Es ist ein Stoff, der normalerweise politische Erdbeben auslöst. Der tschechische Premier Andrei Babis soll über Offshore-Firmen ein Schloss an der Côte d’Azur gekauft haben. So haben es unter dem Titel Pandora Papers internationale Medien recherchiert. Steuerbetrug und Geldwäsche lauten die Stichworte. Eine Sondereinheit der tschechischen Polizei ermittelt. Und all das geschieht kurz vor einer Wahl, bei der sich Babis an diesem Wochenende eine zweite Amtszeit sichern will. Doch in Prag bleibt das Beben aus. Die Opposition beschränkt sich auf mehr oder weniger originelle Attacken. „Der Premier predigt Wasser und trinkt französischen Wein“, sagt Ivan Bartos, Chef der grün-liberalen Piratenpartei. Ohnehin lüge Babis die Menschen ständig an. Doch den Regierungschef lässt das kalt. Er dreht den Spieß einfach um. „Eine Mafia“ versuche, seinen Triumph zu verhindern. Mit Lügen.
Mafia, das klingt nach internationaler Verschwörung statt nach weltweit vernetzter Recherche. Es ist auch diffus genug für einen Wahlkampf, in dem komplexe Themen wie der Klimaschutz oder die Corona-Politik kaum eine Rolle spielen. Die Menschen in dem kleinen mitteleuropäischen Land seien traditionell „auf das Spitzenpersonal fokussiert“, erläutert der Publizist Robert Schuster. Wenn es doch einmal um Inhalte gehe, ergänzt die Politologin Katerina Smejkalova, dann eher um populistische Parolen als um das Kleingedruckte: „Keine Flüchtlinge, keine Steuererhöhungen, kein Neomarxismus, kein Diktat aus Brüssel.“ All diese Felder habe Babis seit Jahren mit radikalen Positionen besetzt. Und weil sie in der tschechischen Mehrheitsgesellschaft so populär sind, traue sich niemand, Babis „ein echtes Kontra zu geben“.
Aktuell führt Babis' Partei die Umfragen an
Hinzu kommt, dass es in der gesamten Opposition keine Kandidatinnen oder Bewerber gibt, die dem Amtsinhaber das Wasser reichen könnten. Die Mobilisierung der Parteien laufe allein über das Thema „Anti-Babis“, erklärt Smejkalova. Doch das hatte „mäßigen Erfolg“. So zeigen es auch die Umfragen. Aktuell führt die Babis-Partei ANO mit rund 26 Prozent vor der konservativen Liste SPOLU mit 21,5 und den Piraten mit knapp 18 Prozent. Über die Wirkung der Pandora-Enthüllungen geben diese Zahlen zwar noch keine Auskunft. Aber es fällt Babis in Fernsehdebatten und bei Wahlkampfauftritten leicht, die Vorwürfe ins Leere laufen zu lassen. „Ich habe nichts Illegales getan“, sagt der 67-Jährige immer wieder.
Tatsächlich behaupten das nicht einmal jene tschechischen Journalisten, die an den Pandora-Enthüllungen beteiligt waren: „Wir sagen nicht, dass ein Verbrechen begangen wurde. Wir glauben jedoch, dass das gesamte Offshore-System Fragen aufwirft.“ Etwa, ob Babis per Schlosskauf Geld gewaschen hat. Der Fall stammt aus dem Jahr 2009. Für den Premier ist das fast schon eine Steilvorlage. „Es ist vor jeder Wahl dasselbe. Irgendjemand zaubert etwas aus einer fernen Vergangenheit hervor, um mir zu schaden.“ Unter Verdacht stehen dabei „deutsche, linke und Pro-Migration-Medien“, die Babis kürzlich von einer Pressekonferenz ausschloss, wie Teilnehmende berichteten. Noch weiter als der Premier geht ein Sprecher von Staatspräsident Milos Zeman. Er beschuldigt „gewisse Mächte im Ausland“, die Regierung in Prag stürzen und „unser Heimatland unterdrücken“ zu wollen.
Populismus prägt seit Jahren Tschechiens Politik
Es ist der Sound des Populismus, der die tschechische Politik seit vielen Jahren prägt. Hoffähig gemacht hat den Stil einst Vaclav Klaus, der 2003 dem legendären „Dichterpräsidenten“ Vaclav Havel im Amt folgte. Klaus, ursprünglich ein Liberalkonservativer, wetterte gegen die quasi-sowjetische Herrschaft der EU und „die gefährliche Ideologie des Ökologismus“. Bei vielen Tschechen, die von den Umbrüchen nach 1989 verunsichert waren, kam das gut an. Also machte Zeman, einst ein Sozialist, da weiter, wo Klaus aufgehört hatte. Über den damaligen Premier Bohuslav Sobotka sagte er 2016, man könne unliebsame Politiker durch Wahlen loswerden. Oder mit einer Kalaschnikow.
An dem Erfolg der beiden populistischen Präsidenten orientierte sich auch der Unternehmer und Multimilliardär Babis, der mit seiner Ein-Mann-Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger) 2011 in die Politik einstieg. Er versprach, das Land zu führen wie sein Wirtschaftsimperium – und triumphierte bei der Parlamentswahl 2017, als ANO mit rund 30 Prozent der Stimmen klar stärkste Partei wurde. Seither regiert der ultrakapitalistische Oligarch Babis mit dem Segen des Linkspopulisten Zeman. Mehr noch: Da Konservative und Liberale nicht mit Babis koalieren wollten, verhalf der Präsident dem Premier zu einer Minderheitsregierung unter Duldung der Postkommunisten. Denn in Tschechien ist es, anders als derzeit in Deutschland zu beobachten, der Staatschef, der den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.
Die Regierung hat eine verheerende Corona-Bilanz
Zeman dürfte auch nach dieser Wahl alles daransetzen, seinen Verbündeten Babis im Amt zu halten. Das könnte sogar dann der Fall sein, wenn doch eine der Oppositionsparteien knapp vor ANO liegen sollte. Der Präsident spiele sein Spiel, sagt Publizist Schuster. „Er will spalten, um keine Parlamentsmehrheit gegen sich zuzulassen.“ Aber auch bei den Menschen im Land zeigt sich: Wer für Babis und Zeman ist, lässt sich weder von Skandalen umstimmen noch von der verheerenden Corona-Bilanz der Regierung. Bei der Zahl der Covid-19-Toten pro eine Million Einwohner liegt Tschechien auf einem traurigen siebten Platz. Drei Gesundheitsminister bot Babis innerhalb von anderthalb Jahren auf – ohne nennenswerten Effekt.