto: Mikhail Klimentyev, dpa

    Es war ein Neujahrsgeschenk, wie es sich wohl selbst die größten Autokraten nicht in ihren ohnehin kühnen Träumen ausgemalt hatten: Ausgerechnet in den USA, der Herzkammer der Demokratie, kommt es zum Sturm auf das Parlament. Angestachelt vom Präsidenten selbst, der ein gerichtlich bestätigtes Wahlergebnis aus verletztem Stolz nicht anerkennen mag. Szenen wie aus einer Bananenrepublik.

    Während im Westen Entsetzen über die tiefe Wunde im demokratischen System herrscht, brechen die Diktatoren in jubelnde Schadenfreude aus. "Die internationale Wirkung ist verheerend: Die USA fallen als westliche Führungsmacht aus – die Machthaber in Russland, China oder Nordkorea werden sich bestätigt fühlen, dass die westlichen Demokratien keine Zukunft haben", sagt Sigmar Gabriel, Chef der Atlantikbrücke und früherer Bundesaußenminister.

    Hämische Wünsche aus China nach Angriff auf das Kapitol

    Besonders schnell reagierte Peking. Als in Washington nicht nur die Scheiben zu Bruch gingen, brach dort bereits der Morgen an. Wohl verpackt in gute Wünsche überbrachte die chinesische Regierung ihre Spitze gegen die US-Führung. Man wünsche eine schnelle Rückkehr zu "Frieden, Stabilität und Sicherheit". "Wir glauben, dass sich das amerikanische Volk Sicherheit und Ruhe wünscht, insbesondere inmitten der Pandemie", sagte Hua Chunying, eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums.

    Hinter der Äußerung steckt weit mehr als nur ein zynischer Seitenhieb. Denn für viele Chinesen waren die USA lange Zeit ein politischer Leuchtturm – sehr zum Missfallen des kommunistischen Regimes.

    Doch schon während der Corona-Krise nahm der Ruf Amerikas großen Schaden, nun demonstriert China auch noch seine vermeintliche moralische Überlegenheit. Die soll vor allem den eigenen Bürgern klar werden, die sich gegen ihre Regierung auflehnen und von Demokratie träumen. Hua Chunying erinnerte daran, dass auch während der Hongkong-Proteste Demonstranten ins Parlament der chinesischen Sonderverwaltungsregion eingedrungen waren. Obwohl es nach Darstellung der Sprecherin in Hongkong mehr Gewalt vonseiten der Regierungsgegner gegeben habe, sei die Polizei stets professionell vorgegangen. In Washington seien an nur einem Tag vier Menschen gestorben. Der Export von Demokratie wird für Amerika künftig also noch schwieriger werden.

    Deutlich auch die Worte aus Kuba an den langjährigen Erzfeind. "Wir lehnen die schwerwiegenden Gewaltakte und Vandalismus ab, die gestern im Kongress der USA geschehen sind", schrieb Außenminister Bruno Rodriguez auf Twitter.

    "Sie sind Ausdruck der Krise des Systems und Ergebnis einer langen Periode der Ausgrenzung, Manipulation, politischen Unverantwortlichkeit und Anstachelung zum Hass." Der Minister der autoritär regierten Karibikinsel stellt klar: "Die Verletzung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Missachtung der Institutionen, die Präsident Trump angetrieben hat, um den Willen der Wähler zu annullieren, sind ein Abbild der schändlichen Praktiken, die die USA gegen den Rest der Welt angewendet haben", schrieb Rodríguez.

    Russland spricht von "archaischem" System in den USA

    Ähnlich das Echo aus Moskau auf die Ausschreitungen: Die Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte zwar, dass es sich dabei um eine inneramerikanische Angelegenheit handelt, doch schob gleich hinterher: "Gleichwohl richten wir die Aufmerksamkeit erneut darauf, dass das US-Wahlsystem archaisch ist, es entspricht nicht heutigen demokratischen Standards." Russland wünsche dem amerikanischen Volk, "dass es diesen dramatischen Moment der eigenen Geschichte mit Würde übersteht".

    "Wir fordern alle Parteien in den USA auf, Zurückhaltung und Umsicht zu bewahren", rät das türkische Staatsministerium. "Venezuela ist beunruhigt über die gewalttätigen Ereignisse in Washington, verurteilt die politische Polarisierung und hofft, dass das amerikanische Volk einen neuen Weg in Richtung Stabilität und sozialer Gerechtigkeit eröffnet", twitterte der venezolanische Außenminister.

    "Was wir in den Vereinigten Staaten gesehen haben, zeigt vor allem, wie fragil und angreifbar die westliche Demokratie ist", sagte der iranische Präsident Hassan Rouhani. Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa forderte umgehend ein Ende der US-Sanktionen gegen sein Land: "Die USA haben kein moralisches Recht, eine andere Nation unter dem Deckmantel der Demokratieförderung zu bestrafen."

    Washington D.C.: Sicherheitskräfte setzen Tränengas ein, nachdem Unterstützer von US-Präsident Trump das Kapitolgebäude gestürmt haben.
    Washington D.C.: Sicherheitskräfte setzen Tränengas ein, nachdem Unterstützer von US-Präsident Trump das Kapitolgebäude gestürmt haben. Foto: Probal Rashid, dpa

    Wird Trumps Erbe also die US-Außenpolitik nachhaltig belasten? Durchaus – und doch ist Trump dabei nur die Spitze eines gewaltigen Eisberges. "Die amerikanische Demokratie hat schon viel früher Schaden genommen – spätestens unter George W. Bush", sagt Josef Braml, Politikwissenschaftler und USA-Experte . Zwischen Washingtons Anspruch auf eine internationale Führungsrolle und der Realität habe schon längst eine Lücke geklafft. Die Musterdemokratie sei zur Geldherrschaft verkommen, die moralischen Ansprüche an andere Nationen hat Amerika selbst nicht mehr erfüllt.

    Angriff auf das Kapitol: Washingtons Ruf ist angeknackst

    Ob in Afghanistan, dem Irak oder Syrien: Washingtons Ruf ist angeknackst. Auch im eigenen Land hat die Polarisierung, auf die die Diktatoren nun mit Häme verweisen, bereits vor vielen Jahren ihren Anfang genommen. "Wir dürfen nicht den Fehler machen, zu glauben, dass vor Trump alles gut war", sagt Braml.

    Der Demokrat Joe Biden übernimmt am 20. Januar die schwierige Nachfolge von Donald Trump.
    Der Demokrat Joe Biden übernimmt am 20. Januar die schwierige Nachfolge von Donald Trump. Foto: Susan Walsh, dpa

    Was heißen die Ausschreitungen in Washington für Joe Biden?

    Diesen Ballast wird nun schon in gut zwei Wochen Trumps Nachfolger Joe Biden erben. "Er wird sich mit Russland arrangieren müssen, er wird sich mit Saudi-Arabien und China auseinandersetzen müssen", sagt Braml.

    Vor allem im Verhältnis zu Peking wird es wohl auch unter dem Demokraten keine Entspannung geben. Braml sieht einen Zweikampf um die militärische und ökonomische Vorherrschaft heraufziehen. "Die Globalisierung wird unter dieser Bipolarität leiden", sagt er. Einfacher, das steht fest, wird es für Amerikas Außenpolitik nicht. "Noch bis zum 20. Januar können sich die Autokraten freuen, dass die shining city upon a hill, die leuchtende Stadt auf dem Hügel, nicht mehr strahlt, sondern dass dort Rauch aufsteigt", sagt US-Experte Josef Braml.

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