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Türkei: Recep Erdogan: Der Pragmatiker vor dem dritten Wahlsieg

Türkei

Recep Erdogan: Der Pragmatiker vor dem dritten Wahlsieg

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    Hofft erneut auf eine absolute Mehrheit: Der Premierminister der Türkei Tayyip Erdogan von der AKP bei einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul. dpa
    Hofft erneut auf eine absolute Mehrheit: Der Premierminister der Türkei Tayyip Erdogan von der AKP bei einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul. dpa

    Auch nach gut acht Jahren als  türkischer Ministerpräsident scheiden sich an Recep Tayyip Erdogan die Geister. Für seine Anhänger ist der 57-jährige eine  Lichtgestalt, für seine Gegner ein politischer Unhold. Einig sind  sich Freund und Feind aber darin, dass Erdogan die Türkei stärker  verändert hat als die meisten Regierungschefs vor ihm. Bei der  Parlamentswahl am Sonntag bewirbt sich Erdogan zum letzten Mal um  ein Mandat in der Volksvertretung. Darüber, was er anschließend  vorhat, wird schon heftig spekuliert. Denn möglicherweise strebt  Erdogan nach Höherem.

    Mehr oder weniger offen spielt Erdogan mit dem Gedanken, das  parlamentarische System der Türkei per Verfassungsreform in ein  Präsidialsystem umzuwandeln. Dass er gerne selbst an der Spitze  eines solchen Systems stehen würde, ist ein offenes Geheimnis.  Erdogans letzter Parlamentswahlkampf könnte deshalb der  Vorbereitung auf das Präsidentenamt dienen, das derzeit noch von  seinem Freund Abdullah Gül bekleidet wird.

    Gül hat sich mit seiner ruhigen und ausgleichenden Art viel  Respekt erarbeitet. Ob Erdogan ebenso präsidial wäre, ist fraglich.  Der aus dem Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa stammende  Regierungschef ist mit Leib und Seele Parteipolitiker, der nichts  Schöneres kennt, als auf den jeweiligen Gegner einzudreschen.  Salbungsvolle Ansprachen sind seine Sache nicht.

    Das Kämpfen hat Erdogan schon früh gelernt. In seiner Jugend  verkaufte er Sesamkringel in Kasimpasa, als Jungpolitiker setzte  sich der talentierte Fußballer, der wegen seiner Frömmigkeit den  Beinamen "Imam Beckenbauer" erhielt, 1994 als Bürgermeister von  Istanbul durch.

    Im Amt offenbarte Erdogan eine politische Eigenschaft, die ihn  bis heute auszeichnet: Er mag als Privatperson ein frommer Muslim  sein, doch als Politiker ist er vor allem Pragmatiker.

    Türkische Säkularisten verstanden Erdogans politisches Talent  als Gefahr. Ende der 1990er Jahre kam er ins Gefängnis, doch der  Kämpfer Erdogan arbeitete schon im Knast an seinem Comeback. Nach  seiner Entlassung gründete er im Jahr 2001 mit Gül und anderen  Gleichgesinnten die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP),  die sich an den europäischen Christdemokraten orientierte:  wertkonservativ, wirtschaftsfreundlich, pragmatisch. Ein Jahr  später wurde die AKP an die Regierung gewählt, im März 2003 wurde  Erdogan Ministerpräsident.

    In seiner Regierungszeit begann die Türkei mit  EU-Beitrittsverhandlungen, ein Wirtschaftsboom mehrte das  politische Gewicht des Landes und sorgte für wachsenden Wohlstand.  Erdogan ist der erste türkische Regierungschef, der öffentlich das  Kurdenproblem beim Namen nannte, und er drängte den politischen  Einfluss der Militärs zurück.

    Nach und nach lernten die Türken und das Ausland aber auch, dass  Erdogan neben seiner Rolle als Reformer noch andere Seiten hat. Der  Ministerpräsident verklagte Karikaturisten, weil er nicht als Katze  gezeichnet werden wollte. Frauenverbände reagierten empört, als  Erdogan forderte, jedes Ehepaar solle mindestens drei Kinder in die  Welt setzen. Die Deutschen erschreckte er mit der Warnung, eine  Assimilierung der in der Bundesrepublik lebenden Türken sei ein  "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Die Beziehungen der Türkei  zu Israel rutschten in eine Dauerkrise.

    Umfragen gehen von 45 bis 50 Prozent aus

    Im Regierungsalltag zog Erdogan immer mehr Befugnisse an sich  und umgab sich nach Beobachtung von US-Diplomaten mit Ja-Sagern. Ob  der Regierungschef mit den angeblichen Präsidial-Ambitionen  tatsächlich die Bodenhaftung verloren hat, wird sich am Wahltag  zeigen. Umfragen zufolge kann die AKP mit 45 bis 50 Prozent der  Stimmen rechnen und steht damit vor einem neuen Triumph. Das  Raubein Erdogan dürfte den Türken noch eine Weile erhalten bleiben  - in welchem Amt auch immer.

    Wie sicher er sich seines Sieges ist, zeigte sich schon am Mittwoch. Da kündigte  Erdogan an, nach seinem Sieg die EU-Bewerbung seines Landes mit  einem eigenen Ministerium aufwerten. Das EU-Ministerium werde zum  neuen Kabinett der Türkei nach der Wahl gehören, sagte Erdogan am  Mittwoch in Ankara. afp

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