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Türkei : Mesale Tolu in Istanbul vor Gericht - nun könnte es ein Urteil geben

Türkei 

Mesale Tolu in Istanbul vor Gericht - nun könnte es ein Urteil geben

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    Der Prozess gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu, die in Neu-Ulm lebt, wird fortgesetzt. Schon am Dienstag könnte ein Urteil gefällt werden.
    Der Prozess gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu, die in Neu-Ulm lebt, wird fortgesetzt. Schon am Dienstag könnte ein Urteil gefällt werden. Foto: Alexander Kaya

    In der Türkei sitzen nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt 67 Deutsche in Haft, dazu kommen 69 Bundesbürger, die mit einer Ausreisesperre belegt sind und das Land nicht verlassen dürfen. Einige davon müssen sich wegen krimineller Delikte wie Drogenschmuggel verantworten, bei anderen geht es um politische Vorwürfe, für die Haftstrafen von mehr als 40 Jahren gefordert werden. Manchmal genügte eine kritische Äußerung in den sozialen Medien für eine Festnahme. Ein Ende der Verfolgungen und der Belastungen für die deutsch-türkischen Beziehungen ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Die türkische Regierung will künftig eigens Richter und Staatsanwälte an den Flughäfen postieren, um schnell über verdächtige Reisende entscheiden zu können.

    • Mesale Tolu An diesem Dienstag könnte im Prozess gegen die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu in Istanbul ein Urteil fallen. Das hatte der Richter beim letzten Verhandlungstag im Oktober angekündigt. Tolus Anwälte rechnen jedoch mit einer erneuten Vertagung des Prozesses, der vor mehr als zwei Jahren begonnen hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft Tolu, ihrem Ehemann Suat Corlu und ihren Mitangeklagten die Unterstützung einer linksextremen Organisation vor und fordert bis zu 20 Jahre Haft für die Beschuldigten. Tolu, die in Neu-Ulm lebt, saß nach ihrer Festnahme im Frühjahr 2017 ein halbes Jahr in Haft, zeitweise mit ihrem kleinen Sohn Serkan. Anschließend erhielt sie eine Ausreisesperre, die erst im August 2018 aufgehoben wurde. Die Familie ist inzwischen wieder in Deutschland.

    Was die türkische Justiz Mesale Tolu vorwirft

    Festnahme: Am 30. April 2017 nehmen Polizisten Tolu in ihrer Wohnung in Istanbul fest, Anfang Mai kommt sie in Untersuchungshaft – ohne die juristische Begründung dafür zu kennen. Ihr Ehemann ist bereits am 5. April inhaftiert worden. Sie wird in das Frauengefängnis in Istanbul gebracht. Ihr Mann Suat Corlu sitzt im Hochsicherheitsgefängnis Silivri, 70 Kilometer westlich von Istanbul, ein.

    Anklage: Mitte Juli erhebt die Istanbuler Staatsanwaltschaft Anklage gegen Tolu, die für die kleine linke Nachrichtenagentur Etha gearbeitet hat. Erst Monate später wird öffentlich, dass die deutsche Journalistin wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der verbotenen linksextremen Partei MLKP vor Gericht steht.

    Die Staatsanwaltschaft wirft Mesale Tolu vor, an vier Veranstaltungen teilgenommen zu haben, bei denen Propaganda für die MLKP betrieben worden sei. Darüber hinaus soll sie an Gedenkkundgebungen für Kämpfer aus den Reihen einer syrischen Unterorganisation der kurdischen Terrorgruppe PKK teilgenommen haben.

    Prozess: Am 11. Oktober 2017 beginnt der Prozess gegen Mesale Tolu, elf Männer und zwei weitere Frauen. Für die 33-Jährige fordert die Anklage 15 Jahre Haft. Tolu weist die Vorwürfe deutlich zurück. Die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan habe es auf die Pressefreiheit abgesehen, sagt sie und fordert ihre Freilassung und ihren Freispruch. Am 18. Dezember 2017 wurde der Prozess fortgesetzt und Tolu wurde unter Auflagen freigelassen. Auch vier Monate nach ihrer Entlassung beschloss das Gericht am Donnerstag, 26. April 2018, die Ausreisesperre aufrechtzuerhalten. Der Prozess gegen Tolu, ihren Ehemann Suat Corlu und 25 weitere Angeklagte wegen Terrorvorwürfen wird erst am 16. Oktober fortgesetzt.

    Pressefreiheit: Zum türkischen „Tag der arbeitenden Journalisten“ im Januar feierte Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Land als Vorreiter der Pressefreiheit. „In Sachen Pressefreiheit, neueste Kommunikationstechnologien, soziale Medien und Internetjournalismus ist die Türkei heute eines der führenden Länder der Welt.“

    Eine weltoffene Gesellschaft sei nur mit „freien, transparenten und gerechten Medienorganisationen“ möglich. Worte, die wie Hohn klingen mit Blick auf die Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“. In der belegt die Türkei Platz 155 von 180 erfassten Ländern. Unter anderem, weil nach unterschiedlichen Angaben von Nichtregierungsorganisationen zwischen 39 und 151 Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen – dazu gehörte bis zu seiner Freilassung im Februar 2018 auch der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel.

    • Deniz YücelAuch der ehemalige Türkei-Korrespondent der Welt, Deniz Yücel, ist nicht mehr in Istanbul gewesen, seitdem er nach einem Jahr im türkischen Gefängnis im Januar 2018 nach Deutschland heimkehren konnte. Der Prozess gegen den deutsch-türkischen Journalisten, dem Volksverhetzung und Propaganda für die kurdische Terrorgruppe PKK vorgeworfen wird, läuft ohne ihn weiter – obwohl das türkische Verfassungsgericht die Verhaftung des Reporters als verfassungswidrig gerügt hatte. Die Anklage fordert 16 Jahre Haft für Yücel; das Verfahren soll am 2.April fortgesetzt werden. Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter Ohne Grenzen, wertet die Verfahren gegen die Journalisten Tolu und Yücel als bloße Schauveranstaltungen. „Auch rund zwei Jahre nach ihrer Freilassung bleiben Deniz Yücel und Mesale Tolu in den Augen der türkischen Justiz Kriminelle, obwohl sie nur ihre Arbeit gemacht haben“, erklärte Mihr vor kurzem. „Wie lange soll diese Farce noch andauern?“
    • Peter Steudtner Dieselbe Frage stellt sich im Fall des Berliner Menschenrechtlers Peter Steudtner. Er war im Sommer 2017 wegen der Teilnahme an einem Workshop auf der Insel Büyükada bei Istanbul in Haft genommen worden, der von der Staatsanwaltschaft als subversives Treffen in staatsfeindlicher Absicht angesehen wird. Steudtner kam zu Prozessbeginn im Oktober 2017 frei, doch wie bei Tolu und Yücel läuft der Prozess gegen ihn weiter. Unter den Angeklagten sind auch der Ehrenvorsitzende von Amnesty International in der Türkei, Taner Kilic, und die ehemalige türkische Amnesty-Direktorin Idil Eser. Beim letzten Prozesstag vorige Woche vertagte das Gericht das Verfahren auf den 3. April.
    • Adel DemirciDer deutsch-türkische Kölner Sozialarbeiter Adil Demirci war im Frühjahr 2018 zu einem Familienbesuch in die Türkei gekommen. Die Staatsanwaltschaft ließ ihn festnehmen, weil er – wie Tolu – für die linke Nachrichtenagentur ETHA schrieb und angeblich Mitglied in einer linksextremen Gruppe war. Nach monatelanger Haft mit anschließender Ausreisesperre konnte er im Juni 2019 die Türkei verlassen. Sein Prozess in Istanbul wird am 16. Juni fortgesetzt.
    • Vertrauensanwalt Seit September sitzt zudem Yilmaz S., ein Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara, im Gefängnis. Er sollte für die deutschen Behörden die Angaben von türkischen Asylbewerbern überprüfen. Die Anklage wirft ihm Geheimnisverrat vor. Der Prozess beginnt am 12. März.
    • Weitere Deutsche Bereits seit Sommer 2017 sitzt der ehemalige türkische Geheimagent und Doppelstaatler Enver Altayli in türkischer Haft. Ihm wird vorgeworfen, die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben, die für den Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht wird. Die Anklage fordert bis zu 42 Jahre Haft für Altayli. Der Hesse Patrick Kraicker sitzt eine sechsjährige Haftstrafe wegen versuchter Unterstützung der Kurdenmiliz YPG ab. Die kurdischstämmige deutsche Sängerin Hozan Cane wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil sie der PKK angehören soll.

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