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Türkei: Fethullah Gülen - der Popstar unter den Predigern

Türkei

Fethullah Gülen - der Popstar unter den Predigern

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    Fetthullah Gülen, hier Ende 2013, wird von Präsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht.
    Fetthullah Gülen, hier Ende 2013, wird von Präsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich gemacht. Foto: FGULEN.COM (dpa)

    Inzwischen halten selbst Erdogan-kritische Experten wie der bekannte Autor Rusen Çakir die Gülen-Bewegung für die Drahtzieher des türkischen Putschversuchs Mitte Juli. Offiziere, die laut Militärrat im August entlassen werden sollten, sahen, so Çakirs Analyse, den Putsch als letzte Möglichkeit, ihrer Freistellung zuvorzukommen.

    Doch wer genau ist Fethullah Gülen, der seit Ende der 1990er Jahre im US-Exil lebt, gegen den gestern ein Istanbuler Gericht Haftbefehl erlassen hat? Wie ist seine Bewegung entstanden, wie rekrutiert sie sich? Ist sie eine Organisation, eine Sekte? So viel sei vorausgeschickt: Für eine Sekte fehlen ihr ein ausreichender Organisationsgrad, die typischen starren Hierarchien und Sanktionsmechanismen.

    Die Geschichte der Bewegung ist ohne die mächtigen islamischen Orden der Naksbandiyya, Mevleviyya und Bektasiyya, die sich in Teilen aus dem osmanischen Reich hinüber in die Republik retteten, nicht denkbar. Selbst die Kulturrevolution von Atatürk, die Enteignung der Orden, die Hinrichtung und Entmachtung ihrer Scheichs konnten die Strukturen nicht zerstören. Sie überlebten im Untergrund.

    Der 78-jährige Prediger Gülen –Betonung auf der letzten Silbe – stammt aus Erzurum, einer nationalbewussten Region mit starken islamischen Traditionen. Er erhielt eine nichtstaatliche, religiöse Ausbildung im Kreis sufischer Gelehrter. Ab 1966 predigte er im säkularen Izmir. Hier stieg er gleichsam zum Popstar auf. Er begann Repetitorien zu gründen, später auch Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und einen Medienkonzern.

    Gülen-Institutionen auch in Deutschland

    In einer seiner Predigten, denen auf öffentlichen Plätzen bisweilen Hunderttausende ergriffen lauschten, soll er seine Anhänger aufgefordert haben, gezielt auf Karrieren im Justiz-, Polizei- und Bildungssystem zu setzen. Dem folgenden Haftbefehl entzog er sich und ging 1999 mit dem innersten Zirkel seiner Gefolgsleute ins US-Exil nach Pennsylvania. Gülen-Institutionen finden sich heute in der Türkei, den Turkrepubliken Asiens, in Afrika, Europa und den USA. Seit 1995 ist die Bewegung auch in Deutschland aktiv.

    Das Weltbild der Sufi-Orden entspricht der klassischen sunnitischen Mystik, die neben den üblichen Geboten der Scharia vor allem Gehorsam, eine fromme Charakterbildung und spirituelle Gottesannäherung lehrt. Durch die Arbeitsmigration kamen ab den 1960er Jahren auch Vertreter der Ordensreste nach Deutschland. Unter ihnen: die Anhänger von Scheich Said Nursi (1876–1960) und seines Schülers Gülen. Nursis "Botschaft des Lichts", ein 14-bändiger Koran-Kommentar auf 6000 Seiten, ist gängige Lektüre unter sufisch orientierten türkischstämmigen Muslimen. Nursi lehrt: Eine sittsame islamische Gesellschaft lässt sich am effektivsten über die Synthese mit den modernen Wissenschaften entwickeln.

    Gülen entwickelte die These weiter. Demnach hat jeder Mensch die Fähigkeit zur Gotteserkenntnis. Der Glaube an den einen und einzigen Schöpfer wird jedoch ausschließlich von der jüngsten, der islamischen Religion verkörpert. Erkenntnisse, die im Widerspruch zu Kernaussagen des Islam stehen, können keine Vernunft beanspruchen.

    Predigen gegen Atheismus und Marxismus

    Fethullah Gülen predigt gegen Atheismus und Marxismus. Sie seien die Wurzel von Alkohol- und Drogenmissbrauch, Konsumsucht, Scheidungen und instabilen Familienbeziehungen. Schon Nursi gründete in der Türkei ein Bildungsnetzwerk, an dem bis heute insbesondere die Gülen-Bewegung weiter spinnt.

    Fünf bis sieben Millionen Menschen dürften in der Türkei den charismatischen Imam verehren. Zu seinem Netzwerk gehört der größte Medienkonzern des Landes, die auflagenstärkste – inzwischen enteignete – Tageszeitung Zaman (Zeit) und die in Verbänden organisierten sympathisierenden Unternehmen, die für modernste Krankenhäuser spenden sowie für das Vorzeigeprojekt Fatih-Universität in Istanbul und Schulen im In- und Ausland. In den "Lichthäusern" (Studentenheime) und privaten Repetitorien wird der von Gülen "goldene Generation" genannte Nachwuchs in den weltlichen Fächern gefördert und in die Werkethik Gülens eingeführt. 2011 gaben Gülen-Anhänger erstmals öffentlich an, die türkische Justiz und Polizei infiltriert zu haben.

    Wie andernorts auch, eröffnete die Gülen-Bewegung in Deutschland keine Koran-Kurse, sondern Schulen und Nachhilfe-Institute. Statt sich öffentlich für Kopftuch, Minarett und muslimische Feiertage starkzumachen, schuf sie Zentren für den interkulturellen Dialog. In Schwaben bekennt sich der Augsburger Verein "Frohsinn" mit einer Kita und vier Nachhilfezentren, die pro Woche von etwa 400 Schülern besucht werden, zum Netzwerk. An der Vision-Schule für Mädchen in Jettingen-Scheppach ist "Frohsinn" als Gesellschafter mit fünf weiteren bayerischen Gülen-Vereinen beteiligt. Auch das Augsburger Begegnungszentrum Ay, der Unternehmerverband EXUV Augsburg und das Calla Frauenbildungszentrum Augsburg zählen zum Netzwerk, bekennen sich jedoch nicht öffentlich dazu. Finanziert werden sämtliche Aktivitäten auch hier durch Firmenspenden und Unternehmensverbände. Staatlich anerkannte, bezuschusste Schulen und Kindergärten stärken die Gülen-Bewegung, die den Anschluss an die wirtschaftliche, politische und kulturelle Elite sucht.

    Nach außen hin bemühen sich Gülen-Anhänger um Integration und Aufstieg. Gleichzeitig steht Gülen hinter Erdogan – auch wenn sie jetzt verfeindet sind: Das Parteiprogramm der AKP fußt in weiten Teilen auf den wertkonservativen Schriften Gülens. Gleichzeitig gilt: Die Verflechtungen der Gülen-Bewegung in der Türkei sind zu dicht, als dass sie ignoriert werden könnten. Dort scheint die Bewegung durch ihre schiere Größe zu einer Gefahr geworden zu sein, die offenbar selbst vor einem Putsch nicht zurückschreckt – und sei es nur aus wirtschaftlichem Kalkül einzelner Offiziere.

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