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Türkei: Kritik von Bundespräsident Gauck: Erdogan bebt vor Wut

Türkei

Kritik von Bundespräsident Gauck: Erdogan bebt vor Wut

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    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat gestern Joachim Gaucks „Zwischenruf“ in schroffen Worten zurückgewiesen.
    Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat gestern Joachim Gaucks „Zwischenruf“ in schroffen Worten zurückgewiesen. Foto: Behrouz Mehri, afp

    Erst das Erdbeben, dann das Donnerwetter. Der letzte Tag des Türkei-Besuchs von Bundespräsident Joachim Gauck fand am Dienstag zwar bei schönem Wetter in Istanbul statt – doch die politische Atmosphäre war höchst aufgeladen. Gaucks „Zwischenruf“ zum Zustand von Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei hatte Folgen, die noch einige Zeit lang nachwirken werden.

    Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, ohnehin als Freund deutlicher Worte bekannt, dürfte bei Besuchen in Deutschland künftig noch mehr als bisher als Verteidiger türkischer Interessen auftreten. Schon am 24. Mai in Köln wird dies bei einem Wahlkampfauftritt zu beobachten sein.

    „Gauck, gacker’ nicht rum“

    Bei einer Pressekonferenz und einer Rede in Ankara hatte Gauck am Montag die Internet-Sperren, den Druck auf die Medien und die Eingriffe in die Gewaltenteilung durch Erdogans Regierung beklagt. „Erdbeben in

    „Gauck, gacker’ nicht rum“, hieß es auf der Titelseite der Erdogan-treuen Zeitung Takvim. Der Premier selbst wies Gaucks Warnungen in einer vom Fernsehen übertragenen Rede vor Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP in schroffen Tönen zurück.

    Bundespräsident Joachim Gauck und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara.
    Bundespräsident Joachim Gauck und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Foto: Jesco Denzel (dpa)

    Der frühere protestantische Kirchenmann Gauck glaube wohl, er sei immer noch Pastor, sagte Erdogan. Überhaupt, die Deutschen: In der Bundesrepublik bringe der rechtsextreme NSU acht Türken um, außerdem gingen türkische Wohnhäuser in Flammen auf, ohne dass jemand dafür zur Verantwortung gezogen würde. „Dann kommt er her und gibt uns kluge Ratschläge“, sagte Erdogan. „Behalt’ doch deine Ratschläge für dich.“ In der Türkei hätten die Bürger alle Freiheitsrechte, solange die Rechte anderer nicht verletzt würden.

    Die Verbalattacke des Premiers richtete sich vor allem ans eigene Publikum. Besonders angesichts seiner erwarteten Präsidentschaftskandidatur will er nicht den Eindruck von Schwäche aufkommen lassen. Gauck habe Dinge erzählt, die nicht stimmten. „Einem Staatsmann nicht angemessen“ sei das.

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    Der Streit zwischen Erdogan und Gauck verstärkt die Spannungen zwischen Berlin und Ankara wegen des türkischen EU-Beitrittswunsches. Die bayerische EU-Ministerin Beate Merk forderte wegen Erdogans „verächtlichen“ Worten über Gauck den Abbruch der Beitrittsverhandlungen.

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