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Türkei: Abdullah Gül ist Erdogans gefährlichster Gegner

Türkei

Abdullah Gül ist Erdogans gefährlichster Gegner

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    Tritt er gegen Erdogan an? Am Freitag blickt die Türkei auf den ehemaligen türkischen Staatspräsident Abdullah Gül.
    Tritt er gegen Erdogan an? Am Freitag blickt die Türkei auf den ehemaligen türkischen Staatspräsident Abdullah Gül. Foto: Henrik Montgomery, dpa

    Wo betet Abdullah Gül an diesem Freitag? Die Frage ist nicht unwichtig für die Zukunft der Türkei und für alle, die mit ihr zu tun haben. Der frühere Staatspräsident ist ein frommer Mann und besucht zum Freitagsgebet stets eine Moschee. Wenn er etwas zu sagen hat, dann tut er das gern freitags nach dem Gebet vor der Moschee, wo deshalb immer ein Schwarm von Reportern auf ihn wartet.

    Viel hat Gül nicht zu sagen, seit sein alter Weggefährte Recep Tayyip Erdogan ihn ausrangiert hat. Nur manchmal merkt er milde an, dass der Ausnahmezustand endlich aufgehoben werden solle, dass die eingesperrten Journalisten freigelassen werden sollten, dass die Türkei zu Demokratie und Reformen zurückkehren solle. Gebessert hat sich dadurch nichts, doch das wäre diesmal anders: Mit ein paar Worten könnte Gül alles verändern.

    Denn es gibt nur einen einzigen Mann in der Türkei, der das Sultanat von Erdogan noch verhindern kann, und das ist Abdullah Gül. Demokratisierung, Frieden mit den Kurden, EU-Beitritt – das waren seine Ziele als Staatspräsident, als Ministerpräsident, als Außenminister und als Mitbegründer der AKP.

    Seit Erdogan diese Ziele aus der AKP verdrängt hat wie ihn selbst, hat Gül sich aus der Politik zurückgezogen – und dennoch hängen in diesen Tagen die Hoffnungen von Millionen Türken an ihm. Sollte sich der heute 67-jährige Gül zur Kandidatur für das Präsidentenamt am 24. Juni entschließen, könnte er die ansonsten hoffnungslos zersplitterte Opposition hinter sich vereinen. Ihn würden – wenn auch mit Naserümpfen – sowohl Kurden als auch Kemalisten wählen, um Erdogan zu verhindern. Das Gleiche gilt für die wachsende Zahl von AKP-Anhängern, denen Erdogans Kurs nicht geheuer ist. Technisch könnte Gül kandidieren, doch die große Frage ist: Wird er es wagen?

    Lange waren sie Weggefährten

    Gemeinsam schafften Gül und Erdogan einst das Unmögliche: Aus dem Stand heraus holte die von ihnen gegründete islamisch-konservative Partei AKP bei der Wahl im November 2002 die absolute Mehrheit der Stimmen im Parlament. Der Sieg war eine politische Zäsur für das Land, eine Revolution an der Wahlurne. Jetzt hätte Gül die Chance, das noch einmal zu schaffen.

    Der große Unterschied ist aber, dass er diesmal gegen Erdogan antreten müsste. In seiner aktiven Zeit war er dessen treuer Gefährte, übernahm zunächst kommissarisch für Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten und übergab es im Jahr 2003 an ihn, nachdem der heutige AKP-Chef die Hürde eines politischen Betätigungsverbotes überwunden hatte. Vier Jahre später schaffte Gül als erster türkischer Präsident aus dem religiösen Lager eine Zeitenwende.

    Wird er jetzt wieder eine neue Epoche einleiten? Als Präsidentschaftskandidat könnte er die Türkei gewissermaßen vor dem Präsidialsystem retten, das Erdogan mit der Wahl vollenden will. Der Präsident will sich auf Dauer zentrale Machtbefugnisse sichern und eine Ein-Mann-Regierung bilden. Auch in der AKP hatte Erdogan die Macht nicht teilen wollen. Alte Mitstreiter wie Gül oder den früheren Parlamentspräsidenten Bülent Arinc stellte er kalt, den Reformprozess würgte er ab.

    Für Kritiker ist Gül ein Zauderer

    Und Gül schaute zu. Kritiker halten ihn für einen Zauderer, der sich aus Furcht vor Erdogan nicht aus der Deckung wagt. „Er ist ein Schwächling“, sagt Ahmet, ein Istanbuler Teehausbesucher, über Gül am Tag nach der Ankündigung von Neuwahlen. Dennoch hängen an Gül und seinem Mut die Hoffnungen der Erdogan-Gegner aus allen politischen Lagern.

    Kein anderer kann Erdogan so gefährlich werden wie Gül. Meral Aksener, die Chefin der neuen rechtspopulistischen Partei Iyi Parti, wildert zwar mit einigem Erfolg in der konservativen Stammwählerschaft der AKP. Aber die Kurden, die mehr als zehn Prozent der türkischen Wähler stellen, lehnen die ehemalige Innenministerin und knallharte Nationalistin ab.

    Der charismatische Chef der legalen Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, sitzt wie andere Spitzenpolitiker seiner Partei im Gefängnis. Kemal Kilicdaroglu, als Chef der säkularistischen Partei CHP nominell der Oppositionsführer, ist farblos und ungeschickt. Eine gemeinsame Mobilisierung der Erdogan-kritischen Wähler ist weder mit Aksener noch mit Kilicdaroglu möglich.

    Gül könnte, wenn er die Kandidatur wagen sollte, Erdogan zumindest in eine Stichwahl zwingen, was dem Präsidenten äußerst unangenehm wäre.

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