Solche Töne hat man lange nicht mehr aus der türkischen Regierung gehört. "Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei, auch wenn das vergangene Jahr schwierig war", sagt Außenministerminister Mevlüt Cavusoglu im aktuellen Spiegel. Nun, da der Wahlkampf in Deutschland vorbei ist, glaube er an eine Normalisierung der Beziehungen. "Und ich bin bereit, dafür Anstrengungen zu unternehmen."
Alleine die Tatsache, dass sich Cavusoglu zwei Wochen nach der Bundestagswahl über das große deutsche Nachrichtenmagazin an die deutsche Öffentlichkeit wendet, ist ein klares Zeichen der Entspannung. Er hat in diesen zwei Wochen auch schon zwei Mal mit seinem scheidenden Kollegen Sigmar Gabriel telefoniert, nachdem es lange Zeit nur sehr sporadisch Kontakte zwischen den beiden gab.
Ob die Gespräche mit dem SPD-Politiker den deutsch-türkischen Beziehungen noch helfen, ist aber fraglich. Denn nach jetzigem Stand der Dinge wird Gabriel nicht mehr lange Außenminister sein, weil seine Partei sich für die Opposition entschieden hat. Und die Suche nach einem Nachfolger in den bevorstehenden Gesprächen über eine Jamaika-Koalition könnte ein neues Problem zwischen beiden Ländern generieren.
Özdemir ist schon lange einer der schärfsten Erdogan-Kritiker
Denn derzeit gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen den Außenministerposten besetzen. Und sollte das so kommen, ist der aussichtsreichste Anwärter jemand, den die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Akit" kürzlich noch einen "Vaterlandsverräter" schimpfte: Cem Özdemir, 51, schwäbelnder Sohn türkischer Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, und einer der schärfsten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Normalerweise interessiert sich Erdogan nicht für Vorsitzende so kleiner europäischer Oppositionsparteien, wie es die Grünen bisher gewesen sind. Özdemir ist eine Ausnahme. Im Juni 2016 nannte Erdogan ihn in einer Rede vor Dorfvorstehern "den Mann, der in Deutschland sein eigenes Land des Völkermordes beschuldigt". Auch ohne dass Özdemirs Name fiel, wusste jeder, wer gemeint war, als der Präsident fragte: "Was ist er, wenn nicht charakterlos?"
Grund war die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, deren maßgeblicher Initiator Özdemir gewesen ist und die bis heute nicht nur Erdogan, sondern auch oppositionelle Türken empört. Regierungsnahe Zeitung schäumten damals vor Wut. "Yeni Safak" beschimpfte den Grünen-Chef als "Abschaum". "Star"nannte Özdemir nicht nur einen "Pseudo-Türken", sondern auch einen "Verehrer der Armenier und der (verbotenen kurdischen Arbeiterpartei) PKK".
Das ist Cem Özdemir
Cem Özdemir ist Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau ist Journalistin und stammt ursprünglich aus Argentinien.
Cem Özdemir wurde am 21. Dezember 1965 im baden-württembergischen Urach geboren. Sein Vater, der einer türkischen Minderheit angehörte, kam einst als Gastarbeiter nach Deutschland.
Nachdem er die Mittlere Reife erworben hatte, begann Cem Özdemir eine Ausbildung als Erzieher. Anschließend studierte er Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Reutlingen.
1981 ist Cem Özdemir den Grünen beigetreten. Von 1989 bis 1994 gehörte er zum baden-württembergischen Landesvorstand der Partei. 1994 wurde er dann als erster Abgeordneter mit türkischem Migrationshintergrund in den Deutschen Bundestag gewählt.
Cem Özdemir war innenpolitischer Sprecher der Fraktion und reformierte das Staatsangehörigkeitsrecht. Überhaupt hat sich Özdemir immer für eine bessere Integration ausländischer Mitbürger eingesetzt. Die türkische Universität Tunceli hat ihm 2009 die Ehrendoktorwürde für seinen Einsatz um eine Verständigung der Kulturen verliehen.
Ab 2004 war er für einige Jahre Abgeordneter im Europäischen Parlament (Die Grünen/Freie Europäische Allianz). Bis 2009 wirkte er dort unter anderem als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.
Seit November 2008 bildet Cem Özdemir zusammen mit Claudia Roth die Doppelspitze der Grünen. Im Rahmen einer Debatte um den Reformationsbedarf der deutschen Bildungspolitik hat Özdemir vorgeschlagen, in den Schulen auch Türkisch zu unterrichten.
Cem Özdemirs Anliegen, das interkulturelle Miteinander in Deutschland zu verbessern, spiegelt sich auch in seinen Büchern wider. Titel wie "Currywurst und Döner - Integration in Deutschland" oder seine Autobiographie "Ich bin ein Inländer" machen seine Position deutlich.
Das Armenier-Thema ist aber längst nicht das einzige, mit dem Özdemir Erdogan und dessen AKP gegen sich aufgebracht hat. Der Grünen-Vorsitzende - der sich selber als "anatolischen Schwaben" bezeichnet - legte in der Vergangenheit wenig Diplomatie an den Tag, wenn er beispielsweise vom "AKP-Diktator"Erdogan sprach. Mit Blick auf die inhaftierten Deutschen in der Türkei bezeichnete er den Staatschef als "Geiselnehmer".
Während Union und SPD ihren Türkei-Kurs erst zur Bundestagswahl deutlich verschärften, ist Özdemirs Rhetorik nicht nur dem Wahlkampf geschuldet gewesen: Der Grünen-Politiker ist schon lange einer der schärfsten Erdogan-Kritiker. Im September 2015, als der Friedensprozess mit der PKK zusammengebrochen war, reiste Özdemir in die kurz zuvor noch umkämpfte Stadt Cizre. Wenige Monate später sagte er zum harten Vorgehen der Regierung in den Kurdengebieten: "Es wird eine Art Krieg geführt gegen die eigene Bevölkerung."
Özdemir wäre erster Außenminister mit Migrationshintergrund
Schon im Mai 2015 hatten die Grünen unter Özdemir eine Wahlempfehlung für die pro-kurdische HDP ausgesprochen, die Erdogan als verlängerten Arm der PKK bezeichnet. HDP-Chef Selahattin Demirtas war mit dem Versprechen in den Wahlkampf zur Parlamentswahl 2015 gezogen, Erdogans Träume von einem Präsidialsystem zu durchkreuzen. Inzwischen sitzt Demirtas im Gefängnis, und Erdogan hat sein Präsidialsystem im April per Referendum durchgesetzt.
Sollte Özdemir tatsächlich Außenminister werden, wäre er der erste Bundesminister aus einer Migrantenfamilie. Er dürfte gerade deswegen penibel darauf achten, dass er sich nicht auf das Türkei-Thema reduzieren lässt. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass er den Kurs der bisherigen Bundesregierung im Grundsatz ändert. Auch aus seiner Sicht gibt es nur einen Weg zur Entspannung: "Wie wäre es, wenn die Türkei den wichtigen Schritt auf Deutschland zugeht und inhaftierte deutsche Staatsbürger*innen freilässt?", twitterte er am Samstag als Reaktion auf das Cavusoglu-Interview.
Gemeint sind der Journalist Deniz Yücel, der Menschenrechtler Peter Steudtner und andere, die aus politischen Gründen seit Monaten in der Türkei im Gefängnis sitzen. Özdemir hat im Wahlkampf aber für härtere Sanktionen gegen Ankara plädiert, etwa für eine Reisewarnung oder einen kompletten Stopp aller deutscher Rüstungsexporte in den Nato-Staat Türkei.
Außenminister wird mit Respekt behandelt werden
Entsprechend skeptisch äußert sich der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu zu der Perspektive, dass der Deutschtürke Außenminister werden könnte. "Wenn er vor einem möglichen Türkei-Besuch so unqualifizierte Äußerungen wie in der Vergangenheit von sich gibt, wird er nicht willkommen sein", sagt er. Cavusoglu drückt es etwas zurückhaltender aus: "Es wäre falsch, die Beziehung zwischen beiden Ländern über Einzelpersonen zu definieren", sagt er. "Wer auch immer als Bundesaußenminister in die Türkei kommt, wir lassen ihm den gleichen Respekt zukommen, der uns entgegengebracht wird."
Einen Vorteil hätte die Ernennung Özdemirs zum Chefdiplomaten aber auf jeden Fall für die deutsch-türkischen Beziehungen: Bei Außenministertreffen wäre kein Dolmetscher mehr nötig. dpa/AZ
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