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Türkei: Kommentar: Die türkische Tragödie ist hausgemacht

Türkei

Kommentar: Die türkische Tragödie ist hausgemacht

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    Feuerwehrleute am Schauplatz der Bombenexplosion in Ankara, die einem Militärkonvoi gegolten hatte.
    Feuerwehrleute am Schauplatz der Bombenexplosion in Ankara, die einem Militärkonvoi gegolten hatte. Foto: str (dpa)

    Wieder ein schwerer Anschlag, wieder viele Tote, wieder eine harte Reaktion – die Türkei ist seit dem vergangenen Sommer in einer Gewaltspirale gefangen, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Einer der Gründe für die verfahrene Lage ist, dass sich zwei Entwicklungen unheilvoll ergänzen: die destabilisierenden Auswirkungen des Konflikts im Nachbarstaat Syrien und ein Scheuklappendenken in der türkischen Führung, das Kursänderungen und Kompromisse erschwert. Für Europa und besonders für Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich die Frage, ob die

    Blutige Anschläge auf türkischem Boden

    Die Türkei ist mit ihrer 900 Kilometer langen Landgrenze zu Syrien ist besonders von den Folgen des bald fünfjährigen Konfliktes im Nachbarland betroffen. Der Syrien-Krieg hat Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht, zieht Extremisten aus aller Welt an und ist zur Bühne eines Stellvertreterkrieges mehrerer internationaler Akteure geworden.

    Tödliche Anschläge in der Türkei

    In der Türkei haben Anschläge schon viele Menschen das Leben gekostet. Einige Fälle:

    Januar 2016: Bei einem Anschlag im historischen Zentrum Istanbuls werden elf Deutsche getötet. Der Angreifer sprengt sich mitten in einer deutschen Reisegruppe in der Umgebung der Hagia Sophia und der Blauen Moschee in die Luft. Der Attentäter gehörte nach Angaben der türkische Regierung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an.

    Oktober 2015: Am Rande einer regierungskritischen Demonstration in der Hauptstadt Ankara reißen zwei Sprengsätze mehr als 100 Menschen in den Tod. Die Staatsanwaltschaft macht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich.

    September 2015: Bei einem Bombenanschlag in Igdir in der Osttürkei werden zwölf Polizeibeamte getötet. Zuvor starben bei einem Angriff der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK und Gefechten im südosttürkischen Daglica in der Provinz Hakkari 16 Soldaten.

    August 2015: Bei einem Bombenanschlag und einem anschließenden Angriff auf eine Polizeiwache in der Millionenmetropole Istanbul werden mindestens vier Menschen getötet. Zwei Frauen greifen zudem das US-Konsulat an, eine wird festgenommen. Sie soll Mitglied der linksextremen Terrororganisation DHKP-C sein.

    Juli 2015: Im südtürkischen Grenzort Suruc reißt ein Selbstmordattentäter 33 pro-kurdische Aktivisten mit in den Tod. Die Behörden machen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich, die sich allerdings nie zu der Tat bekennt.

    Juni 2015: Zwei Tage vor der türkischen Parlamentswahl verüben Unbekannte in der südosttürkischen Kurden-Metropole Diyarbakir einen Sprengstoffanschlag auf eine Veranstaltung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP. Mindestens vier Menschen sterben.

    Mai 2013: Bei der Explosion zweier Autobomben in der Grenzstadt Reyhanli werden mehr als 50 Menschen getötet. Die Regierung beschuldigt türkische Linksextremisten mit Kontakten zum Regime im benachbarten Syrien.

    September 2011: Drei Menschen sterben in der türkischen Hauptstadt Ankara, als im Regierungsviertel eine Bombe explodiert. Eine Splittergruppe der PKK bekennt sich zur Tat. (dpa)

    Aus Sicht Ankaras liegt der Schlüssel zur Lösung in einer Entmachtung von Präsident Baschar al-Assad, doch dieses Vorhaben ist gescheitert. Stattdessen sieht sich die Türkei zwei Herausforderungen gegenüber, die aus Sicht der Regierung die nationale Sicherheit berühren: Radikale Fundamentalisten des Islamischen Staates (IS) und syrische Kurden, die mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sind, haben sich im Grenzgebiet zur Türkei etabliert. Beide Gruppen verfolgen das Ziel, in Syrien auf Dauer staatsähnliche Gebilde zu schaffen. Und sowohl die Dschihadisten als auch militante Kurden begehen seit dem Sommer blutige Anschläge auf türkischem Boden.

    Der Kurdenkonflikt in der Türkei selbst ist nicht zuletzt wegen des Syrien-Krieges wieder aufgeflammt. Das ist an sich schon schlimm genug. Vergrößert werden die Probleme aber durch die Haltung von Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, die in der Kurdenfrage die Rückkehr zu Verhandlungen ausschließen und auf einen militärischen Sieg über die PKK und ihre Unterorganisationen sowohl in der Türkei als auch im Norden Syriens setzen. Außerdem greift die Türkei die PKK-Lager im Irak an – Ankara führt also gewissermaßen einen Dreifrontenkrieg gegen die Kurdenrebellen.

    Erdogans Unnachgiebigkeit ist zum Scheitern verurteilt

    Die PKK hat großen Anteil an der Eskalation. Die Rebellen glauben, im Chaos des Syrien-Krieges sei nun endlich die Stunde zur Schaffung eines autonomen Kurdistans zwischen Türkei, Syrien und dem Irak gekommen. Deshalb setzen auch sie auf Konfrontation. Erdogans Unnachgiebigkeit findet zwar Zustimmung bei türkischen Nationalisten, ist auf Dauer aber zum Scheitern verurteilt: Die Türkei konnte die PKK in mehr als 30 Jahren Krieg nicht besiegen und wird es auch jetzt nicht schaffen. Nur eine politische Lösung kann den Kurdenkonflikt beenden. Kritiker raten der türkischen Führung, zumindest das Gespräch mit den syrischen Kurden zu suchen und mögliche Gemeinsamkeiten zu sondieren, wenn schon neue Verhandlungen mit der PKK ausgeschlossen werden. Auch im Norden Iraks hat sich Ankara schließlich mit der Herrschaft der Kurden arrangiert.

    Leider sieht es nicht so aus, als wolle Erdogan dies versuchen. Stattdessen rufen seine Anhänger nach weiteren Verboten unabhängiger Medien in der Türkei. Die türkische Tragödie geht also weiter. Das hat auch Folgen für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beim EU-Gipfel muss sie ohne Berichte der türkischen Seite über erste Erfolge bei der Eindämmung des Flüchtlingsstroms auskommen.

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