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Türkei: Kommentar: Erdogan kann helfen - aber Europa muss handeln

Türkei

Kommentar: Erdogan kann helfen - aber Europa muss handeln

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    Erdogan ist nur bedingt handlungsfähig, er steht unter starkem Druck.
    Erdogan ist nur bedingt handlungsfähig, er steht unter starkem Druck. Foto: Olivier Hoslet (dpa)

    Wer gebraucht wird, kann Forderungen stellen. In dieser komfortablen Lage befindet sich dank der Flüchtlingskrise der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Zumindest gegenüber der EU.

    Die Flüchtlingsströme, die sich aus dem Nahen und Mittleren Osten in Richtung Europa ergießen, können nicht gestoppt oder wenigstens verlangsamt werden, wenn die Türkei nicht mitspielt. Erdogan ist sich dieser Position bewusst, und er stellt harte Bedingungen. Dass sich der Westen stärker finanziell bei der Versorgung der zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der

    Merkel und Erdogan: Wohl keine konkreten Zusagen

    Niemand sollte sich Illusionen machen. Die Kanzlerin kann und will wohl auch nicht als Unterhändlerin der EU Verhandlungen führen. Deswegen wird Europas Problem eines zu großen und zu schnellen Flüchtlingsansturms an diesem Wochenende nicht gelöst werden. Sicher wird Merkel über die Krise reden, und sie wird auch ansprechen, dass Erdogan der EU helfen kann. Aber weitreichende Zusagen wird sie kaum erhalten. Gut wäre, wenn wenigstens das zuletzt kühle Klima zwischen der Türkei und der EU verbessert würde. Speziell das deutsch-türkische Verhältnis ist seit einem Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Jahr und dessen als Belehrung empfundener Kritik an den Verhältnissen in der Türkei eingetrübt.

    Auch wenn es nicht ohne die Türkei geht: Alleine durch türkische Unterstützung kann Europa sein Flüchtlingsproblem nicht lösen. Zur allseits geforderten Beseitigung von Fluchtursachen gehört auch, dass weitere Aufnahmeländer wie Jordanien und Libanon unterstützt werden. Und am wirkungsvollsten wäre es, den Bürgerkrieg in Syrien zu einem Ende zu bringen. Dies steht jedoch weder in der Macht Europas noch der Türkei. Höchstens im Zusammenwirken der USA und Russlands könnte dies gelingen – wonach es derzeit leider nicht aussieht.

    EU-Gipfel: Grenzen müssen unter Kontrolle sein

    Außerdem muss die EU – der heutige Gipfel bietet Gelegenheit dazu – endlich das Ihre tun. Staaten und auch eine Staatengemeinschaft können nicht auf Dauer die Kontrolle ihrer Grenzen aus der Hand geben. Die EU muss an ihren Außengrenzen wieder geordnete Verhältnisse herstellen. Dies heißt nicht, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Aber Schutzsuchende müssen an der Grenze registriert und im Falle eines Anspruchs auf Schutz in der Gemeinschaft weiterverteilt werden. Dies ist Aufgabe der „Hotspots“, die jetzt in Griechenland und in Italien eingerichtet werden. Deren Arbeit würde zugegebenermaßen erleichtert, wenn weniger Flüchtlinge via Türkei über das Mittelmeer kämen.

    Tödliche Anschläge in der Türkei

    In der Türkei haben Anschläge schon viele Menschen das Leben gekostet. Einige Fälle:

    Januar 2016: Bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls werden elf Deutsche getötet. Der Angreifer sprengt sich mitten in einer deutschen Reisegruppe in der Umgebung der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft. Der Attentäter gehörte nach Angaben der türkische Regierung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an.

    Oktober 2015: Am Rande einer regierungskritischen Demonstration in der Hauptstadt Ankara reißen zwei Sprengsätze mehr als 100 Menschen in den Tod. Die Staatsanwaltschaft macht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich.

    September 2015: Bei einem Bombenanschlag in Igdir in der Osttürkei werden zwölf Polizeibeamte getötet. Zuvor starben bei einem Angriff der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK und Gefechten im südosttürkischen Daglica in der Provinz Hakkari 16 Soldaten.

    August 2015: Bei einem Bombenanschlag und einem anschließenden Angriff auf eine Polizeiwache in der Millionenmetropole Istanbul werden mindestens vier Menschen getötet. Zwei Frauen greifen zudem das US-Konsulat an, eine wird festgenommen. Sie soll Mitglied der linksextremen Terrororganisation DHKP-C sein.

    Juli 2015: Im südtürkischen Grenzort Suruc reißt ein Selbstmordattentäter 33 pro-kurdische Aktivisten mit in den Tod. Die Behörden machen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich, die sich allerdings nie zu der Tat bekennt.

    Juni 2015: Zwei Tage vor der türkischen Parlamentswahl verüben Unbekannte in der südosttürkischen Kurden-Metropole Diyarbakir einen Sprengstoffanschlag auf eine Veranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP. Mindestens vier Menschen sterben.

    Mai 2013: Bei der Explosion zweier Autobomben in der Grenzstadt Reyhanli werden mehr als 50 Menschen getötet. Die Regierung beschuldigt türkische Linksextremisten mit Kontakten zum Regime im benachbarten Syrien.

    September 2011: Drei Menschen sterben in der türkischen Hauptstadt Ankara, als im Regierungsviertel eine Bombe explodiert. Eine Splittergruppe der PKK bekennt sich zur Tat. (dpa)

    Doch Erdogan ist nur bedingt handlungsfähig, er steht unter starkem Druck. Seine islamisch-konservative AK-Partei hat die Regierungsmehrheit verloren, und ob sie diese bei den Neuwahlen am 1.November zurückerobern kann, ist fraglich. Dazu erschüttern Gewalttaten das Land: Anschläge, hinter denen wohl die Terrormiliz Islamischer Staat steht, und Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der militanten kurdischen PKK. Schließlich findet Erdogans Wunsch, im Bürgerkriegsland Syrien eine Pufferzone einzurichten, international wenig Unterstützung.

    Vor diesem Hintergrund ist die Reise der Kanzlerin unbedingt notwendig. Wunder darf man davon aber nicht erwarten.

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