Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Türkei: Pressestimmen zur Absage in Gaggenau: "Bürgermeister Mutig!"

Türkei

Pressestimmen zur Absage in Gaggenau: "Bürgermeister Mutig!"

    • |
    Michael Pfeiffer, Bürgermeister von Gaggenau, sagte den Auftritt des türkischen Justizministers Bozdag aus organisatorischen Gründen ab.
    Michael Pfeiffer, Bürgermeister von Gaggenau, sagte den Auftritt des türkischen Justizministers Bozdag aus organisatorischen Gründen ab. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Die Stadt Gaggenau sagt den Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag ab. Köln lehnt eine Anfrage für einen Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci ab. Die türkische Regierung spricht von einer "Skandal-Entscheidung" und bestellt den deutschen Botschafter in Ankara ein. In deutschen Medien wird die Entscheidung, die beiden türkischen Regierungsvertreter nicht zu Wahlkampfzwecken in Deutschland auftreten zu lassen, dennoch überwiegend positiv beurteilt. Die Pressestimmen im Überblick:

    Badische Zeitung: "(D)ie Botschaft, dass türkische Politiker hierzulande nicht auskosten dürfen, was sie im eigenen Land mit Füßen treten, nämlich die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wäre einzig Sache der Bundesregierung gewesen. Dass man dort davor zurückschreckte, dürfte Kanzlerin und Außenminister nun erneut den Vorwurf feiger Liebedienerei eintragen."

    Südkurier: "Man ist geneigt, vor der Stadt Gaggenau den Hut zu ziehen. Tagelang lässt sich die Bundesregierung vom türkischen Staatschef und dessen Ministern, Helfern und Handlangern auf der Nase herumtanzen. Präsident Erdogan ist finster entschlossen, sein Land in eine Diktatur zu verwandeln, und führt einen Propagandafeldzug, dessen Ausläufer bis nach Deutschland reichen. Der deutsche Rechtsstaat weiß dem nichts entgegenzusetzen - bis eine Kleinstadt im Südwesten Nein sagt und die angemietete Halle abriegelt. Erdogans Minister muss draußen bleiben. Dennoch bleibt es bestürzend, dass die Stadt Gaggenau fehlende Parkplätze vorschieben muss, um den unerwünschten Gast fernzuhalten. Derartige Verlegenheitslösungen können nicht der Weisheit letzter Schluss sein: Der Gesetzgeber muss für solche Fälle eine bessere rechtliche Handhabe schaffen. Vor allem aber braucht die Führung in Ankara ein klares Signal, dass sie es nicht zu weit treiben darf. Es sollte aus Berlin kommen, nicht aus Gaggenau."

    Pressestimmen: Gaggenau macht Weltpolitik

    Süddeutsche Zeitung: "Wie Gaggenau Weltpolitik macht: Eine Stadt im Badischen hat den Mumm, sich mit Erdoğan anzulegen. An der Entscheidung ist nichts zu beanstanden. Auch wenn der türkische Präsident jetzt versucht, sie für sich zu nutzen."

    Badische Neueste Nachrichten: "Immerhin, die Stadt Gaggenau untersagte gestern kurzfristig den umstrittenen Auftritt von Justizminister Bekir Bozdag aus Sicherheitsgründen. Eine Niederlage für die gut geölte AKP-Wahlkampfmaschinerie. Die Bundesregierung hält sich demonstrativ zurück und verschanzt sich hinter dem formal richtigen Hinweis, dass noch gar nicht feststehe, ob, wann und wo Erdogan auftreten wird. Das Schweigen Berlin hat allerdings auch einen triftigen Grund. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist praktisch in der Hand des Autokraten vom Bosporus, der gleich zwei Faustpfänder besitzt, mit denen er die Bundesregierung de facto erpresst - die rund 2,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und den Korrespondenten der Welt, Deniz Yücel, dem in der Türkei eine langjährige Haftstrafe droht."

    Bild.de: "Bürgermeister Mutig! So kostbar das freie Wort, die freie Rede ist, so richtig und mutig ist diese Absage. Es wäre der Gaga-Auftritt von Gaggenau geworden, wenn der Herr Minister ungestört für ein autokratisches Präsidialsystem hätte werben dürfen – während missliebige Journalisten in der Heimat weggesperrt werden. Wer im eigenen Land die Demokratie abschafft, sollte sie im Ausland nicht für sich beanspruchen."

    Stuttgarter Nachrichten: "Gaggenau hat die Reißleine gezogen. Die Verantwortlichen der Stadt haben den geplanten Auftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdag in der Festhalle untersagt. Die Begründung ist fadenscheinig: die Halle, die Parkplätze und die Zufahrten reichten für den erwarteten Besucherandrang nicht aus. Die Entscheidung allerdings ist richtig: Es kann nicht sein, dass ein türkischer Politiker in Deutschland für ein Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in seiner Heimat wirbt – eines Systems, das in diesem Fall den wesentlichen Regeln der Demokratie widerspricht."

    Türkei - Land zwischen Europa und Asien

    Türkei ist offiziell die Republik Türkei.

    Der Staat liegt in Europa und Asien.

    Die Hauptstadt ist Ankara, die größte Stadt Istanbul (rund 5,5 Millionen Einwohner).

    Das Staatsoberhaupt ist seit August 2014 Präsident Recep Tayyip Erdogan.

    Im April 2017 stimmten die Türken mit einer knappen Mehrheit in einem Referendum für das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem.

    Die Währung ist die Türkische Lira.

    Die Türkei grenzt an Griechenland, Georgien, Bulgarien, Armenien, Aserbaidschan, den Iran, Irak und Syrien.

    Auf 814.578 Quadratkilometern (mehr als doppelt so groß wie Deutschland) leben mehr als 81 Millionen Türken; knapp 40 Prozent unter 25 Jahre alt (in Deutschland etwa 24 Prozent).

    Die Lebenserwartung der Jungen beträgt 75,3 Jahre (Deutschland 78,3), die der Mädchen 80,7 Jahre (Deutschland 83,2).

    Fast 100 Prozent der Türken sind Muslime, mehrheitlich Sunniten.

    Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 19 Prozent (Deutschland 6,0 Prozent).

    Der Wahlspruch der Türkei lautet „Yurtta Sulh, Cihanda Sulh.“ Auf Deutsch: „Frieden in der Heimat, Frieden in der Welt.“

    Das Kfz-Kennzeichen lautet TR, die Internet-TLD .tr und die internationale Telefonvorwahl ist die +90.

    Der Nationalfeiertag ist der 29. Oktober: Feiertag der Republik. (AZ, dpa)

    Flensburger Tageblatt: "Oppositionspolitiker machen es sich zu leicht, wenn sie ein generelles Verbot des türkischen Wahlkampfs auf deutschem Boden fordern. Je mehr die Türkei Menschenrechte schleift, desto stärker müssen unsere Verantwortlichen Grundprinzipien der Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit skrupulöser Rechtsstaatlichkeit wahren. Hinter verschlossenen Türen kommen Berlins Regierungspolitiker allerdings nicht umhin, mit einem Nato-Partner Tacheles zu reden, der seine neuen Verbündeten in Peking und Moskau sieht. Dabei ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei von der EU noch immer größer als umgekehrt."

    Badisches Tagblatt: "Mit der Entscheidung, den Wahlkampfauftritt des türkischen Justizministers durch einen verwaltungstechnischen Kniff zu unterbinden, hat die Stadt Gaggenau zumindest in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft viel Beifall geerntet. Dass gerade der Justizmister für die Verfassungsreform in seinem Heimatland im Badischen trommeln sollte, dafür hatten vor dem Hintergrund der Verhaftung des deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei nicht mehr viele Bürger in diesem Land Verständnis. Wer lässt sich schon gern auf der Nase herumtanzen? Dass die türkische Regierung andererseits die Absage nutzt, war zu erwarten. Denn mehr propagandistische Wirkung als eine solche Absage hätte ein Auftritt vor ein paar hundert Menschen im Badischen auf keinen Fall zeitigen können."

    Passauer Neue Presse: "Dass der türkische Minister Bozdag in Deutschland nicht für Erdogans Diktatur werben kann, ist eine gute Nachricht. Tagelang hatte man auf ein solches Zeichen der Zivilcourage gewartet - nun ist es da. Auch wenn der Bürgermeister von Gaggenau mit den Gefahren eines überfüllten Saales und nicht mit politischen Gründen argumentiert - das Ende vom Lied ist der berechtigte Ausfall einer Veranstaltung, die es nie und nimmer hätte geben dürfen. Denn das Einpeitschen von Wählerstimmen für ein diktatorisches System verfolgt nach deutscher Rechtsauffassung eindeutig verfassungsfeindliche Ziele."

    Rheinpfalz: "Die Absage wird vom Regime Erdogan flugs umgedeutet. Sie wird als propagandistischer Schlagstock gegen das angeblich undemokratische Europa geschwungen. Hätte Bozdag seine Rede vor 400, 500 Leuten halten dürfen, sie hätte nie und nimmer die Wirkung erzielt wie die jetzt nicht gehaltene. Mutmaßlich Hunderttausende verfolgen den Fall Gaggenau. Die Bundesregierung sitzt ohnehin längst in der Ankara-Falle. Denn in der Flüchtlingspolitik hat sich Berlin in eine ungute Abhängigkeit vom Erdogan-Regime begeben. Vor diesem Hintergrund ist es einigermaßen absurd, wenn aus den Regierungsfraktionen laut gerufen wird, Erdogans Getreuen werbende Redeauftritte hier zu verbieten - und zugleich das mit Milliarden Euro versüßte EU-Türkei-Abkommen zu begrüßen, mit dem der eben noch gescholtene angehende Diktator

    Lesen Sie dazu auch unseren Leitartikel: Deutschland darf vor Erdogan nicht kuschen

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden