Mehr als vier Jahre nach dem Putschversuch in der Türkei hat ein Gericht in der Hauptstadt Ankara Urteile gegen Hunderte Beteiligte gefällt. Insgesamt seien 337 Menschen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. 60 weitere hätten Gefängnisstrafen zwischen 6 und knapp 17 Jahren erhalten. In dem Hauptverfahren seien 475 Menschen angeklagt gewesen, darunter auch Anführer. Alle Verurteilten seien rund um den Luftwaffenstützpunkt Akinci an der Putschnacht beteiligt gewesen, hieß es. Von dort aus wurde dieser geleitet. 70 Menschen wurden freigesprochen.
Putschversuch 2016: Unter den Verurteilten sind hochrangige Militärs, Piloten und Zivilisten
Das Gericht sprach unter anderem wegen "Umsturzversuchs", "Attentats auf den Präsidenten" und "vorsätzlicher Tötung" Strafen von bis zu 79-facher lebenslänglicher Haft unter erschwerten Bedingungen aus. Unter den Verurteilten seien hochrangige Militärs, Piloten und Zivilisten.
Chronologie: Putschversuch in der Türkei
15. Juli 2016: Teile des Militärs beginnen einen Putsch, der niedergeschlagen wird. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich.
20. Juli: Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus, der am Tag darauf in Kraft tritt und bis heute andauert. Damit kann der Präsident weitgehend per Dekret regieren. Mehr als 150 000 Staatsbedienstete wurden seitdem suspendiert oder entlassen, mehr als 50.000 Menschen wurden in Untersuchungshaft genommen.
4. November: Ein Gericht verhängt Untersuchungshaft gegen Selahattin Demirtas, den Chef der zweitgrößten Oppositionspartei HDP. Seitdem sitzt er im Gefängnis. Erdogan betrachtet die HDP als verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die als Terrororganisation eingestuft ist.
Am Abend des 15. Juli 2016 hatten Teile des Militärs gegen die Regierung Erdogan geputscht. In Istanbul und der Hauptstadt Ankara gab es Gefechte zwischen Putschisten und staatstreuen Sicherheitskräften. Die Putschisten setzten Panzer und Kampfjets ein und feuerten unter anderem auf Zivilisten, die sich ihnen entgegenstellten und damit einem Aufruf Erdogans folgten. Auch das Parlamentsgebäude in Ankara wurde beschossen. Der Luftwaffenstützpunkt Akinci in der Nähe der Hauptstadt war dabei eine wichtige Basis der Umstürzler in der Putschnacht. Mehr als 250 Menschen wurden getötet, 2000 verletzt. Der Aufstand wurde schließlich niedergeschlagen.
Die Türkei macht Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich
Höchststrafen erhielten zum Beispiel Piloten, die in der Nacht etwa das Parlament und das Polizeihauptquartier bombardiert haben sollen. Auch vier Männer, die dem Gericht nach ein Attentat auf den Präsidenten geplant hatten, wurden zu 79-facher lebenslanger Haft verurteilt. Der Prozess hatte am 1. August 2017 begonnen.
Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Gülen weist das zurück. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu sagte der Nachrichtenagentur zufolge am Donnerstag, dass bis zum heutigen Tag 292.000 Menschen in Einsätzen gegen die Gülen-Bewegung festgenommen wurden, 96.000 seien verhaftet worden. Die Suche nach Beteiligten geht seit 2016 ohne Unterlass weiter. (dpa)
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