Für Spender und Angehörige ist die Organspende eine Frage von Leben und Tod. Der Bundestag hat diese Woche in erster Lesung über den Entwurf eines neuen Organtransplantationsgesetzes debattiert. Parallel dazu diskutierte der Deutsche Ethikrat neue Argumente zur Frage, wann das Leben zu Ende ist. Nach geltendem Transplantationsrecht dürfen Organentnahmen nur bei Menschen vorgenommen werden, deren Tod eindeutig festgestellt wird. Derzeit ist der Hirntod das ausschlaggebende Kriterium. Doch sind Hirntote wirklich tot? Wir sprachen mit dem Augsburger Weihbischof und Mitglied des Deutschen Ethikrats, Anton Losinger.
Haben Sie persönlich einen Organspendeausweis?
Losinger: Ja. Für mich persönlich war ein Erlebnis mit meinem Nachbarn ausschlaggebend. Er hatte eine Niereninsuffizienz und musste letztendlich sterben, weil sein Herz bereits zu stark geschädigt war, als er ein Spenderorgan bekommen hatte.
Seit dem sogenannten Harvard-Kriterium von 1968 gibt es die Definition des Hirntods. Die Ärzte verstehen darunter die irreversibel erloschene Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Seit einigen Jahren steigt aber die Zahl der Zweifler, die behaupten, der Mensch sei auch mit dem Hirntod noch nicht tot. Was sagen Sie?
Losinger: Es stimmt, der Hirntod als Kriterium ist sowohl bei Naturwissenschaftlern als auch bei Theologen wieder umstrittener als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig ist der Hirntod einer der großen Angstgeneratoren der Debatte zur Organentnahme. Beim Forum Bioethik in Berlin sprach diese Woche einer der großen Hirnforscher, Professor D. Alan Shewmon aus den USA. Er änderte 1992 seine Meinung über den Hirntod diametral. Er sagt heute, das Harvard-Kriterium von 1968 sei letztendlich falsch.
Er ist nicht der einzige Wissenschaftler, der das Harvard-Kriterium infrage stellt. Müsste man das Organspendegesetz grundsätzlich überdenken?
Losinger: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Es gab bei dem Forum Bioethik natürlich auch andere Wissenschaftler, die sich massiv für den Hirntod als ausschlaggebendes Kriterium einsetzten. Das Problem ist in der Tat, dass es zum Hirntod keine auch nur annähernd zuverlässige Alternative gibt. Wie soll die Medizin sonst den Tod eines Menschen feststellen? Der irreversible Kreislaufstillstand, der vor der Erfindung der Herz-Kreislauf-Maschine 1952 galt, kann es ja nicht mehr sein. Letztendlich ist die Medizin an diesem Punkt in einem Dilemma.
Ethikrat debattiert über Hirntod und Organentnahme
Wie begründet eigentlich der US-Forscher Shewmon, dass der Hirntod nicht der Todeszeitpunkt ist?
Losinger: Er sagt, eine solche Methode sei nicht die Feststellung des Todes. Dieser sei etwas anderes, als das, was die Naturwissenschaft aktuell für den Zeitpunkt hält. Die Medizin könne lediglich einen Zeitpunkt nennen, also ein physisches und organisches Kriterium, an dem die irreversible Auflösung der Einheit des menschlichen Leibes stattfindet. Dagegen spricht natürlich, dass das Hirn nicht in jeder Hinsicht das zentrale Steuerungsorgan ist, sondern auch das Rückenmark, das vegetative Nervensystem und andere Nervenstränge durchaus auch lebenserhaltend nach dem Erlöschen des gesamten Hirns wirken können. Insofern, sagen Kritiker, komme dem Hirn eine Rolle zu, die es in dieser Weise eigentlich nicht habe.
Was bedeutet das für Sie als Theologe und als Mitglied des Ethikrates?
Losinger: Für mich ist eines klar: Theologische Beurteilungen solcher existenzieller Zusammenhänge müssen auf dem Boden gesicherter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse stattfinden. Deswegen können wir auch sagen, dass eine Pulsmessung wie früher nicht Aufschluss über den Tod eines Menschen geben kann. Dort, wo die Naturwissenschaften uns uneindeutige Hinweise geben, sind wir darauf angewiesen, das kritisch auch so zur Kenntnis zu nehmen und dies auch auszusprechen. Theologisch gesehen bleibt der Grundansatz: An dem Punkt, wo sich die Einheit von Leib und Seele auflöst, sprechen wir vom Tod des Menschen. Mehr als das können wir Theologen nicht sagen.
Was heißt dies für das geplante neue Transplantationsgesetz?
Losinger: Bei all den Diskussionen bleibt: Die Menschen müssen ganz klar vor Augen haben, dass sie sich frei entscheiden können. Die neue Variante soll weder Zustimmungs- und Widerspruchs-, sondern eine Entscheidungslösung sein. Denn jeder einzelne Bürger wird angeschrieben und um seine Entscheidung gebeten. Natürlich kommt uns das – ethisch gesehen – entgegen, denn der maximale Freiheitsraum wird dabei gewahrt. Niemand muss sich äußern, niemand muss sich entscheiden. Der, der den Brief in den Papierkorb wirft, überlässt die Entscheidung möglicherweise seinen Angehörigen. Aber jeder muss sich mit dem Thema mehr oder minder beschäftigen und kann so auf dieser transparenten Basis seine individuelle Entscheidung treffen.
Wie ist es denn ethisch zu bewerten, wenn ein Bürger es ablehnt, seine Organe zu spenden?
Losinger: Im Blick auf die verzweifelte Lage eines kranken Menschen könnte man dies durchaus verurteilen. Aber auf der anderen Seite muss die Freiheit des Spenders stehen. Denn eine Spende ist nur dann eine Spende, wenn kein Druck ausgeübt wird.
Viele Menschen in Deutschland haben Angst, ihre Organe zu spenden, weil sie befürchten, sie könnten zu früh für tot erklärt werden. Berechtigt?
Losinger: Ganz klar nein. In Deutschland gibt es die Versicherung der Bundesärztekammer, dass die Tötung eines Menschen zur Rettung eines anderen bei Strafe verboten ist. Allein durch die Trennung der Vorgänge bei der Herausnahme der Organe ist dies gewährleistet. Interview: Josef Karg