Im Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland und den Niederlagen spitzt sich die Lage weiter zu. Sorgte in der vergangenen Woche noch die abgesagten Wahlkampfauftritt türkischer Politiker in Deutschland und die anschließenden Nazi-Vergleiche für Spannungen, geriet am Wochenende die Niederlande in den Fokus. Nachdem die Regierung in Den Haag dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Einreise verweigert, eskaliert die Lage zunehmend.
Pressestimmen zu Erdogan und der Türkei
Merkel hat auf die "Nazi"-Vorwürfe des Sultans mit Sätzen geantwortet, die es nur schwer in die Geschichtsbücher schaffen werden. Die Vorwürfe des türkischen Präsidenten seien traurig und unangebracht, säuselte sie. Im Vorfeld einer wichtigen Reise am Dienstag nach Washington, wo Merkel zum ersten Mal Donald Trump begegnen wird, ist es legitim, sich zu fragen, wie effizient Merkels abwartende Diplomatie in Zeiten des neuen Despotismus und der Muskelspielchen von noch so verschiedenen Politikern sein kann. La Repubblica (Italien)
Die niederländische Regierung hat Erdoğan und seinen Mitstreitern einen riesigen Gefallen getan. Nun hat die türkische Regierung den Eklat, den sie seit Tagen zu provozieren versucht – auch mit der Androhung von Sanktionen, sollte die Einreise verhindert werden. In Deutschland prallte sie noch an der Gelassenheit der Merkel-Regierung ab, in den Niederlanden hat man sich nun auf die Eskalation eingelassen. Es ist schließlich Wahlkampf. Zeit Online
Während Deutschland Anfang des Jahres gegen Trumps Einreiseverbot aufbegehrte, schweigt man über Einreiseverbote gegen Erdogan-Kritiker. Wann will Deutschland endlich gegen die Stasi-Methoden des türkischen Staates protestieren und ernsthaft dagegen vorgehen? Familien werden getrennt – wie zur Zeit des Kalten Krieges. Und das innerhalb der Nato! Die Welt
Was nicht normal ist, das ist die Hysterie, mit der Recep Tayyip Erdogan den Abstimmungskampf (über die geplante Verfassungsreform in der Türkei) führt. Diese Hysterie bringt Unfrieden in unser Land, ja nach ganz Westeuropa. Mit den Niederlanden und Deutschland hat sich der starke Mann vom Bosporus damit bereits schwere diplomatische Probleme eingehandelt. Kein Wunder, wenn er deren Regierungen als Nazis beschimpft. Besonders absurd sind Erdogans Vorwürfe im Falle von Holland. (...) Dass heute, mehr als 70 Jahre nach Kriegsende, ein Staatspräsident eines EU-Beitrittskandidaten so auftreten kann, ist erschreckend und beschämend. Sonntagszeitung (Schweiz)
Aber sowohl den beiden Hauptdarstellern wie auch dem Extremisten mit der Mozart-Frisur kommt der Streit gelegen. Erdogan kann den starken Mann markieren, der bösgesinnten ausländischen Mächten mit aller Macht die Stirn bietet. Rutte kann den starken Mann markieren, der die Heimat beschützt und sich nicht erpressen lässt. Spiegel Online
Es läuft gerade hervorragend für die, die Demokratien verachten. Die Eskalation zwischen den Niederlanden und der Türkei spielt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in die Hände. Seine infamen Beleidigungen in Richtung Westen kann er jetzt bei seinen Landsleuten problemlos untermauern. Die Niederlande, die sich ebenfalls in der heißen Phase des Wahlkampfes befinden, stabilisieren aus Angst vor dem Rechtsaußen Geert Wilders ohne Not den Autokraten in Ankara. Der muss offensichtlich eine Niederlage bei seiner Volksabstimmung fürchten, denn anders waren und sind seine Ausfälle nicht zu verstehen. Geopolitisch ist dies beängstigend. Zwei NATO-Verbündete lassen einen Streit in einer Art und Weise eskalieren, der die Handlungsfähigkeit des Bündnisses in Mitleidenschaft zieht. In Syrien tobt ein Krieg und der Konflikt in der Ostukraine ist weiterhin ungelöst. Wo der Westen mit einer Stimme sprechen müsste, gibt es einen Chor der Dissonanzen. Schwäbische Zeitung (Ravensburg)
Reaktionen zur diplomatischen Krise
Es geht um einen Nato-Bündnispartner, doch unter Drohungen und Erpressungen können wir natürlich keine Gespräche führen. Mark Rutte, Ministerpräsident Niederlande
Demokratie, Grundrechte, Menschenrechte und Freiheiten ... Alles vergessen in Rotterdam heute Abend. Nur noch Tyrannei und Unterdrückung. Fatma Betül Sayan Kaya, Familienministerin Türkei
Sie haben vergessen, dass ich Bürgermeister einer Stadt bin, die von den Nazis bombardiert wurde. Ahmed Aboutaleb, Bürgermeister von Rotterdam
Ich sage allen Türken in den Niederlanden, die mit Erdogan übereinstimmen: Geht in die Türkei und kommt nie mehr wieder! Geert Wilders, Chef der rechtspopulistischen PVV
Man gewinnt langsam den Eindruck, dass alle Nazis sind außer Erdogan selbst, wenn es nach dem Alleinherrscher vom Bosporus geht. Grünen-Parteichef Cem Özdemir
Ein türkischer Wahlkampf in Deutschland hat hier nichts verloren. Es gibt für solche Auftritte klare Grenzen, zum Beispiel das Strafgesetzbuch. Wer die Bundesrepublik Deutschland oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft und böswillig verächtlich macht, macht sich strafbar. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)