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Terrorismus: 20 Jahre Krieg gegen den Terror: Was heute von 9/11 geblieben ist

Rauchende Twin Towers: Vor 20 Jahren brachten islamistische Terroristen die Türme des World Trade Centers zum Einsturz. dpa
Terrorismus

20 Jahre Krieg gegen den Terror: Was heute von 9/11 geblieben ist

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    Sieger im Kampf der Blöcke, auf dem Zenit der Macht – Anfang der 90er Jahre, nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts, galt die Nato als unüberwindbar – und fühlte sich auch so. Von dieser Euphorie ist nicht mehr viel übrig. Die Allianz bleibt zwar das größte Militärbündnis auf unserem Planeten. Der Kompass scheint ihr aber abhandengekommen zu sein. In den Krieg gegen den Terror wurde die

    Der schnelle militärische Erfolg verdeckte, dass die als defensive Allianz konzipierte Nato für die asymmetrischen Konflikte des 21. Jahrhunderts nicht gemacht ist. Die Mission am Hindukusch verstärkte die vorhandenen Fliehkräfte, die für neue Konflikte zwischen den Mitgliedern sorgten.

    Während der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump dürften sich die Strategen im Nato-Hauptquartier in Brüssel vollends wie durch den Wolf gedreht vorgekommen sein. Erst hatten die USA über Jahre mehr Unterstützung von den Mitgliedern im Kampf gegen den Terrorismus gefordert, dann kamen aus dem Weißen Haus Signale, dass sich das Bündnis überlebt habe.

    Immerhin spricht es für den lebendigen Willen zur Selbsterhaltung, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, aber auch die Regierungschefs führender europäischer Mitglieder der Allianz wie Bundeskanzlerin Angela Merkel stoisch auf die Querschüsse aus Washington reagierten – besser gesagt, eben nicht reagierten. Ob das den Bestand der Nato bei einer zweiten Amtszeit Trumps gesichert hätte, darf bezweifelt werden. Doch die Erleichterung über den Wahlsieg von Joe Biden ist längst getrübt durch den Alleingang der USA beim Abzug aus Afghanistan, der auch für die Nato das Debakel besiegelte.

    Der Kampf gegen Terror beginnt nach dem 11. September
    Der Kampf gegen Terror beginnt nach dem 11. September Foto: Qassim Abdul-Zahra, AP/dpa

    Experten haben errechnet, dass es heute weltweit mehr Dschihadisten gibt als vor 9/11. Welche Fehler der USA und ihrer Verbündeten haben zu dieser niederschmetternden Bilanz geführt?

    Islamistischer Terror lässt sich nicht alleine auf Anschläge reduzieren. Er lebt von Bildern und seiner Wandlungsfähigkeit. Die Fotos der bizarr aus dem Staub ragenden Reste der Twin Towers sind stille Mahnmale sinnloser Gewalt. In den Augen fanatischer IS-Anhänger aber sind sie Symbole für den Sieg des Islams gegen den „Satan“ USA.

    Der Terrorexperte Rolf Tophoven hat in seiner Analyse die Bedeutung weltweiter Vernetzung und Digitalisierung für die Propaganda des IS und seiner Ableger oder Al Kaida aufgezeigt. Eine bildergewaltige Propaganda, die dazu beigetragen hat, dass der IS trotz seiner vernichtenden militärischen Niederlage in Syrien weiter Verblendete zulaufen. Die USA haben dazu unfreiwillig beigetragen – durch ihren atemlosen Aktionismus, ausgelöst durch den tiefen Schmerz und die Demütigung durch 9/11. Der Krieg gegen den Irak beispielsweise, aus falschen Gründen angefangen, war letztlich ein Rekrutierungsprogramm für Terrorgruppen.

    Das perfide Kalkül der Terroristen, den Westen mit öffentlichkeitswirksamen Anschlägen nicht nur zu Fehlern, sondern auch für alle sichtbar zur Aufgabe eigener Werte zu veranlassen, ging und geht auf. Das Paradebeispiel ist Guantanamo, das Gefangenenlager für Terrorverdächtige auf einem US-Stützpunkt auf Kuba. Dort vegetieren Insassen über Jahre ohne Prozess und Anklage vor sich hin – nachweislich auch völlig Unschuldige.

    Als kontraproduktiv erwies sich auch der Reflex Washingtons, die Macht von Terrorgruppen hochzureden, um einschneidende Anti-Terror-Maßnahmen zu rechtfertigen. So wurde aus Al Kaida ein weltumfassender Krake gemacht, der jederzeit und überall gezielt zuschlagen kann. Das war aber nie der Fall.

    Die Machtübernahme der Taliban und der chaotische Abzug der Nato-Truppen haben nun neue Bilder geliefert – ganz im Sinne der Fanatiker.

    Nach 9/11 war Europa entschlossen, jetzt sucht es nach sich selbst
    Nach 9/11 war Europa entschlossen, jetzt sucht es nach sich selbst Foto: Francisco Seco, dpa

    Schnell, einmütig und entschlossen – so regierte die Europäische Union nach den Anschlägen von 9/11. Den Regierungen in Berlin, Paris oder London war bewusst, dass in Washington auch nicht der leiseste Eindruck mangelnder Solidarität aufkommen durfte. Tatsächlich lösten sich Fesseln, die zuvor Fortschritte bei der Suche nach einer gemeinsamen Sicherheitspolitik gebremst oder gar verhindert hatten.

    Doch die Aufbruchsstimmung war endlich – schleichend schwand der Elan. Immer häufiger gab es Streit, inwieweit der von den USA erklärte Krieg gegen den Terror auf Kosten individueller Freiheit des Einzelnen gehen dürfe. Amerika, tief verwundet durch die Terroranschläge, reagierte zunehmend gereizt auf die Bedenken aus Europa. Nicht nur das. Die Regierung Georg W. Bush zog Konsequenzen, als sich zeigte, dass die EU-Staaten nicht gewillt waren, den USA im Anti-Terror-Kampf bedingungslos zu folgen. Washington traf einsame Entscheidungen, stellte seine Partner vor vollendete Tatsachen.

    Im Rückblick wird klar, dass die Anschläge von New York und Washington einen Einschnitt markierten, der das transatlantische Verhältnis dramatisch verändert hat. Insbesondere für Europa, das sich allzu bequem in der Gewissheit eingerichtet hatte, dass der mächtige Bündnispartner letztlich für die eigene Sicherheit garantiert, wenn es ernst wird.

    Diese Gewissheit ist heute, nach der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump, fast aufgebraucht. Doch Europa tut sich schwer, darauf effektiv zu reagieren. Das ist gefährlich. Denn: Auch wer zu spät aufwacht, wird vom Leben bestraft.

    Im Irak führte der Westen den falschen Krieg
    Im Irak führte der Westen den falschen Krieg Foto: DB Petar Kujundzic, dpa

    Die Bilder sind fast schon ikonisch. Ein Stahlseil umschlingt die monströse Statue des Machthabers Saddam Hussein, die schließlich wankt und zu Boden stürzt. Das war im April 2003. Das politische Ende des blutrünstigen Diktators Hussein, der für seine Taten 2006 mit dem Leben bezahlte, war für viele Iraker eine Erlösung. Dennoch: Die militärische Intervention der „Koalition der Willigen“, die in erster Linie aus US-amerikanischen und britischen Truppen bestand, hatte fatale Folgen. Es ist bewiesen, dass der Krieg, der hunderttausende Opfer forderte und eine ganze Region ins Chaos stürzte, auf Lügen basierte. In seiner berüchtigten Rede vor dem UN-Weltsicherheitsrat vom 5. Februar 2003 versicherte US-Außenminister Colin Powell, dass der Irak im Besitz biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sei, den Bau von Atomwaffen anstrebe und den internationalen Terrorismus unterstützen würde – letzteres Argument wog zweieinhalb Jahre nach 9/11 besonders schwer. Unwahr waren alle drei Behauptungen. Deutschland nahm an dem Kampfeinsatz nicht teil, unterstützte ihn aber logistisch.

    Der Irak hat sich bis heute nicht von der gewaltigen Zerstörung erholt. Nur die Präsenz von einigen Tausend US-Soldaten hindert den islamistischen Iran daran, den einstigen Erzfeind Irak komplett unter seine Kontrolle zu bringen.

    Europa und die USA haben sich seit der Zeit nach 9/11 entfremdet
    Europa und die USA haben sich seit der Zeit nach 9/11 entfremdet Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die „Amis“ haben uns die Demokratie, Coolness und Rock’n’Roll gebracht – Freundschaft lebt oft auch von den Klischees drumherum. Klischees wiederum haben nicht selten einen wahren Kern. Auch in diesem Fall. Denn, dass das Kriegsende 1945, die viel beschworene „Stunde Null“, den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ zwischen den Siegern und den Besiegten markierte, ist nicht von der Hand zu weisen. Entfremdung ist es meist, die wunderbare Freundschaften schleichend aushöhlt. Sicher, in den 70er Jahren gab es Großdemonstrationen gegen den Vietnam-Krieg der USA, Anfang der 80er Jahre protestierten Millionen gegen die atomare Rüstung und Militäreinsätze. Eine große Mehrheit aber hielt an der Freundschaft zu Amerika fest. Dass das transatlantische Band – zumindest in den Herzen vieler Europäer – zu reißen droht, hat viel mit Donald Trump zu tun. In der Amtszeit des US-Präsidenten wurde im Empfinden vieler Deutscher aus dem „großen Bruder“ ein polternder, zorniger Fremder.

    Die Welle der Empathie für die USA, die 9/11 auslöste, ist längst verebbt. Hatten im Jahr 2000 nach einer Erhebung des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center 78 Prozent der befragten Deutschen ein positives Bild von den USA, waren es 2020 noch 26 Prozent. Dringend gesucht: ein echter Neuanfang.

    Der Westen hat Syrien aufgegeben - und das Land wird zum Labor des Terrors
    Der Westen hat Syrien aufgegeben - und das Land wird zum Labor des Terrors Foto: Anas Alkharboutli, dpa

    Der Syrien-Krieg hatte zunächst mit 9/11 nichts zu tun. Der Konflikt begann 2011, als Bürger den Arabischen Frühling in ihr Land trugen und den Diktator Baschar-al-Assad herausforderten. Daraus entwickelte sich ein internationaler Krieg, der bis heute andauert. Das Land wurde zu einer Hölle aus Giftgasangriffen, Folter, Fassbomben – und zu einem Labor für Terrorgruppen.

    Der Islamische Staat (IS) nutzte das Machtvakuum in Teilen Syriens und des Nachbarlandes Irak, um ein Territorium – sie nannten es Kalifat – nicht nur zu besetzen, sondern auch zu halten und zu verwalten. Das hatte es zuvor nicht gegeben. Immerhin gelang es einer westlich geprägten Allianz, den IS zu schlagen. In der Lage, Anschläge zu verüben, sind die über mehrere Länder verstreuten Terrorzellen allerdings noch immer. Der Westen hat sich aus Syrien Schritt für Schritt verabschiedet, seitdem sich Moskau entschlossen hat, Assad an der Macht zu halten. Die treuesten Verbündeten im Kampf gegen den Terror, die Kurden, wurden im Stich gelassen. Auch das war ein Signal des Westens an den weltweiten Terror, aber leider ein ermutigendes.

    Millionen von Flüchtlingen versuchen, Syrien zu entkommen, während zehntausende echte oder vermeintliche IS-Sympathiesanten in Lagern sitzen. Die Gefahr, dass sie sich weiter radikalisieren, ist groß – und sie wächst weiter.

    In Afghanistan begann der War on Terror - und endete mit einem Fiasko
    In Afghanistan begann der War on Terror - und endete mit einem Fiasko Foto: Uncredited, Verified UGC, AP, dpa

    Wenn die in sich zusammensackenden Twin Towers das Symbol für den monströsen Anschlag vom 11. September 2001 sind, dann ist Afghanistan Symbol für die verheerende, maßlose Eigendynamik, die der von den USA ausgerufene Krieg gegen den Terror entwickelte. Die Kosten für den Militäreinsatz des Westens, der 20 Jahre dauerte, werden nicht in Milliarden Dollar ausgewiesen, sondern in Billionen.

    Warum wurde Afghanistan – ein Land, in dem Kriege seit Jahrzehnten das Leben prägen – Schauplatz des von den USA geführten Gegenschlags gegen den internationalen Terrorismus? Afghanen jedenfalls waren weder an den Anschlägen selber noch an deren Vorbereitung beteiligt. Doch die Taliban, die keine internationalen Ambitionen hegten, boten der Führung der Terrorgruppe Al Kaida und ihrem Gründer und Anführer Osama bin Laden Unterschlupf. Vor und auch kurz nach 9/11 ahnten die mit der brutalen Umerziehung ihrer eigene Bevölkerung beschäftigten Taliban nicht, dass diese Laus im Pelz der Grund dafür sein würde, dass ihre Herrschaft 2001 jäh enden würde – hinweggefegt von einer Allianz aus internationalen Truppen und afghanischen Feinden der Taliban unter Führung der USA .

    20 Jahre später weht wieder die Fahne der Taliban über dem Präsidentenpalast in Kabul. Die USA und ihre Verbündeten sind nach einem verlorenen Krieg und einem chaotischen Abzug gedemütigt. Rund 250.000 Opfer sind zu beklagen. Weder der Terror ist besiegt, noch ist es gelungen, aus Afghanistan einen funktionsfähigen, demokratischen Staat zu machen – auch dieses Ziel der Mission, halbherzig nachgeschoben, um den gigantischen Einsatz von Menschen, Material und Geld vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, wurde verfehlt.

    Der Westen verliert, China und Russland profitieren
    Der Westen verliert, China und Russland profitieren Foto: Pool Sputnik Kremlin, Alexei Druzhinin, dpa

    Vor 20 Jahren hat die USA den „War on terror“ – den Krieg gegen den Terror – erklärt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Instabilität der islamischen Welt ist in dieser Zeitspanne weiter gewachsen – das ist der Boden, auf dem Terrorismus gedeihen kann. Parallel dazu hat der Westen sich aus vielen Konflikten zurückgezogen. Die Szenarien in Afghanistan, Syrien oder im Irak erfüllen den Tatbestand eines außenpolitischen Kontrollverlusts.

    Andere Mächte stehen bereit, von der Schwäche des Westens zu profitieren. Dass in dieser Kategorie zu allererst China genannt werden muss, ist für die USA keine Überraschung. Der Aufstieg des Riesenreiches ist natürlich nicht mit dem verunglückten Krieg gegen den Terrorismus zu erklären. Logisch ist aber auch, dass

    Gleichzeitig wird China behutsam vorgehen. Denn der Staat behandelt Muslime mit menschenverachtender Brutalität. Seltsam, dass die Unterdrückung der Uiguren in China von Islamisten schweigend hingenommen wird.

    Auch das Russland von Präsident Wladimir Putin versucht, von der Uneinigkeit des Westens zu profitieren. Beispiel Syrien: Moskau will sich die Unterstützung für den Despoten Baschar al-Assad teuer bezahlen lassen. Nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch. Andererseits ist

    Inwieweit der Iran seine Macht ausbauen kann, ist noch unklar. Die Ambitionen sind groß, das bekommen viele Länder im Nahen Osten schmerzhaft zu spüren. Nicht nur Israel unterstellt dem schiitisch dominierten Land, den Bau einer Atombombe voranzutreiben. Allerdings ist der Iran ein innerlich zerrissenes Land. Die Macht der Mullahs basiert auf Unterdrückung und Repression. Der Wille der Führung in Teheran, andere Saaten zu destabilisieren, ist jedoch ungebrochen. Das wiederum ist eine gute Nachricht für Terroristen.

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