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Türkei: Nach Vereidigung: Erdogan setzt gleich drei neue Dekrete durch

Türkei

Nach Vereidigung: Erdogan setzt gleich drei neue Dekrete durch

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    Recep Tayyip Erdogan zögert nicht lange nach seiner Vereidigung zum Staats- und Regierungschef: Am Tag darauf erlässt er drei neue Dekrete.
    Recep Tayyip Erdogan zögert nicht lange nach seiner Vereidigung zum Staats- und Regierungschef: Am Tag darauf erlässt er drei neue Dekrete. Foto: Burhan Ozbilici/AP, dpa

    Am Montag wurde Recep Tayyip Erdogan zum fast allmächtigen Staatspräsidenten der Türkei vereidigt. Nur Stunden danach hat

    So hat sich Erdogan nun selbst für die Zusammensetzung der Streitkräfte zuständig gemacht: Er wird künftig allein vor allem über die Beförderung der hohen Offiziere entscheiden. Früher war dafür zunächst eine Kommission zuständig, der der Ministerpräsident vorstand. Dessen Position ist aber im neuen System abgeschafft. Das Präsidialsystem ermöglicht es Erdogan, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen. Die Zustimmung des Parlaments braucht er nun nicht mehr. Die Opposition befürchtet eine Ein-Mann-Herrschaft.

    Erdogan hat höheren Einfluss auf türkische Zentralbank

    Eine wichtige Änderung enthielt auch das Dekret mit der Nummer drei, das Erdogan künftig ermächtigt, den Präsidenten und den Vizepräsidenten der Zentralbank allein zu ernennen. Außerdem wird durch das Dekret die Amtszeit der beiden Spitzennotenbanker des Landes von fünf auf vier Jahre verkürzt.

    Der Staatspräsident hatte bereits vor den Wahlen angekündigt, stärkeren Einfluss auf die Geldpolitik nehmen zu wollen. Die Lira hat in diesem Jahr deutlich an Wert verloren. Die Zentralbank hatte dennoch erst nach langem Zögern die Leitzinsen erhöht, denn Erdogan gilt als Gegner hoher Zinsen. Anders als Ökonomen sieht er in hohen Zinsen kein Mittel gegen, sondern einen Grund für eine hohe Geldentwertung. Die Inflation lag im Juni bei mehr als 15 Prozent. Erdogans Ankündigung von mehr Kontrolle hatten Investoren stark verunsichert.

    Erdogan ernennt Schwiegersohn zum Finanzchef

    Dass der Präsident Montagnacht ausgerechnet seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum Chef des wichtigen und vergrößerten Finanzministeriums erklärte, löste weitere Sorgen aus. Albayrak war früher Energieminister und ist in Finanzkreisen ein unbeschriebenes Blatt. Seine Nähe zu Erdogan könnte bedeuten, dass er macht, was der Präsident für richtig hält. Die Lira verlor nach der Verkündung erst einmal mehrere Prozent an Wert. (dpa/AZ)

    Das Präsidialsystem in der Türkei

    Im April vergangenen Jahres stimmten die Türken mit einer knappen Mehrheit in einem Referendum für das von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebte Präsidialsystem. Die Umsetzung des Systems begann schrittweise nach der Abstimmung. Mit den gleichzeitig abgehaltenen Parlaments- und Präsidentenwahlen an diesem Sonntag wird der Übergang in das neue System abgeschlossen. 

    Kritiker befürchten, dass das neue System eine Ein-Mann-Herrschaft ermöglicht. Die Verfassungsexperten der "Venedig-Kommission" des Europarates warnten mit Blick auf die Reform vor einem "gefährlichen Rückschritt in der verfassungsmäßigen demokratischen Tradition der Türkei".

    Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

    Bereits umgesetzt:

    Der Präsident darf einer Partei angehören: Erdogan trat im Mai 2017 erneut der von ihm mitbegründeten islamisch-konservativen Regierungspartei AKP bei. Im selben Monat ließ er sich wieder zum Parteivorsitzenden wählen.

    Bereits umgesetzt:

    Der Präsident hat mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) kann er vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament sieben weitere. Feste Mitglieder bleiben der Justizminister und sein Staatssekretär, die der Präsident ebenfalls auswählt. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Der Rat wurde bereits im Mai 2017 neu besetzt. Im alten System hatten die Juristen selbst die Mehrheit des zuvor 22-köpfigen Gremiums bestimmt.

    Bereits umgesetzt:

    Die Militärgerichte wurden abgeschafft.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Parlament und Präsident werden am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt. Beide Wahlen waren eigentlich für November 2019 geplant, Erdogan hat sie aber vorziehen lassen. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei des jeweiligen Präsidenten über eine Mehrheit im Parlament verfügt.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Er wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einem Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung einer von ihm selbst bestimmten Anzahl Vizepräsidenten und Minister sowie aller hochrangigen Staatsbeamten zuständig. Das Parlament hat kein Mitspracherecht. Mitglieder des Kabinetts dürfen nicht Abgeordnete sein. Wer für die Präsidentschaft kandidiert, darf sich nicht zugleich um ein Abgeordnetenmandat bewerben.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig. Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum jeweiligen Bereich ein Gesetz verabschiedet. Präsidiale Dekrete dürfen Verfassungsrechte nicht einschränken und schon gesetzlich bestimmte Regelungen nicht betreffen. Gesetze darf – bis auf den Haushaltsentwurf – nur noch das Parlament einbringen.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Die Anzahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch schriftlich an die Vizepräsidenten und Minister.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftelmehrheit notwendig. In beiden Fällen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt neu gewählt – unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl veranlasst hat.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten eine Neuwahl beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Die Zählung der Amtszeiten würde unter dem neuen Präsidialsystem neu beginnen. Erdogan wäre also nach einem Wahlsieg im Juni in seiner ersten Amtsperiode. Mit der Hintertür (und bei entsprechenden Wahlerfolgen) könnte er theoretisch bis 2033 an der Macht bleiben.

    Umsetzung mit den Wahlen:

    Gegen den Präsidenten kann nicht nur wie bislang wegen Hochverrats, sondern wegen aller Straftaten ermittelt werden. Allerdings ist eine Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten im Parlament notwendig, um eine entsprechende Untersuchung an die Justiz zu überweisen.

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