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Terrorismus: Das blutige Comeback des Islamischen Staates

Terrorismus

Das blutige Comeback des Islamischen Staates

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    Menschen legen in Gedenken an die Opfer des Terrorangriffs vom 2. November Kerzen und Blumen in der Wiener Innenstadt nieder.
    Menschen legen in Gedenken an die Opfer des Terrorangriffs vom 2. November Kerzen und Blumen in der Wiener Innenstadt nieder. Foto: Herbert Pfarrhofer/APA/dpa

    Sie kamen aus dem Untergrund, kontrollierten mehrere Städte und Regionen im Irak, wurden militärisch besiegt und agieren nun wieder aus dem Untergrund. Das ist – extrem gerafft – die Geschichte der Terrorgruppe Islamischer Staat. Eine Geschichte, die nicht zu Ende ist. Auch wenn das Thema IS in den letzten Monaten von den Wahlen in den USA und der weltweiten Corona-Krise überdeckt wurde.

    Grund genug für die Terrorexperten Rolf Tophoven und H.-Daniel Holz schon im Titel ihres aktuellen Buches zu warnen: „Der ’Islamische Staat’: Geschlagen – nicht besiegt“, heißt der bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienene Band. Grausam bestätigt wurden die Wissenschaftler einige Wochen nach der Drucklegung des Buches durch blutige Anschläge in Europa. „Ich glaube, dass der IS heute zwar kaum noch in der Lage ist, logistisch ausgeklügelte Kommandoaktionen wie in Paris vor fünf Jahren durchzuführen. Doch Taten wie in Paris und Nizza im Oktober sowie Wien Anfang November mit vielen Toten sind leider jederzeit möglich“, sagte Tophoven im Gespräch mit unserer Redaktion. Sollte es daran Zweifel gegeben haben, so sind sie nun ausgeräumt. Die Geheimdienste in Europa sind alarmiert.

    Rolf Tophoven
    Rolf Tophoven Foto: picture alliance / dpa

    Tophoven und Holz erklären die Anschläge und Attacken im Irak oder in Afghanistan als Versuche des IS, sich nach der militärischen Niederlage gegen die „Koalition der Willigen“ regional und international operativ wieder zurückzumelden. Tophoven: „Natürlich hat es dem Nimbus des IS geschadet, dass er sein Territorium, sprich das Kalifat, verloren hat. Es handelte sich ja um eine Art terroristischen Pseudostaat. So etwas hat es zuvor nie gegeben und strahlte für militante Islamisten eine große Faszination aus.“ Die IS-Kämpfer hätten zwar die Städte Mossul, Falludscha oder Rakka aufgeben müssen, sie würden aber aus ihrer Hochzeit nach 2014 noch immer über intakte Strukturen und Netzwerke verfügen.

    Die dezimierten IS-Kämpfer setzen auf Aktionen aus dem Untergrund

    Allerdings müsse der IS heute ohne eine große Zahl von Militär- und Geheimdienstexperten auskommen, die noch unter Diktator Saddam Hussein ausbildet wurden und dienten. Generell ist die Zahl der aktiven Kämpfer im Zuge der Kette militärischer Rückschläge im Irak, der Keimzelle des IS, in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auch wenn keine exakten Zahlen vorliegen, gehen Geheimdienste von rund 100.00 Milizen aus – 2014 sollen es mehr als 50.000 gewesen sein. Anders als in früheren Jahren sind ausländische Kämpfer in IS-Reihen nicht mehr erwünscht, da sie in den meist ländlichen Operationsgebieten zu schnell als Fremde auffallen.

    Noch schwieriger zu schätzen ist, wie viele Sympathisanten und Schläferzellen des IS es noch gibt – beispielsweise in nordirakischen Flüchtlingslagern. Aus dem Aderlass wurden taktische Konsequenzen gezogen. „Die Kämpfer starten ihre punktuellen Aktionen im Irak heute aus dem Untergrund. Sie verfügen nach wie vor über Verstecke und wohl auch vergrabene Schiffscontainer, in denen Waffen und Geld lagern“, erklärt Tophoven.

    IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdad kam im Oktober 2019 bei einer Militäroperation ums Leben. Er galt als Symbolfigur der Terror-Miliz.
    IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdad kam im Oktober 2019 bei einer Militäroperation ums Leben. Er galt als Symbolfigur der Terror-Miliz. Foto: Furqan Media/Handout/FURQAN MEDIA/dpa

    Eine weitere Konstante ist die rücksichtslose Brutalität, mit der die Terror-Milizen vorgehen. Seit Anfang 2019 ist eine deutliche Häufung bewaffneter Überfälle insbesondere im Irak zu beobachten. Tophoven erinnert an die „bestialische Tat, bei der Dorfvorsteher vor laufender Kamera enthauptet wurden“. Seit dem Tod des Anführers Abu Bakr al-Baghdadi im Oktober 2019 fehle dem IS zwar die Symbolfigur, doch auch der führungslose Terrorismus mit flachen Hierarchien bleibe gefährlich. Gleichzeitig beobachten Tophoven und Holz mit Sorge, dass der Druck auf den IS nachlässt: „Der IS profitiert insbesondere im Irak von der Schwäche der Zentralregierung.“ Nicht anders sieht es in Syrien, aber auch in Libyen oder Afghanistan aus. Mehr oder weniger eng an den IS angebundene Ableger operieren in verschiedenen Krisenländern.

    Auch in Europa geht seit Monaten wieder die Angst vor spontanen Einzeltätern um, die sich über Kontakte im Internet radikalisieren. „Für die westlichen Nachrichtendienste ist das eine gewaltige Herausforderung – zumal es beim Austausch unter den Diensten nach wie vor Defizite gibt“, sagt Tophoven. Eine Kritik, die Fachleute bereits seit Jahren äußern.

    In Deutschland ist die Bedrohung durch IS-Rückkehrer weiter hoch

    Ein weiteres Problem in Europa ist die diffuse, kaum greifbare Gefahr durch IS-Rückkehrer. „Allein aus Deutschland gingen bis zur militärischen Zerschlagung 2018/19 rund 1050 Männer und Frauen in den Irak und nach Syrien, um den IS zu unterstützen. Rund ein Drittel davon dürfte getötet worden sein, ein weiteres Drittel kam zurück. Was aus dem Rest geworden ist, ist völlig unklar. Das Bedrohungspotenzial ist also auch, was Deutschland betrifft, nicht zu unterschätzen“, warnt Tophoven. Beunruhigend für die Sicherheitsbehörden ist, dass wenige IS-Sympathisanten oder auch Einzeltäter in ihrer Umgebung blutige Anschläge verüben können. Eine Steuerung über das Internet ist kaum zu verhindern. Ein Messer oder eine Schusswaffe genügen, um wahllos Menschen schwer zu verletzten oder zu töten.

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