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Terrorfolgen: Was der Bündnisfall für Europa heißt

Terrorfolgen

Was der Bündnisfall für Europa heißt

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    Schwer bewaffnet blickt ein französischer Soldat hoch über Paris von der Kirche Sacré Coeur aus in Richtung des Zentrums der Millionenstadt unter ihm.
    Schwer bewaffnet blickt ein französischer Soldat hoch über Paris von der Kirche Sacré Coeur aus in Richtung des Zentrums der Millionenstadt unter ihm. Foto: Joel Saget, afp

    Die Atmosphäre rund um das Brüsseler Ratsgebäude, in dem die Verteidigungsminister der EU gestern zusammenkamen, war schon vor ihrer Ankunft gespenstisch. Schwer bewaffnete Soldaten patrouillierten und kontrollierten. In der Nacht zuvor hatte die belgische Regierung ihre Terror-Warnung verschärft: Stufe drei bedeutet nach offizieller Definition, dass ein Anschlag als „wahrscheinlich oder bevorstehend“ angesehen wird.

    Premierminister Charles Michel hatte am frühen Morgen den Trainer der „Roten Teufel“, wie die belgische Fußball-Nationalmannschaft genannt wird, Marc Wilmots, angerufen, um ihm zu erklären, dass das für gestern Abend geplante Freundschaftstreffen mit der spanischen Auswahl abgesagt werden müsse. 50000 Menschen im König-Baudouin-Stadion – das sei ein zu großes Risiko, zumal die Sicherheitsbehörden noch immer keine verlässliche Spur vom mutmaßlichen achten Mann der Pariser Attentäter, Salah Abdeslam, hatten.

    Erstmals in der Geschichte aktivierte ein Land den EU-Beistandspakt

    Vor diesem Hintergrund wickelten die 28 Verteidigungsminister denn auch ein historisches Novum seltsam unaufgeregt ab, als gehöre es zur Routine in Brüssel. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU bat ein Land die Partner um Beistand nach Artikel 42 des Lissabonner Vertrages: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“, heißt es da.

    Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bat unter Berufung auf diese Zusage die EU-Familie um Solidarität. Außergewöhnliche Situationen erforderten außergewöhnliche Antworten, sagte er vor den Kollegen. „Einstimmig“, so berichtete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, habe die Runde daraufhin der Bitte entsprochen. „Selbstverständlich ist, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um Hilfe und Unterstützung zu leisten“, betonte auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

    Artikel im Lissaboner Vertrag schließt militärische Mittel ausdrücklich ein

    Wie dieses Versprechen nun mit Inhalt gefüllt werden soll, blieb zunächst noch unklar. Allerdings schließt die Formulierung im Lissabonner Vertrag militärische Mittel ausdrücklich ein. Der französische Amtskollege habe in dem Gespräch „keine konkrete Bitte oder Forderung an Deutschland gestellt“, sagte von der Leyen später. Andeutungen aber gab es sehr wohl, wenn auch zunächst nur sehr allgemein gehalten. Minister Le Drian erklärte, es gehe entweder um eine direkte Unterstützung in Syrien und im Irak oder aber um eine Entlastung französischer Streitkräfte in anderen Krisenregionen, etwa in Afrika. „Frankreich kann nicht alles machen“, sagte Le Drian. Von der Leyen stellte daraufhin ein verstärktes militärisches Engagement in Mali in Aussicht. Zur Entlastung Frankreichs werde Deutschland dort künftig „unter allen Europäern eine sehr starke Präsenz“ zeigen, sagte die CDU-Politikerin.

    Hatten einige EU-Diplomaten bis zum Morgen noch spekuliert, die Bitte um Beistand werde eine „eher symbolische Geste“ sein und sich möglicherweise lediglich auf den Austausch von Geheimdienst-Informationen und engere Zusammenarbeit bei der Terror-Bekämpfung beschränken, scheint es Paris also doch um sehr viel mehr zu gehen.

    Frankreich will bewaffneten Kampf gegen IS verstärken

    Staatspräsident François Hollande will ganz offensichtlich die eigenen Kräfte bündeln, um den bewaffneten Kampf gegen die Terrormilizen des IS zu verstärken. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte, es sei „völlig klar, dass Frankreich uneingeschränkte Solidarität erwarten kann, denn das war ein Angriff auf uns alle“. Aus Sicht von Schulz geht es bei dem geforderten Beistand vor allem um Informationsaustausch, Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und gegebenenfalls finanzielles Entgegenkommen der EU. Schulz sehe aber „niemanden“, der zu einem Einsatz von Bodentruppen bereit sei, betonte er. Entscheidend bleibe eine Lösung in Syrien, die neben Militärschlägen gegen den

    Dennoch zeigten sich einige in Brüssel überrascht, dass Paris zunächst den EU-Beistandspakt aktivierte, nicht aber den sogenannten Nato-Bündnisfall ausgerufen hat. Schließlich verfügt die EU selbst über keine eigenen militärischen Kapazitäten, dazu bräuchte man die Nato. Die Allianz kann aber nicht von sich aus tätig werden, sondern muss ebenfalls von einem ihrer 28 Mitgliedstaaten um Unterstützung nach Artikel fünf des Nordatlantikvertrages angegangen werden.

    Russland will gemeinsam mit Frankreich kämpfen

    Entscheidend ist für Frankreich jetzt aber zunächst ein Votum des Weltsicherheitsrates, den Präsident Hollande bereits um ein Treffen gebeten hat. Paris wolle, so hieß es in Brüssel, eine weltweite Koalition gegen den IS schmieden. Ein großer Schritt in diese Richtung wurde schon getan: Nachdem Moskauer Behörden zunächst offiziell eine Bombe für den Absturz des russischen Airbus über Ägypten verantwortlich gemacht hatten, kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin an, von nun an gemeinsam mit Frankreich gegen den IS zu kämpfen. In den nächsten Tagen will Hollande auch US-Präsident Barack Obama aufsuchen, um ihn in die neue Allianz einzubinden. mit dpa

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