Es dauert eine Weile, bis die Menge zum ersten Mal in Fahrt gerät. Donald Trump hat schon die Ernennung konservativer Richter, die Erhöhung der Militärausgaben und die Steuersenkung hervorgehoben. Doch echte Stimmung kommt in der Bok-Halle in Tulsa erst auf, als der Präsident eine ganz besondere Fähigkeit vorführt: Er greift mit der rechten Hand ein Glas Wasser und trinkt daran. Da jubeln tausende Zuschauer und seine treuesten Anhänger skandieren: „Four more years!“ – Noch einmal vier Jahre!
Für einen Moment wirkt auch Trump zufrieden: In seinen besten Momenten kann sich der einstige Reality-TV-Star noch auf sein schauspielerisches Talent verlassen. Doch die Vorführung mit dem Wasserglas ist unfreiwillig bezeichnend für die gesamte Kundgebung. Trump will mit der Showeinlage beweisen, dass er kerngesund ist und – anders als es die Bilder von seinem Auftritt in der Militärakademie West Point vor gut einer Woche nahelegen könnten – keineswegs unter neurologischen Problemen leidet. Ganze zehn Minuten erklärt er ausschweifend, wie viele Stunden er an diesem Tag in der Sonne gestanden habe, wie oft er den Arm zum militärischen Gruß hob und wie glatt die Rampe von der Bühne gewesen sei, weshalb er beim Trinken die linke Hand zur Hilfe genommen und beim Abgang geschlürft habe. In die Offensive bringt ihn das nicht.
30 Millionen Arbeitslose, 120.000 Corona-Tote als Riesenhypothek
Anfang März hatte Trump seine Kundgebungen, bei denen er zuvor regelmäßig Kraft schöpfte, wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. Seither sind 120.000 Amerikaner an Covid-19 gestorben, und mehr als 30 Millionen haben ihren Job verloren.
Ein Afroamerikaner wurde das Opfer brutaler Polizeigewalt. Im ganzen Land gibt es Proteste. Über all das redet der Präsident bei seinem ersten Wahlkampfauftritt nach dreieinhalb Monaten nicht. Sein eigenes Wohlbefinden hält er für wichtiger. „Das große amerikanische Comeback“ haben seine Strategen die Veranstaltung getauft.
Der Präsident ist abgeschlagen in den Umfragen
Tatsächlich geht es um das Comeback eines Präsidenten, der zuletzt von den Ereignissen an den Rand gedrängt wurde und bei Umfragen neun Prozentpunkte hinter den demokratischen Herausforderer Joe Biden zurückgefallen ist.
Doch als der Redner nach hundert quälenden Minuten die Bühne verlässt, kann man sich an nicht viel mehr als an das halb leere Wasserglas erinnern. Noch wilder als sonst hat Trump verbal um sich geschlagen und in einer schwindelerregenden Achterbahnfahrt seine Evergreens aneinandergereiht. Da dürfte dem Egomanen schon klar sein, dass sein Comeback ein Rohrkrepierer wird.
Trump selbst schürte hohe Erwartungen an Besucherzahl
„Fast eine Million“ Bestellungen für Eintrittskarten lägen vor, hatte er vor wenigen Tagen behauptet und sich gebrüstet: „Bei mir bleibt nie ein Platz frei.“ Tatsächlich kommen kaum mehr als zehntausend Anhänger. Eine Freiluftbühne, auf der Trump vor der eigentlichen Kundgebung zu den Massen reden wollte, wird am Samstagabend eilig ungenutzt abgebaut, und drinnen in der Veranstaltungshalle bleiben die oberen Ränge gähnend leer – und das in Oklahoma, wo 2016 satte 65 Prozent für Trump stimmten. In keinem Bundesstaat erhielt er mehr Stimmen.
Natürlich hat der Wahlkämpfer dafür eine Erklärung: Das kleine Häuflein friedlicher Demonstranten auf der Straße hätte seine Anhänger nicht durchgelassen, und die „Fake News“ – wie er die Medien nennt – hätten sie mit Covid-Berichten verschreckt.
Infektionen im Wahlkampfteam vor Ort
Tatsächlich hatte der oberste Gesundheitsexperte der republikanisch regierten Stadt Tulsa dringend vor der Veranstaltung gewarnt, und sechs Mitglieder von Trumps Vorauskommando wurden noch vor dem Beginn positiv getestet. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, trägt bei der Kundgebung auch keine Maske.
Der Mann am Rednerpult veralbert die Pandemie, die gerade im Süden und Westen der USA schlimmer als je zuvor wütet, mit rassistischem Unterton als „Kung Flu“. Dummerweise versaue bloß der phänomenale Ausbau der Testkapazitäten in den USA gerade die Statistik. „Deswegen habe ich zu meinen Leuten gesagt: Macht etwas langsamer!“, sagt er ernsthaft.
Über seine Pläne für die nächsten vier Jahre spricht der Präsident nicht. Umso düsterer zeichnet er dafür das Horrorszenario, das bei einem Wahlsieg der Demokraten angeblich droht. Joe Biden sei ein Tattergreis, der kaum noch wisse, wer er sei, aber von den „radikalen Verrückten“ in seiner Partei kontrolliert werde, behauptet Trump.
Der Beifall bei Attacken gegen Deutschland bleibt bescheiden
Der „linksradikale Mob“ wolle die amerikanische Kultur zerstören, die Waffen wegnehmen, die Polizei abschaffen und jede Menge kriminelle Einwanderer ins Land lassen. Die Demokraten wollten, dass der Aktienmarkt einbricht, behauptet Trump. Dann seien die Ersparnisse fürs Alter verloren. Er lässt wirklich keinen Panik-Knopf aus. Irgendwann bekommt auch Deutschland sein Fett weg. Berlin schulde der Nato eine Billion Dollar, behauptet Trump. Außerdem wolle es gegen Russland geschützt werden, obwohl es Moskau viele Milliarden für Energie zahle. Es ist eine alte Leier, und Trump ergänzt sie dieses Mal um den Hinweis, dass er deswegen 10.000 US-Soldaten abziehen werde. Der Beifall ist bescheiden.
So geht das scheinbar endlos weiter. Der Mann, der nach Aussage seines ehemaligen Sicherheitsberaters John Bolton die Behinderung der Justiz zum eigenen Lebensprinzip machte und gerade den gegen ihn ermittelnden Top-Staatsanwalt von New York gefeuert hat, präsentiert sich ernsthaft als letzter Wächter von Recht und Ordnung. „Wenn ich die Wahlen verliere, wird das Land in großen Schwierigkeiten sein“, ruft er warnend seinen Anhängern zu. Draußen im Land ahnen derweil immer mehr, dass es umgekehrt sein könnte.
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