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Türkei: Wenn Kritik als Hochverrat gilt

Türkei

Wenn Kritik als Hochverrat gilt

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    Mussten gestern die Türkei verlassen: die deutschen Korrespondenten Thomas Seibert (links) und Jörg Brase.
    Mussten gestern die Türkei verlassen: die deutschen Korrespondenten Thomas Seibert (links) und Jörg Brase. Foto: Ozan Kose, afp

    Vom „Schatten der Diktatur“ schrieb die türkische Journalistik-Studentin Berivan Bila in einem Aufruf an ihre Kommilitonen, in dem sie einen aufrechten Journalismus forderte. Ihre Überschrift: „Erste Lektion des Journalismus: Journalismus ist kein Verbrechen.“ Das sahen die Behörden anders: Am frühen Morgen klopfte die Polizei im Dezember an Bilas Tür, beschlagnahmte ihren Computer und ihr Handy und führte die junge Frau ab. Als Beleidigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wertete die Staatsanwaltschaft den Beitrag, den Bila in sozialen Medien veröffentlicht hatte. Inzwischen ist die Studentin wieder auf freiem Fuß, doch das Verfahren läuft weiter und nicht nur dieses: Allein im Jahr 2017 eröffnete die Justiz nach einer Zählung des Jura-Professors Yaman Akdeniz mehr als 20000 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Erdogan-Beleidigung, in über 6000 Fällen wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

    Der Staatspräsident selbst teilt unterdessen kräftig gegen Journalisten aus und animiert die Justiz damit, gegen Regierungskritiker vorzugehen. So wird gegen den bekannten Fernsehmoderator Fatih Portakal ermittelt, weil er Erdogan unangenehm auffiel: Portakal hatte die Frage gestellt, ob in der Türkei noch friedliche Protestdemonstrationen möglich seien. „Die Justiz wird ihm die angemessene Antwort geben“, lautete die Reaktion des Präsidenten. Wenn Portakal so weitermache, werde ihm die Türkei „den Hintern versohlen“.

    Absurde Anschuldigungen gegen Journalisten sind in der Türkei an der Tagesordnung. Nach einer Zählung des Journalistenverbandes TGC sitzen derzeit 135 Journalisten und Medienmitarbeiter hinter Gittern. Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen steht die Türkei an 157. Stelle von 180 Staaten. Kritik und Appelle aus der EU perlen an den Politikern in Ankara ab.

    Diese deprimierende Bilanz nur der Regierung Erdogan zuzuschreiben greift zu kurz. Der türkische Staat hat schon seit jeher seine Probleme mit der Rolle einer unabhängigen Presse innerhalb westlicher Normen der Meinungsfreiheit. Erdogan selbst landete als Istanbuler Bürgermeister in den 90er Jahren für einige Monate im Gefängnis, weil er in einer Rede ein Gedicht zitierte, in dem es unter anderem hieß, die Moscheen seien die Kasernen der Gläubigen. Die Justiz erkannte darin Volksverhetzung.

    Schon lange vor der Ära Erdogan verstanden sich viele Richter und Staatsanwälte in der Türkei vor allem als Beschützer des Staates vor angeblichen Angriffen seiner Bürger und nicht als Garanten der Rechte dieser Bürger. Auch eine weitere Tradition hat Erdogan von seinen Vorgängern übernommen: eine für die Meinungsvielfalt unheilvolle Zusammenarbeit zwischen der Regierung und Unternehmen. Mehrere türkische Konzerne halten sich Zeitungen oder Fernsehsender aus politischen Gründen. Die Unternehmen erhielten in den vergangenen Jahren millionenschwere Staatsaufträge, während die Medien dieser Konzerne die Regierung bejubelten.

    Erdogans Apparat sieht darin kein Problem. Die Inhaftierung von Journalisten wird mit dem Hinweis beantwortet, die Reporter säßen nicht wegen ihrer journalistischen Arbeit im Gefängnis, sondern wegen Vergehen wie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

    In dieser Argumentation werden die Grenzen der Meinungsfreiheit so eng gezogen, dass Kritik an der Regierung in die Nähe von Hochverrat gerückt wird. Erdogan und seine Berater agieren aus der Überzeugung heraus, angebliche Verschwörungen abwehren. Das ist der ideologische Hintergrund für den aktuellen Versuch Ankaras, deutsche Medien zur Entsendung von Türkei-Korrespondenten zu zwingen, die Ankara besser ins Konzept passen. Schon seit einigen Jahren richtet sich der Zorn der Regierung gegen ausländische Medien und deren Vertreter. Der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel verbrachte ein Jahr in Untersuchungshaft, bevor er auf Druck der Bundesregierung freigelassen wurde. Mehrere andere Reporter mussten das Land verlassen.

    Der Entzug der Arbeitsgenehmigungen für den Tagesspiegel-Journalisten Thomas Seibert, der auch für unsere Zeitung berichtet, sowie den ZDF-Korrespondenten Jörg Brase und den NDR-Fernsehjournalisten Halil Gülbeyaz, der nicht ständig in der Türkei lebt, ist das jüngste Beispiel. Seibert und Brase kritisierten in Istanbul vor ihrer Abreise das Vorgehen der türkischen Regierung scharf. „Es ist ein Versuch, ausländische Medien einzuschüchtern und Druck auf sie auszuüben“, so Brase. Man werde sich aber nicht beeindrucken lassen. Das ZDF werde gegen die Entscheidung auch gerichtlich vorgehen. Er und Seibert wollen weiter über die Türkei berichten – nötigenfalls von außerhalb.

    Seibert sagte: „Der Versuch der Bundesregierung, mit der Türkei im Gespräch zu bleiben und sie bei diesem schwierigen Thema hinter verschlossenen Türen zu einer gemäßigten Linie zu bewegen, kann jetzt als gescheitert angesehen werden.“ Die „Eskalation im Umgang mit den deutschen Medien“ habe einen Punkt erreicht, an dem die Bundesregierung gar nicht mehr anders könne, als schärfer vorzugehen.

    Sowohl Brase als auch Seibert sagten, die türkische Botschaft in Berlin habe ihren Chefredaktionen angeboten, andere Journalisten zu entsenden, deren Anträge dann „geprüft“ würden. Darauf hätten sich ihre Häuser nicht eingelassen.

    Einen Tag vor der Ausreise von Brase und Seibert zog die Bundesregierung dann Konsequenzen und verschärfte die Reisehinweise für die Türkei. Das dürfte das Land, das seit Monaten in einer Währungs- und Konjunkturkrise steckt und für 2019 mit vielen Touristen aus Deutschland rechnet, hart treffen. Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass die türkische Regierung weitere Maßnahmen gegen Vertreter deutscher Medien sowie zivilgesellschaftlicher Einrichtungen ergreift“, heißt es nun auf der Webseite des Auswärtigen Amtes. Das AA warnt auch, „dass nicht-öffentliche Kommentare in sozialen Medien etwa durch anonyme Denunziation an die türkischen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden“. (mit dpa)

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