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Türkei: Can Dündar verurteilt: Erdogan ignoriert europäische Rechtsstandards

Türkei

Can Dündar verurteilt: Erdogan ignoriert europäische Rechtsstandards

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    Immer wenn der türkische Staat Regimekritiker vor Gericht stellt, ist von Verrätern und Umstürzlern die Rede. Deutschland ist jedoch nicht bereit, den Intellektuellen und Journalisten Can Dündar auszuliefern.
    Immer wenn der türkische Staat Regimekritiker vor Gericht stellt, ist von Verrätern und Umstürzlern die Rede. Deutschland ist jedoch nicht bereit, den Intellektuellen und Journalisten Can Dündar auszuliefern. Foto: Imago Images

    Mehr als 27 Jahre Haft für einen Zeitungsartikel: Mit dem Urteil eines Istanbuler Gerichts gegen den Journalisten Can Dündar hat die Verfolgung von Regierungsgegnern in der Türkei am Mittwoch einen neuen Höhepunkt erreicht. Aus seinem Berliner Exil erklärte Dündar, die Entscheidung werde keinen Bestand haben, sondern wie alle Unrechtsurteile unter der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eines Tages revidiert werden. Erdogan hatte Dündar mehrfach als „Agenten“ vorverurteilt.

    Das Urteil wurde sofort zu einem politischen Streitfall zwischen der Türkei und Deutschland: Ankara wies Kritik der Bundesregierung an der Entscheidung zurück und forderte Deutschland auf, Dündar auszuliefern. Streit gibt es auch um den in der Türkei inhaftierten Kurdenpolitiker Selahattin Demirtas. Weil Ankara die Freilassung von Demirtas verweigert, droht der Türkei der Ausschluss aus dem Europarat.

    Can Dündar konnte nach Deutschland fliehen

    Dündar hatte in der Oppositionszeitung Cumhuriyet im Mai 2015 über illegale Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen berichtet. Nach drei Monaten Untersuchungshaft wurde Dündar Anfang 2016 auf Anordnung des türkischen Verfassungsgerichtes freigelassen; kurz darauf entkam er knapp einem Mordanschlag während eines Gerichtsverfahrens. Dündar wurde damals zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt, konnte aber nach Deutschland fliehen. Der türkische Berufungsgerichtshof ordnete in seiner Abwesenheit ein neues Verfahren an, das am Mittwoch mit der Haftstrafe von 27 Jahren und sechs Monaten wegen Geheimnisverrats, Spionage und Terror-Unterstützung endete. Das Gericht erließ zudem einen neuen Haftbefehl gegen Dündar. An dem Verfahren nahmen Erdogan und der türkische Geheimdienst MIT als Nebenkläger teil.

    Dündar sagte dem türkischen Exilsender Arti TV, alle Urteile der Erdogan-Zeit würden irgendwann „auf dem Müllhaufen landen“. Die Verantwortlichen würden ihre Taten eines Tages im Gefängnis bereuen. Dündars Anwälte boykottierten die Urteilsverkündung. Sie warfen dem Gericht vor, auf politische Weisung der Regierung gehandelt und die Rechte des Angeklagten verletzt zu haben. So habe das Gericht mehrmals ohne die Verteidigung über den Fall beraten. Wie die Nazi-Justiz die Juden für rechtlos erklärt habe, sollten auch ihrem Mandanten alle Rechte aberkannt werden. Die Justiz hatte bereits zuvor Dündars Haus in der Türkei beschlagnahmt und sein Vermögen eingezogen.

    Heiko Maas kritisiert Urteil gegen Can Dündar

    Kritiker der Erdogan-Regierung sehen die Entscheidung im Fall Dündar als weiteren Beweis dafür, dass sich die Türkei immer mehr von europäischen Rechtsnormen entfernt. Bundesaußenminister Heiko Maas kritisierte das Urteil als „harten Schlag gegen unabhängige journalistische Arbeit“ in der Türkei.

    Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun konterte, Dündar als Journalisten zu bezeichnen und das Urteil als Schlag gegen die freie Rede, sei eine „Beleidigung für wahre Journalisten“. Spannungen zwischen der Türkei und Europa gibt es auch wegen der Inhaftierung von Demirtas. Der Straßburger Menschenrechtshof hatte am Dienstag die Freilassung des Kurdenpolitikers gefordert, der seit mehr als vier Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Demirtas werde aus politischen Gründen in Haft gehalten, erklärten die Europarichter. Das Straßburger Gericht verlangt auch die Freilassung des Demokratie-Aktivisten Osman Kavala, der seit mehr als drei Jahren im Gefängnis sitzt. Als Mitglied des Europarates ist die Türkei verpflichtet, die Urteile aus Straßburg umzusetzen. Für Demirtas und Kavala lehnt Ankara das jedoch ab.

    Das Urteil im Fall des Kurdenpolitikers sei politisch motiviert und heuchlerisch, sagte Erdogan am Mittwoch. Der Präsident fürchtet Demirtas als politischen Konkurrenten und will ihn deshalb unter allen Umständen hinter Gittern halten. Erdogans Regierung kann sich auf willfährige Richter verlassen, weil sie das Aufsichtsgremium über die Justiz kontrolliert; von einem Rechtsstaat in der Türkei kann nach Einschätzung der EU keine Rede mehr sein.

    Im Europarat, der aus 47 europäischen Staaten mit dem Ziel der Stärkung von Menschenrechten und Rechtsstaat besteht, steht die Türkei deshalb kurz vor dem Rauswurf. „Die Parlamentarische Versammlung des Europarats könnte schon im April ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei in Gang setzen“, sagte Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, unserer Redaktion in Istanbul. „Wenn das Verfahren einmal begonnen hat, dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder die Türkei setzt die Urteile um, oder es folgt der Ausschluss.“

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Erdogan spricht von mehr Demokratie - doch seine Versprechen sind wertlos

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