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Türkei: Nach Twitter-Streit: Volksabstimmung über Erdogan

Türkei

Nach Twitter-Streit: Volksabstimmung über Erdogan

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    Recep Tayyip Erdogan sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Noch ist unklar, wie er nach den Wahlen am Sonntag da stehen wird.
    Recep Tayyip Erdogan sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Noch ist unklar, wie er nach den Wahlen am Sonntag da stehen wird. Foto: Sedat Suna (dpa)

    Mehr als bei anderen Kommunalwahlen in der Türkei steht bei dem Urnengang am 30. März die nationale Politik im Vordergrund. Es geht um eine Vertrauensabstimmung über Recep Tayyip Erdogan, der das Land seit elf Jahren regiert und sich zuletzt viele Feinde gemacht hat. Zuletzt sorgte er für Aufruhr, als er den Kurznachrichtendienst Twitter in der

    Der Wahlausgang ist unsicher, es wird spannend. Bei der letzten Kommunalwahl 2009 hatte Erdogans islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung  (AKP) mit 38,8 Prozent im Landesdurchschnitt alle anderen Parteien hinter sich gelassen. Wichtige Städte wie Istanbul und Ankara blieben in der Hand der AKP, die säkularistische Republikanische Volkspartei (CHP) landete mit 23,1 Prozent weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz.

    Umfragen erwarten Absturz von Erdogan-Partei

    Bis zum Twitter-Verbot: Wie die Probleme für Erdogan anwuchsen

    Seit fast einem Jahr befindet sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan unter zunehmenden Druck. Hier die wichtigsten Ereignisse dieser Zeit im Überblick, von den Gezi-Protesten bis zum Twitter-Verbot:

    31. Mai 2013: Das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, die im Istanbuler Gezi-Park gegen ein Bauprojekt der Regierung protestieren, löst landesweite Straßenschlachten in der Türkei aus. Acht Menschen sterben, tausende werden verletzt.

    15. Juni 2013: Erdogan lässt den Gezi-Park gewaltsam räumen.

    13. November 2013: Erdogan beginnt seinen Kampf gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen mit der Ankündigung, private Nachhilfeschulen zu schließen; diese sind eine wichtige Einnahmequelle für die Bewegung.

    17. Dezember 2013: Istanbuler Staatsanwälte lassen mehrere Dutzend Verdächtige aus dem Umfeld der Erdogan-Regierung unter Korruptionsverdacht festnehmen. Erdogan spricht von einem Komplott der Gülen-Bewegung und reagiert mit der Versetzung vieler leitender Polizeibeamter, darunter auch des Polizeichefs von Istanbul.

    25. Dezember 2013: Erdogan bildet sein Kabinett um, nachdem drei in den Korruptionsskandal verwickelte Minister ihren Rücktritt eingereicht haben. Ein vierter Minister, der ebenfalls im Zusammenhang mit der Affäre genannt wird, verliert im Zuge des Revirements seinen Posten.

    24. Februar 2014: Im Internet tauchen die Mitschnitte von Telefonaten Erdogans mit seinem Sohn Bilal auf, in denen die beiden angeblich besprechen, wie sie größere Geldsummen vor der Justiz verstecken können. Erdogan bezeichnet die Mitschnitte als Manipulation.

    21. März 2014: Erdogans Regierung lässt den Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter sperren, über den viele der Korruptions-Enthüllungen publik geworden sind.

    26. März 2014: Ein Verwaltungsgericht in Ankara ordnet die Aufhebung der Twitter-Sperre auf. Erdogans Regierung sagt eine Umsetzung des Urteils zu. Der Zugang zu dem Kurznachrichtendienst bleibt trotzdem vorerst gesperrt.

    Auch diesmal wird sich die AKP wohl als stärkste Partei behaupten. Umfragen sehen sie zwischen 35 und 45 Prozent. Die knapp 50 Prozent der letzten Parlamentswahl von 2011 wird die Erdogan-Partei unter den besonderen Bedingungen der Kommunalwahlen, bei denen Einzelkandidaten oft wichtiger sind als Partei-Loyalitäten, nicht erreichen.

    Der Ministerpräsident selbst hat die Losung ausgegeben, alles über 38,8 Prozent sei diesmal ein Erfolg. Manche Umfragen erwarten einen Absturz der AKP auf weit unterhalb dieser Marke.

    Wahl entscheidet: Kandidiert Erdogan bei Präsidentschaftswahl?

    Die Proteste gegen die Erdogan-Regierung halten unvermindert an.
    Die Proteste gegen die Erdogan-Regierung halten unvermindert an. Foto: Sedat Suna (dpa)

    Die Wahl ist als Stimmungsbarometer nicht nur deshalb wichtig, weil  sie der erste Test seit den Gezi-Demonstrationen des vergangenen Sommers und den Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung vom Dezember ist.

    Das Wahlergebnis wird auch mitentscheidend für die Frage sein, ob sich der 60-jährige Erdogan im August um das Präsidentenamt bewirbt. Schneidet die AKP schlecht ab, dürfte Erdogan auf eine Kandidatur verzichten. Zudem wäre der seit einem Jahrzehnt unbesiegte Ministerpräsident politisch schwer angeschlagen.

    Entsprechend hitzig verlief der Wahlkampf. Seit Istanbuler Staatsanwälte Mitte Dezember mehrere Verdächtige aus dem Umfeld der Regierung unter Korruptionsverdacht festnehmen ließen, hagelt es Enthüllungen über angebliche Verfehlungen von Erdogan und seinen Getreuen. Von Bestechung, Vorteilsnahme sowie Druck auf Gerichte und Medien ist die Rede.

    Erdogan nach Twitter-Streit: Reaktion im Ausland ist uninteressant

    Dem in den USA lebenden Erdogan-Widersacher Gülen wird großer Einfluss auf Polizei und Justiz in der Türkei nachgesagt.
    Dem in den USA lebenden Erdogan-Widersacher Gülen wird großer Einfluss auf Polizei und Justiz in der Türkei nachgesagt. Foto: Selahattin Sevi (dpa)

    CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu sagte voraus, dass Erdogan alles tun werde, um sich nicht für diese Dinge verantworten zu müssen: "Er wird ins Ausland fliehen", sagte Kilicdaroglu über den Ministerpräsidenten, den er nur noch den "Ober-Dieb" nennt.

    Erdogan reagierte auf die Korruptionsvorwürfe, indem er seinem früheren Verbündeten, dem islamischen Prediger Fethullah Gülen, der sich mit dem Ministerpräsidenten überworfen hat, eine Verschwörung vorwarf. Die Regierung ließ tausende Polizisten, Richter und Staatsanwälte austauschen, weil sie Gülen-Anhänger seien. Zudem wurde der Zugang zum Kurznachrichtendienst Twitter gesperrt, über den viele Korruptionsvorwürfe publik wurden.

    EU und USA zeigten sich besorgt, doch Erdogan ließ sich nicht beirren. Nach dem Twitter-Verbot der vergangenen Woche erklärte er, die Reaktion der internationalen Gemeinschaft interessiere ihn nicht. Allerdings musste er hinnehmen, dass das Verwaltungsgericht von Ankara am Mittwoch die Aufhebung des umstrittenen Verbots anordnete.

    Spricht Türkei Erdogan nach Twitter-Sperre "frei"?

    Bei Großveranstaltungen seiner Partei in allen Landesteilen bekräftigte Erdogan im Wahlkampf immer wieder seine These von einer groß angelegten Verschwörung gegen seine Regierung. Gülens Bewegung sei gefährlich: "Das ist keine Gemeinde, sondern eine Terrororganisation."

    Nicht nur die Opposition ist skeptisch. Staatspräsident Abdullah Gül, ein alter Weggefährte Erdogans, betonte öffentlich, er glaube nicht an die Komplott-Theorie, die eines "Drittwelt-Landes würdig" sei. Gül setzte sich zudem demonstrativ über Erdogans Twitter-Verbot hinweg, was den Ministerpräsidenten offenbar verärgerte.

    Die große Frage ist nun, wie die Wähler Erdogan bewerten. Der Ministerpräsident wird einen Wahlerfolg seiner Partei am Sonntag gewissermaßen als Freispruch von den Korruptionsvorwürfen betrachten. "Dies ist ein Unabhängigkeitskrieg", sagte er über die Wahl. afp/az

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