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Türkei-Wahl: Was wird aus der Türkei nach Erdogans Sieg?

Türkei-Wahl

Was wird aus der Türkei nach Erdogans Sieg?

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    Präsident Recep Tayyip Erdogan: Laut der Opposition gibt es keinen Mechanismus mehr, der Willkür und Grobheit im Weg stehe.
    Präsident Recep Tayyip Erdogan: Laut der Opposition gibt es keinen Mechanismus mehr, der Willkür und Grobheit im Weg stehe. Foto: dpa

    Es ist ein Rechtsrutsch: Fast zwei von drei Wählern in der Türkei haben am Sonntag eine konservative oder nationalistische Partei gewählt. Im Parlament ist Präsident Recep Tayyip Erdogan nun nicht auf liberale Reformkräfte angewiesen, wie die Opposition es sich vor der Wahl erhofft hatte, sondern auf die Unterstützung der Rechtsnationalisten. Das wird sich auf den Kurs des Landes auswirken, der jetzt noch stärker auf eine türkische Großmachtposition ausgerichtet sein wird. Insbesondere bei notwendigen Wirtschaftsreformen wird das zu Problemen für Erdogan führen.

    Opposition: Es gab Unregelmäßigkeiten bei der Türkei-Wahl

    Die Opposition hat unterdessen ihre eigenen Probleme. Ihre Chefs tauchten am Wahlabend völlig ab und mussten Beschwerden über angebliche Manipulationen wieder zurücknehmen. Der unterlegene Präsidentenkandidat Muharrem Ince sagte, es habe Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gegeben, die jedoch das Ergebnis nicht entscheidend beeinflusst hätten. „Haben sie Stimmen gestohlen? Ja, bestimmt haben sie das. Aber haben sie zehn Millionen Stimmen gestohlen? Nein. Und ich erkenne das Wahlergebnis an.“

    Ince kritisierte, die Türkei sei nun in eine „Ein-Mann-Herrschaft“ übergegangen. „Diese Wahl war, angefangen von der Art ihrer Ankündigung bis hin zur Verkündung der Ergebnisse, in allem eine unfaire Wahl.“ Das „neue Regime“ sei eine große Gefahr für die Türkei. Eine Partei, sogar eine einzige Person sei Staat, Exekutive, Legislative und Justiz geworden. „Im System gibt es keinen Mechanismus, der der Willkür und Grobheit im Weg steht“, warnte der Oppositionspolitiker. „Die Türkei hat ihre Bindung zu demokratischen Werten gelöst.“

    Erdogan-Partei AKP kam auf 42 Prozent

    Ince hatte sich alle Mühe gegeben, die kemalistische CHP als gesamttürkische Kraft zu präsentieren, musste sich am Ende aber mit knapp 31 Prozent der Stimmen zufriedengeben. Allerdings werfen heute viele Konservative der einst von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk der auf strikte Trennung von Staat und Religion bedachten CHP vor, fromme Muslime zu diskriminieren, weshalb Inces Bündnis in konservativen Wählerschichten offenbar nicht punkten konnte.

    So musste die Erdogan-Partei AKP zwar Stimmenverluste verbuchen, kam aber immer noch auf 42 Prozent, dazu kommen im Wahlbündnis noch 11,2 Prozent der rechtsextremen MHP. Eine Abspaltung der rechten MHP, die nationalistische Iyi Parti, landete bei 10,4 Prozent, schloss sich aber dem CHP-Wahlbündnis an. Insgesamt kam das rechtsnationale Lager damit auf knapp 64 Prozent. Da AKP und MHP als Bündnispartner in die Wahl gegangen waren, wird sich Erdogan künftig vor allem auf die Rechtsaußen-Partei stützen, um sich Mehrheiten im Parlament zu suchen. Das überraschend gute Ergebnis der MHP bewahrte Erdogan davor, mit einem von der Opposition beherrschten Parlament zurechtkommen zu müssen. Parteichef Devlet Bahceli machte klar, dass er seine Partei nicht als Erfüllungsgehilfen Erdogans sieht. Der Wähler habe der MHP die Aufgabe gegeben, die Regierungsmacht auszubalancieren und zu kontrollieren.

    Erdogan kann nun per Dekret regieren

    Tatsächlich hat Erdogan sein Idealziel nicht erreicht, sagt der Türkei-Experte Kerem Oktem von der Universität Graz. Die Rolle der MHP sei für den Präsidenten ein „Kratzer am Bild“, sagte Oktem unserer Redaktion. Er sprach von einer „De-facto-Koalition“ zwischen AKP und MHP. Wie sehr Erdogan die MHP unter den Regeln des neuen Präsidialsystems braucht, ist noch ungewiss. Oktem verwies auf die neue Machtfülle des 64-jährigen Staatsoberhauptes, der per Dekret regieren und viele Entscheidungen alleine oder mit seinem Kabinett fällen kann, das alleine ihm verantwortlich ist, nicht dem Parlament. Für wichtige Beschlüsse muss sich der Präsident allerdings an die Volksvertretung wenden.

    Der in Washington lebende Türkei-Experte Aykan Erdemir erwartet einen relativ starken Einfluss der MHP auf die Politik Erdogans. Der Präsident werde in der Innen- wie in der Außenpolitik Zugeständnisse an die Ultra-Nationalisten machen müssen, sagte Erdemir unserer Redaktion. Eine Rückkehr zum Friedensprozess in der Kurdenfrage sei mit der MHP unmöglich. Erdemir rechnet mit einer Intensivierung türkischer Militäreinsätze gegen kurdische Rebellen in Syrien und im Irak.

    Dies lasse auf eine engere Zusammenarbeit mit Russland schließen und eine weitere Entfremdung der Türkei vom Westen. Mit Kremlchef Wladimir Putin kommt Erdogan ohnehin glänzend zurecht – Kritiker sprechen von der Verbundenheit von zwei Männern mit autokratischen Tendenzen. Putin lobte nun Erdogan für dessen „große politische Autorität“. (mit afp)

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