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Thilo Sarrazins neues Buch: Der Provokateur meldet sich zurück

Thilo Sarrazins neues Buch

Der Provokateur meldet sich zurück

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    Die skandaltaugliche Provokation taucht diesmal erst auf Seite 203 von 464 auf: Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin muss sich wieder gegen Vorwürfe des Rechtspopulismus verteidigen. Dabei fällt seine Generalabrechnung mit dem Euro und der Schuldenkrise unerwartet ausgewogen aus.
    Die skandaltaugliche Provokation taucht diesmal erst auf Seite 203 von 464 auf: Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin muss sich wieder gegen Vorwürfe des Rechtspopulismus verteidigen. Dabei fällt seine Generalabrechnung mit dem Euro und der Schuldenkrise unerwartet ausgewogen aus. Foto: dpa

    „Flüssig und kurzweilig geschrieben“, urteilte die Frankfurter Allgemeine über Thilo Sarrazins Euro-Buch, bemängelte aber, es sei das Werk eines „Euro-Optimisten“, der „die Währungsunion positiv beurteilt und den tendenziellen Euro-Pessimismus der Wissenschaft und der Bundesbank nicht teilt“. Zudem nehme es der Autor mit der strikten Auslegung der Konvergenzkriterien nicht sehr genau, sondern vertrete über die Gründung der Währungsunion eher die Ansicht, dass „man vorher politisch die Teilnehmer einer Teilwährungsunion festlegt und dann schaut, wie man die ökonomischen Kriterien nun auslegen soll“.

    Sarrazin: „Der liberale Euro-Traum ist ausgeträumt“

    Das war 1997, als Thilo Sarrazins Werk „Der Euro. Chance oder Abenteuer?“ erschien. Damals war der Sozialdemokrat als Landesfinanzstaatssekretär in Rheinland-Pfalz ein relativ unbeschriebenes politisches Blatt, das sich in den Chor der Chancenseher einreihte. Heute, 15 Jahre später, klagt Sarrazin in seinem neuen Buch „Europa braucht den Euro nicht“ über eine „politische Klasse, die in naivem Leichtsinn unter Missachtung zahlreicher Warnungen zunächst eine Währungsunion ohne politische Union eingerichtet und sodann beim ersten Gegenwind alle wichtigen Sicherungsklauseln des Maastricht-Vertrages missachtet hat“.

    Sarrazin ist nicht der einzige einst überzeugte Euro-Befürworter, der seine Meinung geändert hat, ähnlich wie andersrum einstige Skeptiker wie Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber heute mit Inbrunst vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone warnen. Auch Sarrazin schreibt nun, er habe damals in den Neunzigern seine Auseinandersetzung mit dem Euro „als Skeptiker begonnen und als Befürworter beendet“, doch der „liberale Euro-Traum ist leider im Augenblick ausgeträumt“.

    Im Augenblick. Diese Formulierung erscheint wie die meisten der vorab veröffentlichten Zeilen aus dem Werk des ehemaligen Bundesbankvorstands zumindest für jene überraschend differenziert, die nach dem Skandalbuch „Deutschland schafft sich ab“ nun eine erneute polemische Brutalabrechnung mit dem Euro und der Politik erwartet haben. Doch Sarrazins Kritiker mussten bis Seite 203 von 464 blättern, bis sie ein skandaltaugliches Zitat fanden. Sarrazin kritisiert dabei jene Vertreter aus SPD, Grünen und Linkspartei, die sogenannte Eurobonds für eine pauschale Schuldenhaftung aller EU-Länder befürworten, sie seien „getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“. Sofort schallte dem Provokateur der Vorwurf des Rechtspopulismus entgegen.

    Bei Jauch: Steinbrück bringt mehr Zunder als Sarrazin

    Sprüche von Thilo Sarrazin

    "Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen."

    "Bayerische Schüler ohne Abschluss können mehr als unsere in Berlin mit Abschluss."

    "Es wird ja so getan, als ob der Senat die Kinder ins Konzentrationslager schicken wollte." (Debatte über Kita-Gebühren)

    "Die Beamten laufen bleich und übel riechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist."

    "Tempelhof ist kein Filetstück. Und wenn, dann schauen da schon die Maden raus."

    "Wer als Hartz-IV-Empfänger genug Kraft für ein Ehrenamt findet, der sollte dann die Kraft darin legen, Arbeit zu finden".

    "Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag."

    "Der Schutt ist abgeräumt. Wir leben hier nicht mehr im Jahre 1945, sondern wir leben im Jahre 1947."

    "Eine große Zahl an Arabern und Türken (..) hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel."

    "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert."

    "Die Türken erobern Deutschland genauso wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate."

    "Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht."

    So auch am Sonntagabend, als Günther Jauch zum Wortgefecht „Thilo Sarrazin gegen Peer Steinbrück“ lud. „Was hat der Holocaust mit dem Euro zu tun?“, wiederholte Jauch mehrfach die Frage an Sarrazin, der sich minutenlang um eine Antwort herumwand. Richtigen Zunder brachte allerdings eher Steinbrück als Sarrazin in die Auseinandersetzung. Der Ex-SPD-Finanzminister raunte angesichts seiner deutlich geringeren Redezeit Richtung Sarrazin: „Der kann hier den größten Bullshit erzählen, und ich komm nicht dagegen an.“ Immerhin entlockte Steinbrück dem Autor, dass dessen Ausführungen zum Zusammenhang von Sonnenscheindauer und Wirtschaftskraft in den südlichen Krisenländern nicht ernst gemeint seien: „Ein bisschen Spaß muss sein, Herr Steinbrück“, entgegnete Sarrazin, nachdem beide SPD-Mitglieder auf das Genossen-Duzen verzichteten.

    Der größte Konflikt zwischen beiden Sozialdemokraten blieb die Frage, ob Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer Aussage recht hat: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Auch Steinbrück hält den Euro zwingend für den Zusammenhalt der EU und damit der Sicherung der Errungenschaften der europäischen Zivilisation von der Religionsfreiheit bis zu offenen Binnengrenzen.

    Sarrazin bestreitet dies sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Eine gemeinsame Währung „mag manchem nützlich vorkommen, aber sie ist nicht zwingend“, lautet seine Hauptthese. „Der Euro wird von den Ideologen des europäischen Bundesstaates mit solcher Argumentation zur Symbolpolitik missbraucht“, schreibt Sarrazin in seinem Buch und setzt noch gewohnt als Polemik drauf: „Diejenigen, die jede Diskussion um den Euro oder einem Austritt Griechenlands mit einem Scheitern Europas in Verbindung bringen, argumentieren letztlich wie Erich Honecker, der kurz vor dem Fall der Mauer sagte: Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Deutschland hätte sich auch ohne Euro wettbewerbsfähig entwickelt. „Auch als Projekt zur Steigerung der europäischen Völkerfreundschaft hat der Euro bislang die Erwartungen nicht erfüllt“, fügt er spitz hinzu. „Fassbar sind bislang nur die Kosten und Risiken.“

    Thilo Sarrazin unterstützt Angela Merkels Politik

    Dennoch wirbt Sarrazin an keiner Stelle dafür, dass Deutschland jetzt zur D-Mark zurückkehren soll. Er unterstützt sogar an mehreren Stellen Angela Merkels Politik: Die Einführung nationaler Schuldenbremsen sei „grundsätzlich richtig“. Er mahnt zudem mehr „Takt“ im Umgang mit den Schuldenländern an. Nicht einmal der Forderung, dass die Griechen aus dem Euro aussteigen sollen, mag sich Sarrazin vorbehaltlos anschließen: „Darüber mögen die Ökonomen streiten“, schreibt er schlicht.

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