Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Theo Waigel über Helmut Kohl: "Helmut Kohl gehört zu den ganz Großen der Geschichte"

Theo Waigel über Helmut Kohl

"Helmut Kohl gehört zu den ganz Großen der Geschichte"

    • |
    Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl vor zwei Jahre bei seinem 83. Geburtstag. Mit dabei:  Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (links).
    Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl vor zwei Jahre bei seinem 83. Geburtstag. Mit dabei: Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (links). Foto: Ralf Lienert

    Zu Bayern hatte Helmut Kohl immer ein besonderes Verhältnis. Und oft kam er nach Schwaben. Einer seiner vielen Besuche in meiner Heimat sollte mein politisches Leben entscheidend verändern.

    Anfang April 1989 hatte der Kanzler Staatspräsident François Mitterrand nach Günzburg zum deutsch-französischen Gipfel auf Schloss Reisensburg eingeladen, in meinen Wahlkreis. Auf unserem Flug von Bonn zum Fliegerhorst Leipheim stellte mir Helmut Kohl die Frage, ob ich Minister in seinem Kabinett werden wolle. Ich antwortete, das müsse ich mir erst gut überlegen.

    Politische Freunde rieten Waigel von Kabinett Kohl ab

    Ich war nach dem Tod von Franz Josef Strauß seit wenigen Monaten CSU-Vorsitzender. Niemand wettete einen Cent darauf, dass die Regierungskoalition mit der FDP die nächste Bundestagswahl übersteht. Und niemand ahnte, welche tief greifenden historischen Veränderungen die kommenden Monate mit sich bringen. Die meisten meiner politischen Freunde rieten mir ab, Kohls Angebot anzunehmen.

    Auch ich war nicht unbedingt geneigt, als einer der Finanzminister mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte der Bundesrepublik einzugehen. Bevor ich mich festlegen wollte, bat ich auch Lothar Späth um seinen Rat und verabredete mich mit dem CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg zu einem Geheimtreffen an der Landesgrenze im Ulmer Intercity-Hotel. Auch

    Helmut Kohl war ein Kämpfer

    Ich war seit 1982 Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und überzeugt, dass wir eine gute Arbeit und eine erfolgreiche Politik für Deutschland gemacht hatten. Ich wollte es wissen. Kampflos unterzugehen, um selber möglichst wenig beschädigt zu werden, lag mir nicht. Und dann bin ich in das volle Risiko Helmut Kohl eingestiegen.

    Kohl hatte immer ein unglaubliches Gespür für alles, was in seiner Partei vorging. Ihm war als CDU-Vorsitzendem natürlich nicht verborgen geblieben, dass sein eigener Generalsekretär Heiner Geißler in geheimer Mission übers Land zog, um zu fragen, wer zu Kohls Sturz bereit wäre.

    Doch Helmut Kohl war immer ein Kämpfer, der sich aus manchen Tiefen befreit hat. Er bewältigte die für die Union sehr schwierige Situation, als die CSU 1976 auf der Fraktionsklausur in Wildbad Kreuth nach der verlorenen Bundestagswahl drohte, sich bundesweit auszudehnen. Franz Josef Strauß stellte Kohl vor eine Kraftprobe. Strauß war immer der Meinung, eigentlich könne er es besser und sei Kohl überlegen. Doch das erwies sich als Denkfehler. Strauß schien tatsächlich in vielem überlegen: Er war ein überragender Geist, ein hervorragender Rhetoriker und ein geopolitischer Kopf. Aber was Beharrungsvermögen und Durchsetzungskraft anbelangt und manchmal auch strategisches Denken, hatte Helmut Kohl einen Vorteil: Er konnte über seinen eigenen Schatten springen.

    ---Trennung _Kohl war ein Stratege - im Gegensatz zu Strauß_ Trennung---

    Kohl war ein Stratege - im Gegensatz zu Franz Josef Strauß

    Die Stationen von Helmut Kohl

    3. April 1930: Helmut Kohl wird in Ludwigshafen als jüngstes von drei Kindern eines Finanzbeamten geboren.

    Mai 1969: Nach zehn Jahren als Landtagsabgeordneter wird er Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.

    12. Juni 1973: Kohl wird CDU-Parteichef, drei Jahre später geht er als Oppositionsführer nach Bonn.

    1. Oktober 1982: Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition setzt Kohl ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt durch und wird mithilfe der FDP Kanzler.

    Juli 1990: Beim "Strickjacken"-Treffen mit Gorbatschow gelingt der Durchbruch für die "uneingeschränkte Souveränität" Deutschlands.

    27. September 1998: Kohl verliert die Bundestagswahl. Er tritt als Kanzler und Parteichef ab.

    1999: Die CDU-Spendenaffäre wird aufgedeckt. Kohl räumt ein, von heimlichen CDU-Konten gewusst und Spenden von bis zu zwei Millionen Mark entgegengenommen zu haben. Spendernamen gibt er nicht preis.

    18. Januar 2000: Kohl gibt den CDU-Ehrenvorsitz ab, nachdem sich die Parteispitze um Wolfgang Schäuble und die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihm distanziert haben. Seitdem gilt sein Verhältnis zu weiten Teilen der CDU als getrübt.

    2001: Das Ermittlungsverfahren wegen der Spendenaffäre wird gegen Zahlung von 300.000 Mark eingestellt.

    2001: Seine Ehefrau Hannelore, die an einer Lichtallergie litt, nimmt sich das Leben.

    Februar 2008: Helmut Kohl stürzt in seinem Haus und wird wegen eines Schädel-Hirn-Traumas operiert.

    13. Mai 2008: Kohl heiratet seine 35 Jahre jüngere Lebensgefährtin Maike Richter. Sie wird von verschiedenen Seiten verantwortlich gemacht für Kohls Entfernung von seinen Söhnen Walter und Peter. Zur Hochzeit sind sie nicht eingeladen.

    Oktober 2014: Ein Buch des ehemaligen Kohl-Biografen Heribert Schwan sorgt für Wirbel. Er zitiert aus Gesprächen mit Kohl, in denen dieser hart mit Weggefährten abrechnet. Es folgt ein heftiger Streit vor Gericht, der noch nicht entschieden ist.

    3. April 2015: Helmut Kohl sitzt im Rollstuhl und kann nur schwer sprechen. Er tritt auch nur noch selten öffentlich auf. Die CDU veranstaltet keine Feier zu seinem 85. Geburtstag am Karfreitag. Stattdessen soll es im Sommer ein Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung geben.

    Kohl feiert im privaten Kreis zu Haus in Ludwigshafen-Oggersheim. Er will nach Angaben seines Büros Gratulanten empfangen, unter anderem CDU-Vertreter wie die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Julia Klöckner. (dpa/afp/AZ)

    Franz Josef Strauß konnte das nicht. Er hat nie verwunden, dass er wegen der FDP 1962 nach der Spiegel-Affäre zurücktreten musste. Er vergaß es bis ans Ende seiner Tage nicht. Als 1982 die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt zerbrach, wollte Strauß am liebsten Neuwahlen, bei denen die FDP aus dem Parlament geflogen wäre.

    Doch Helmut Kohl war der stärkere Stratege – im Wissen, dass eine bürgerliche Koalition auf die Dauer besser für die Union ist. Helmut Kohl hatte die Geduld, zehn Jahre lang von 1972 bis 1982 auszuharren, um an eine Koalition mit der FDP zu glauben. Auch, als er 1976 mit fast 49 Prozent beinahe die absolute Mehrheit geholt hatte und dennoch nicht Kanzler wurde, erklärte er die FDP nicht aus Enttäuschung zum Feind. Er gab nie sein Bemühen auf, die FDP auf die Seite der CDU/CSU zu bringen. Er pflegte mit unglaublicher Geduld den Gesprächsfaden und persönlichen Draht zu Hans-Dietrich Genscher. Dabei machte er immer klar: Ich enttäusche euch nicht, ihr könnt euch auf uns verlassen.

    Helmut Kohl war sich zugleich immer der Bedeutung der CSU bewusst. Im Gegensatz zu manchen norddeutschen Unionskollegen, die in der CSU eher ein notwendiges Übel gesehen haben, kannte er die Geschichte der bayerischen Volkspartei und des Zentrums. Er wusste, dass CDU und CSU miteinander nur dann stark sind, wenn die CSU überproportional gut abschneidet. Darum achtete er immer die Selbstständigkeit der CSU.

    Helmut Kohl hat Bayern immer gemocht. Bei ihm spürt man die alte Vergangenheit, dass die Pfalz einst zu Bayern gehörte. Sein Vater war in Ludwigshafen Finanzbeamter und damit bayerischer Finanzbeamter. Nach dem Krieg machte Helmut Kohl ein paar Monate ein Praktikum als landwirtschaftlicher Lehrling in Unterfranken. Als 15-Jähriger war er in den letzten Kriegstagen in Berchtesgaden als Flakhelfer eingezogen worden.

    Nach dem zweiten Weltkrieg versteckte sich Kohl in Ichenhausen

    Er hat darüber selten gesprochen, aber als er sich bei Kriegsende aus den Bergen zu Fuß auf den Weg in die Heimat gemacht hatte, wurde er in Augsburg von US-Soldaten unsanft behandelt, als er entdeckt wurde. Kurz darauf versteckte er sich ein paar Tage bei einer Familie in Ichenhausen.

    Dass er ein halbes Jahr zuvor im November 1944 im Krieg seinen älteren Bruder Walter verloren hatte, prägte ihn für sein Leben und ebenso seine Politik. Versöhnung und ihre Symbolik war Helmut Kohl immer wichtig. Die historischen Gesten, Hand in Hand mit François Mitterrand 1984 auf einem Soldatenfriedhof bei Verdun und der Besuch der Kriegsgräberstätte in Bitburg mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, sollten zeigen: Deutschland hat die Lehren der Geschichte gelernt; es hat begriffen, aus dem Gegeneinander zum Miteinander zu kommen. Kohl sah und befand sich in der großen Tradition der europäischen Versöhner.

    ---Trennung _Kohl dachte immer in historischen Dimensionen_ Trennung---

    Historiker statt Volkswirt

    Schon in den Fünfzigerjahren gehörte Helmut Kohl zu den Jungen Wilden in der CDU, die nach 1945 als symbolischen Akt Grenzbäume aus den Angeln hoben. Wenn Kohl gesagt hat, Europa ist eine Frage von Frieden und Krieg, dann war es für ihn keine Floskel oder Übertreibung, wie ihm manche Kritiker angelastet haben. Es war schlicht ein Blick in die Geschichte. In der schwierigen Phase vor der Wiedervereinigung kam Deutschland zugute, dass der Kanzler der Bundesrepublik kein Jurist oder Volkswirt war, sondern ein Historiker.

    Zu Helmut Kohls Grundphilosophie gehört das Denken in historischen Kategorien. Das konnte er in den Gesprächen und oft schwierigen Verhandlungen mit den anderen Mächtigen der Welt immer wieder mit Erfolg einbringen.

    Das Jahr 1989 leitete mit dem Fall des Eisernen Vorhangs einen welthistorischen Prozess ein, wie er sich in dieser Form noch nie vollzogen hat: Der Fall der Mauer, die friedliche Auflösung des Warschauer Paktes, der Abzug von einer halben Million Sowjetsoldaten und tausender Atombomben innerhalb weniger Jahre – inmitten dieses international bedeutsamen

    Sicht auf Wiedervereinigung von zwei Seiten

    Eine der größten Stärken Helmut Kohls für diese Zeit war, dass er die Wiedervereinigung und die europäische Einigung immer als zwei Seiten einer Medaille angesehen hat. Dies war entscheidend für das nötige Vertrauen der ausländischen Partner, dass ein wiedervereinigtes Deutschland keine unberechenbaren Sonderwege geht. So ist es falsch, wenn immer wieder behauptet wird, die Zustimmung zur gemeinsamen Währung sei der Preis für die Zustimmung unserer Nachbarn zur Wiedervereinigung. Der Euro war längst vorher auf den Weg gebracht worden. Entscheidend war, dass Helmut Kohl den Prozess der europäischen Einigung nie unterbrochen hat.

    Am Karfreitag wird Helmut Kohl 85 Jahre alt. Ich konnte in guten und in schweren Stunden auf ihn zählen. Und ich bin auch in seinen bitteren Jahren nie von ihm abgerückt. Man wird Helmut Kohl nur gerecht, wenn man seine – auch von ihm eingestandenen Fehler – ins Verhältnis zu seinen überragenden Leistungen für Deutschland und Europa setzt. Und hier gehört Helmut Kohl zu den ganz Großen der Geschichte.

    Otto von Bismarck hat mehr als einen Krieg benötigt, um die deutsche Einheit herbeizuführen. Helmut Kohl ist dies gelungen, ohne dass ein einziger Mensch zu Schaden gekommen ist.

    Der Autor war zwischen 1989 und 1998 Bundesfinanzminister und von 1988 bis 1999 Vorsitzender der CSU. Er wurde 1939 in Oberrohr bei Krumbach geboren und lebt heute in Seeg im Ostallgäu.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden