Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Türkei: Moscheen und Glühwein: Wie Erdogan die Türkei islamisiert

Türkei

Moscheen und Glühwein: Wie Erdogan die Türkei islamisiert

    • |
    Recep Tayyip Erdogan duldet keinen Widerspruch – erst recht nicht, wenn es um den Islam geht.
    Recep Tayyip Erdogan duldet keinen Widerspruch – erst recht nicht, wenn es um den Islam geht. Foto: Alessandro Di Meo/Archiv (dpa)

    Glühwein kann hochpolitisch sein. Im deutsch-türkischen Weihnachtsstreit verwies ein hochrangiger Politiker der Erdogan-Partei AKP gestern auf den deutschen Brauch, „Weihnachtswein zu kochen“, wie er es ausdrückte. Es habe Lehrer an dem im Zentrum des Streits stehenden Lisesi-Gymnasium in Istanbul gegeben, die Glühwein an muslimische Schüler ausgegeben hätten, beschwerte sich Mustafa Sentop und fügte hinzu: Christliche „Missionarstätigkeit“ werde an einer staatlichen türkischen Schule nicht geduldet.

    Wenn es um die Religion geht, reagiert die türkische Führung immer öfter auffallend dünnhäutig. Und häufig folgt einer Kritik am Präsidenten oder der fortschreitenden Islamisierung des Landes sofort der rhetorische Gegenschlag. Sentop zum Beispiel stellt auf Twitter die Frage, was wohl in der Bundesrepublik los wäre, wenn ein türkischer Lehrer an einer staatlichen deutschen Schule vor deutschen Kindern für den Islam werben würde. Den Deutschen wirft er vor, bei türkischen Kindern in der Bundesrepublik keinen Islam-Unterricht zuzulassen, in der Türkei aber gleichzeitig zu missionieren. In Wahrheit geht da so einiges durcheinander. Denn türkische Kinder erhalten in Deutschland durchaus Islam-Unterricht – und zwar in Zusammenarbeit mit dem Verband Ditib, der Vertretung des staatlichen türkischen Religionsamtes.

    Seit 2002 wurden 17 000 neue Moscheen gebaut

    Sentops Reaktion ist symptomatisch, vor allem wegen der darin aufblitzenden Wut über die vermeintlich arroganten Deutschen. Denn die Erdogan-Regierung ärgert sich schon lange über europäische Politiker, die ihr Land angeblich von oben herab behandeln. Dabei werfen selbst Kritiker im eigenen Land der Regierung eine fortschreitende Islamisierung der Türkei vor.

    Auf einem Hügel in Istanbul lässt Erdogan eine riesige Moschee bauen, die einmal über der Stadt thronen soll. Das Bauwerk steht für einen landesweiten Trend: Wie verschiedene Medien berichten, sind seit der Regierungsübernahme der AKP im Jahr 2002 rund 17 000 neue Moscheen gebaut worden. Außerdem wurden mehrere historische Kirchen aus der Zeit der Byzantiner in muslimische Gotteshäuser umgewandelt. Auch in der Bildungspolitik setzt sich dieser Trend fort: Religiöse Imam-Hatip-Schulen werden gefördert. Regierungskritische Verbände berichten, Schulen würden mit Gebetsräumen ausgestattet, Schüler gerieten unter Druck, an muslimischen Gebeten teilzunehmen. Mädchen würden aufgefordert, Kopftuch zu tragen.

    Schüler sollen an Gebeten teilnehmen, Mädchen werden aufgefordert, Kopftuch zu tragen

    Parlamentspräsident Ismail Kahraman fordert ganz unverhohlen eine „religiöse Verfassung“ für die Türkei. Der Verkauf von Alkohol wurde eingeschränkt, es gab Ärger wegen Bikini-Werbeplakaten. Vielerorts wird im Fastenmonat Ramadan generell kein Alkohol mehr ausgeschenkt. Und wer in der Politik etwas werden will, tut gut daran, seine Frömmigkeit als Muslim öffentlichkeitswirksam zur Schau zu stellen.

    Doch das nur die halbe Wahrheit: In Istanbuler Kneipen und Restaurants wird weiter munter gebechert und die türkische Wein- und Spirituosenindustrie hat unter Erdogan einen Aufschwung erlebt. Zudem haben es Nicht-Muslime im Land unter der AKP-Regierung eher besser als unter den säkulären Kabinetten vergangener Jahrzehnte. Und: Die Erdogan-Partei hat mehr zur Stärkung der Rechte der christlichen und jüdischen Minderheiten getan als alle Regierungen vor ihr.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden