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Türkei: Terror in der Türkei: Zum Vergnügen geht keiner mehr aus

Türkei

Terror in der Türkei: Zum Vergnügen geht keiner mehr aus

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    In der belebten Istiklalstraße in Istanbul ist eine improvisierte Gedenkstätte entstanden. Ein Attentäter riss hier vier Menschen mit in den Tod.
    In der belebten Istiklalstraße in Istanbul ist eine improvisierte Gedenkstätte entstanden. Ein Attentäter riss hier vier Menschen mit in den Tod. Foto: Yasin Akgul, afp

    Am Samstagabend brennt normalerweise die Luft auf der Istiklalstraße, der aufregendsten Fußgängerzone in Europa. Unter den Lichterketten bummeln Familien mit Kinderwagen, Touristengruppen und Scharen von schwatzenden Jugendlichen so dicht gedrängt, dass alle Schulter an Schulter gehen. In einigen Seitengassen fiedeln Stehgeiger vor voll besetzten Tischen, in anderen dröhnt Live-Musik aus einem Dutzend Kneipen zugleich. Vor dem Galatasaray-Gymnasium steht meistens eine Mahnwache mit Flugblättern für oder gegen irgendetwas, alle paar hundert Meter spielt ein Straßenmusiker, und dazwischen manövrieren Verkäufer mit ihren Handwagen.

    Geisterhafte Stille in Istanbul

    So war es bisher in Istanbul, aber so ist es nun nicht mehr. Still und dunkel bleibt die Istiklalstraße an diesem Wochenende, geisterhaft still sind auch die anderen Straßen und Plätze der sonst so quirligen türkischen Metropolen. Laut Medienberichten wurde der als Anhänger des Islamischen Staates (IS) gesuchte türkische Staatsbürger Mehmet Öztürk als Täter identifiziert. Er sprengte sich neben einer Gruppe israelisch-amerikanischer Touristen in die Luft – ob die Besucher tatsächlich Öztürks Ziel waren, oder ob der Sprengsatz verfrüht explodierte, ist noch nicht geklärt. Mindestens drei weitere potenzielle

    „Ich mache heute gar nicht erst auf“, sagt der Manager einer hundert Meter vom Explosionsort an der Istiklalstraße gelegenen Kneipe, der nur gekommen ist, um zu sehen, ob seine Bar noch Fenster hat. Der für den Abend engagierten Band aus Europa hat er schon vor dem neuesten Anschlag abgesagt, denn die Kundschaft bleibt bereits seit den Attentaten von Ankara aus: Zum Vergnügen geht niemand mehr aus in den Metropolen der Türkei.

    Auch in der benachbarten Nevizade-Gasse, die sonst allabendlich tausende vergnügte Zecher abfüttert, bleiben die meisten Lokale an diesem Wochenende deshalb geschlossen. Stattdessen marschierten die Lokal- und Ladeninhaber mit Nelken und Protestschildern zum Anschlagsort. „Wir werden uns nicht daran gewöhnen“ steht auf ihren Plakaten.

    Arrangieren müssen sich die Türken in ihrem Alltag aber mit dem Terror, der plötzlich allgegenwärtig geworden ist in ihrem Leben. Manchmal sind die Ergebnisse absurd: Auf der Brücke über den Bosporus in Istanbul verursachte vor wenigen Tagen ein ohne Sprit liegen gebliebenes Auto eine Panik, die den Verkehr der 17-Millionen-Metropole für Stunden lahmlegte.

    Angst vor neuen Anschlägen

    Die Angst vor neuen Anschlägen überschattet die Genugtuung über die Ergebnisse des EU-Türkei-Gipfels mit der Aussicht auf ein baldiges Ende der Visapflicht für Türken in Europa. Jeden kann es treffen, das ist die Botschaft der jüngsten Gewalttaten, die sich nicht mehr gegen staatliche Einrichtungen und Sicherheitskräfte richten, sondern gegen alle Bürger und Besucher.

    Zu den Opfern des jüngsten Anschlags gehörte außer den ausländischen Touristen und einem Maronenverkäufer auch eine vierköpfige Familie aus der südtürkischen Stadt Adana, die auf Kurzurlaub in Istanbul war. Der Vater und eine zweieinhalbjährige Tochter liegen schwer verletzt im Krankenhaus, die Mutter und eine siebenjährige Tochter wurden leichter verletzt.

    „Man traut sich ja nicht mehr aus dem Haus“, jammert eine türkische Hausfrau am Wochenende. Vor allem in den öffentlichen Verkehrsmitteln haben die Bürger Angst, seit die Attentäter von Ankara eine Autobombe in einen voll besetzten Bus rammten. „Wir überlegen, ob wir umziehen sollen, damit mein Mann nicht mehr mit dem Bus fahren muss“, sagt eine Lehrerin.

    Verstärkt wird die Verunsicherung vieler Türken durch das Gefühl, dass ihre eigene Regierung nicht mit offenen Karten spielt. Mit Durchhalteparolen beschwören die Behörden die Bürger, dem Staat zu vertrauen, dem Terror nicht zu weichen und unbeirrt ihrem Alltag nachzugehen – obwohl längst überdeutlich geworden ist, dass der Staat sie nicht schützen kann.

    „Glaubt es nicht“, beschwor der Gouverneur von Istanbul die Bevölkerung, als die deutschen Behörden nach einer Terrorwarnung letzte Woche die deutsche Schule und das Konsulat schlossen. „Deutsche Terrorlüge“ und „Deutsche Panikmache“ titelte die regierungsnahe Presse, und das Erziehungsministerium kündigte ein Disziplinarverfahren gegen die deutsche

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