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Türkei: Luftangriffe gegen Kurden: Was hat die Türkei wirklich im Sinn?

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Luftangriffe gegen Kurden: Was hat die Türkei wirklich im Sinn?

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    Ein Staat greift zu harten Mitteln: Die türkische Polizei ging am Wochenende auch mit Demonstranten in Ankara nicht zimperlich um.
    Ein Staat greift zu harten Mitteln: Die türkische Polizei ging am Wochenende auch mit Demonstranten in Ankara nicht zimperlich um. Foto: Adem Altan, afp

    Lange hatte sich die Türkei aus dem Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staates herausgehalten. Zu lange, wenn es nach den westlichen Partnern geht. Dann nehmen türkische Kampfjets die Stellungen der Islamisten geradezu unter Dauerbeschuss. Doch auch diese plötzliche Kehrtwende stößt auf Skepsis. Das liegt vor allem daran, dass die

    Am Sonntag forderte Ankara eine Nato-Sondersitzung. Man wolle aufgrund der Angriffe auf die nationale Sicherheit und der Bedrohungen das weitere Vorgehen mit den Verbündeten beraten, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums des Nato-Staates.

    Verteidigungsministerin  Ursula von der Leyen lobt die Türkei

    Wie dünn das diplomatische Eis ist, musste am Wochenende die Bundesverteidigungsministerin erleben. Am Samstag lobt Ursula von der Leyen die militärische Beteiligung der Türkei am Kampf gegen die Islamisten. Kein Wort zu den Schlägen gegen die Kurden. Erst als es aus den Reihen der Opposition Kritik hagelt, meldet sich die CDU-Politikerin ein zweites Mal zu Wort. Die Türkei dürfe „den eingeschlagenen Pfad der Versöhnung mit der kurdischen Arbeiterpartei nicht verlassen“, sagt sie. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt in einem Telefonat mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu, „den Friedensprozess mit den Kurden nicht aufzugeben, sondern trotz aller Schwierigkeiten an ihm festzuhalten“.

    Das sind die Kurden

    Die Kurden sind ein Volk von rund 25 bis 30 Millionen Menschen ohne eigenen Staat. Ihr Siedlungsgebiet im Nahen Osten ist mit rund 500.000 Quadratkilometern etwa so groß wie Frankreich und erstreckt sich über mehrere Staaten.

    Die meisten Kurden leben in der Türkei (mindestens 12 Millionen), im Irak (knapp 5 Millionen, im Iran (rund 5,5 Millionen) und in Syrien (bis zu 1,3 Millionen). Weitere Kurden siedeln in Armenien und Aserbaidschan.

    In der Türkei kämpft die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit 1984 mit blutigen Angriffen und Bombenanschlägen für einen eigenen Staat oder zumindest für Autonomie. In dem Konflikt starben bislang bis zu 40.000 Menschen.

    Die EU stuft die PKK als Terrorgruppen ein. Im Zuge der EU-Beitrittsgespräche gab Ankara den Kurden mehr kulturelle Rechte, Zugeständnisse für mehr Autonomie blieben aber aus. Immer wieder kommt es zu Angriffen kurdischer Extremisten auf türkische Sicherheitskräfte.

    Der Nordirak gilt als PKK-Rückzugsgebiet. Mehrfach griff die türkische Armee dort vermutete Kurdenstellungen an. Seit 1991 ist die Region weitgehend autonom. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 wurde offiziell der Zusammenschluss der drei Nordprovinzen zur "Autonomen Region Kurdistan" erklärt.

    Der Präsident und die Regierung der Autonomen Region Kurdistan" haben ihren Sitz in der Stadt Erbil. In den Schulen wird auf kurdisch unterrichtet, die Region hat eine eigene Flagge und eigene Streitkräfte. Die Truppen der Peschmerga sollen etwa 130.000 bis 200.000 Mann zählen.

    Die syrischen Kurden leben überwiegend im Norden des Landes entlang der Grenze zur Türkei. Teile der Kurden schlossen sich dem Widerstand gegen Präsident Baschar al-Assad an, andere halten zu ihm. Seit 2014 kämpfen kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) vorrangig gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

    Die Volksschutzeinheiten sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Beide stehen wiederum der kurdischen PKK nahe.

    Doch daran scheint Ankara momentan wenig Interesse zu haben. Dementsprechend explosiv ist die Lage im Land. Die Polizei geht am Samstag mit Wasserwerfern und Tränengas gegen hunderte Menschen vor, die in Ankara gegen den IS demonstrieren. Und die kurdischen PKK-Rebellen erklären den seit 2013 geltenden Waffenstillstand für bedeutungslos. Zuvor hatten türkische Kampfflugzeuge nicht nur Nordirak angegriffen, sondern auch massenhaft Kurden unter dem Verdacht festgenommen, sie würden terroristische Organisationen unterstützen.

    Die türkische Luftwaffe beschießt auch die PKK

    Seit Freitag beschoss die türkische Luftwaffe in rund 160 Einsätzen etwa 400 Ziele des IS – und der PKK. Ankara reagiert damit auf den mutmaßlich vom IS verübten Anschlag von Suruc mit mindestens 30 Toten sowie auf Racheakte der

    Bleibt die Frage: Warum der Kurswechsel? Und warum ausgerechnet jetzt? Was hat die Türkei wirklich im Sinn? Kritiker von Präsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu vermuten, dass es nicht nur um die Verteidigung des Landes geht. Ihrer Meinung nach kämpft die türkische Führung auch gegen einen innenpolitischen Gegner. Die Regierungspartei AKP spekuliert angeblich auf vorgezogene Neuwahlen, falls die reichlich verfahrene Suche nach einer neuen Koalition erfolglos bleibt. Die Opposition sagt, Erdogan wolle nach der Wahlschlappe für die AKP im Juni eine neue Abstimmung erzwingen.

    Erdogan und Davutoglu sind nicht Beruhigung aus

    Der Chef der Kurdenpartei HDP, die bei der Wahl überraschend viele Stimmen bekommen hatte, wirft der Regierung vor, alle Aktionen der letzten Tage dienten dem Zweck, Neuwahlen zu erzwingen. Instabilität und Krieg, so lautet demnach die Überlegung der AKP, erschrecken die Wähler – und die könnten bei Neuwahlen massenweise zur AKP zurückkehren. Umgekehrt würde neue Gewalt im Kurdengebiet der

    Ob diese Taktik aufgehen würde, ist fraglich – aktuelle Umfragen sagen der AKP schon die nächste Niederlage voraus. Dass Erdogan und Davutoglu nicht auf eine Beruhigung der Lage aus sind, demonstrieren sie mit den ersten Luftangriffen auf PKK-Stellungen seit Jahren. Dass Ankara mit Kampfjets auf die Ermordung der Polizisten und Soldaten reagiert, zeigt, wie sehr die Regierung auf Krawall gebürstet ist. Im Hintergrund schwingt immer die Befürchtung mit, die Kurden könnten im Schatten des Kampfes gegen den IS die Gründung eines eigenen Staates vor der türkischen Haustür vorantreiben. Einige Kurdenpolitiker rufen zur Besonnenheit auf. Gleichzeitig bekennt sich die PKK zu den Morden an Vertretern des türkischen Staates.

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